Ohne Frisur zur kleinen Revolution - so tickt Bernie Sanders

Bernie Sanders ist ein Phänomen: Der US-Präsidentschaftskandidat ärgert Hillary Clinton - und braucht dafür weder eine Frisur noch Spenden von Konzernen. Er arbeitet sich einfach beharrlich an seinen Herzensthemen ab.
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Bernie Sanders und die USA - sie wundern sich vielleicht gerade ein wenig übereinander. Sanders (74, "The Speech") ist der ältere Herr, der Hillary Clinton (68) gerade in den Vorwahlen für die demokratische Präsidenschaftskandidatur ärgert. In New Hampshire hat er Clinton sogar vernichtend geschlagen. Und das, obwohl er sich selbst einen "demokratischen Sozialisten" nennt - was für US-amerikanische Ohren etwa wie "demokratischer Beelzebub" klingen mag - bei seinen Auftritten meistens leicht grantig wirkt und auf große Inszenierungen ebenso verzichtet wie auf eine echte Frisur. Sanders spricht eben lieber über Politik.

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Wie gut dieses Konzept ankommt, überrascht so einige Beobachter. Schließlich dachte man immer, die USA seien ohne ausgeklügelt-perfide personalisierte und zugespitzte Kampagnen nicht zu erobern. Und dann stand Sanders im Oktober 2015 bei einer TV-Diskussion neben Clinton, die sich gerade unter heiklen Nachfragen zu ihrem E-Mail-Verkehr wand und sprach einfach: "Die Amerikaner haben es satt, von Ihren verdammten E-Mails zu hören!" Man möge doch lieber über echte Probleme sprechen. Allgemeiner Jubel war Sanders sicher.

 

Man war nicht arm - aber stets in Sorge

 

Auch Sanders selbst könnte überrascht sein. Allerdings weniger über seinen unerwarteten Erfolg. Von dieser Sorte hat der parteilose Politiker schon einige eingefahren. Etwa 1981, als er aus dem Nichts zum Bürgermeister von Vermonts größter Stadt Burlington gewählt wurde. Oder indem er sechs Mal als Parteiloser für Vermont in den Kongress zog. Aber vielleicht doch darüber, dass er trotz der Berichterstattung über seine Person so viel Erfolg hat: "Es ist mehr Zeug über mein Haar geschrieben worden, als über mein Infrastruktur- oder Universitäts-Programm", scherzte Sanders unlängst in einem Interview mit dem "Rolling Stone".

Er glaubt: Wenn die Wähler "echte Fakten hören, wählen sie anders." Als wohl wichtigsten Fakt sieht Sanders diesen einen: Die Politik in den USA werde von Großkonzernen finanziert und für Großkonzerne gemacht. Der 74-Jährige will, so sagt er, den Ärmeren Gutes tun - mit einem Mindestlohn, Krankengeld, Krankenversicherung, Reichensteuer, kostenloser Hochschulbildung. Dahinter steht offenbar eine eigene Erfahrung aus frühester Jugend. Über seine Eltern erzählt Sanders: Arm sei man nicht gewesen - aber stets in Sorge. "Der Mangel an Geld hat in meiner Familie Stress verursacht und Streit zwischen meiner Mutter und meinem Vater."

 

Beruf: "Zimmermann, Doku-Filmer und Autor"

 

Aufgewachsen ist Sanders in Brooklyn als Sohn zweier jüdischer Einwanderer aus Polen - seine Großeltern väterlicherseits waren im Holocaust umgebracht worden. Später schlug sich sein Vater als äußerst mäßig erfolgreicher Vertreter für Farben durch. Sanders Mutter starb, als er 19 war. Dafür arbeitete sich der heute 74-Jährige durch einen bunten Lebenslauf: Er zog erst nach Chicago und mischte im Civil Rights Movement mit, arbeitete in Israel im Kibbuz und ließ sich schließlich mit Frau und Kind in Vermont nieder - als "Zimmermann, Dokumentarfilmer und Autor", wie zu lesen ist.

Mittlerweile ist Sanders seit 27 Jahren mit seiner zweiten Frau Jane O'Meara verheiratet. Vier Kinder und sieben Enkel hat die Patchworkfamilie. O'Meara ist tatsächlich nicht nur die "First Lady" des Politikers, sondern offenbar wirklich seine engste Beraterin. Ihr Schreibtisch steht im Kampagnen-Büro neben seinem, berichtet der Sender ABC. "Seelenverwandte" hat Sanders seine Jane genannt - und er hält große Stücke auf ihre Kompetenz. Er würde es lieben, Jane in eine Debatte mit Bill Clinton zu schicken, sagte Sanders dem Sender MSNBC: "Sie ist ziemlich smart!"

 

"Ich deprimiere alle"

 

Auch ohne First-Lady-Debatte läuft Sanders' Kandidatur aber prächtig. Bei seinen Auftritten hat er so viele Zuschauer wie kein anderer Kandidat der Demokraten - mehr als 20.000 alleine in Boston - und gerade unter jungen Wählern ist Sanders enorm populär. Sicher auch, weil er auf Konzernspenden verzichtet, sich eine Marihuana-Legalisierung vorstellen könnte und insgesamt einen ziemlich europäisch-sozialdemokratischen Hauch importiert. Vielleicht auch, weil er seit seiner eigenen Jugend, seit seinen ersten erfolglosen Gouverneurs-Kandidaturen die gleichen Themen vertritt, wie Dokumente beweisen.

Oder weil der alte Mann ohne Frisur und Homestory gegen Polit-Profi Hillary Clinton ziemlich authentisch wirkt. Möglicherweise traut man es dem leicht kantigen Herren tatsächlich eher zu, eine kleine Revolution zu bringen - schließlich muss er sich weniger um sein Image und generöse Großspender kümmern. "Meine Frau erinnert mich immer daran, dass ich alle deprimiere", erzählte Sanders dem "Rolling Stone" von einer Manöver-Kritik in der kleinen Kampagnen-Zentrale am heimischen Frühstückstisch. Unerwartet viele Amerikaner finden diese Depressionen sehr erfrischend.

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