Niedecken: "Auch mir steht nicht unendlich Zeit zur Verfügung"
Vor genau zwei Jahren erlitt BAP-Frontsänger Wolfgang Niedecken einen Schlaganfall. Sein Leben hat sich dadurch verändert. Er lebt die Tage nun bewusster. "Carpe Diem" ist sein Motto. Und er hat aus diesem Schicksalsschlag auch etwas Positives gezogen: Endlich hat er den richtigen Zeitpunkt zum "Danke sagen" gefunden, wie er im Interview mit spot on news erzählt.
Köln - Mit seiner neuen Solo-Platte "Zosamme alt" ist der Kölner Wolfgang Niedecken (62) bis auf Platz vier der deutschen Charts gerückt. Geplant war dieses Album eigentlich nicht - zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt. Doch in den vergangenen zwei Jahren ist beim Kölner viel passiert. Für ihn war es an der Zeit einfach mal "Danke" zu sagen. Mit spot on news hat der Frontsänger von BAP über sein Leben nach dem Schlaganfall und Rock'n'Roll in der Liebe gesprochen.
Herr Niedecken, der erste Titel auf Ihrer Platte "Zosamme alt" - ist das eine Hommage an Ihren Schutzengel oder an Ihre Frau?
Wolfgang Niedecken: (lacht) Die ist ja Schutzengel und Frau in Personalunion. Das ganze Album ist eine Hommage an meine Frau. Ich habe die Songs so versucht auszuwählen, dass es eine Berg- und Talfahrt ergibt. Schließlich gab es nicht nur eitel Sonnenschein. Wenn jemand behauptet ein viertel Jahrhundert mit seinem Partner zusammen zu sein und nie Höhen und Tiefen erlebt zu haben, dann muss das doch eine langweilige Beziehung sein, die immer nur auf einer Ebene stattfindet. Bei uns war immer reichlich Rock'n'Roll drin. Ein Mann steht auch zu seinen Tiefen. Wo ist das Problem?
Im schon angesprochenen Lied geht es auch darum, glücklich zusammen alt zu werden. Was bedeutet Ihnen diese Vorstellung?
Niedecken: Was gibt es denn schöneres, als einem geliebten Menschen zu sagen, dass man mit ihm alt werden möchte? Das ist das größte Eingeständnis das man einem machen kann.
Hätten Sie Ihrer Frau dieses Eingeständnis auch ohne Ihren Schlaganfall gemacht?
Niedecken: Nachdem ich diesen im November 2011 überlebt hatte, wurde mir schlagartig klar, dass ich das jetzt oder nie tun musste. Wahrscheinlich wäre ich ohne den Schlaganfall nicht auf den Gedanken gekommen, ein Album nur für meine Frau zu schreiben. Obwohl es ihr natürlich auch so zugestanden hätte, weil sie mich wiederholt im Leben wieder auf die richtige Spur gebracht hat. Alleine dafür wäre schon ein Dank angebracht gewesen. Nun bin ich sehr froh, dass ich dieses Album gemacht habe.
In welchen Momenten hat Sie ihre Frau wieder auf die richtige Spur gebracht?
Niedecken: Wenn ich nicht mehr wusste wie es weiter geht oder dazu neigte depressiv zu werden. Meine Probleme sind ja auch nicht alle an die Öffentlichkeit geraten, damit bin ich ja nicht hausieren gegangen. Ich schreibe da dann Lieder daraus, lege mich sozusagen selber zu mir auf die Couch. Aber meine Frau hat schon wiederholt dafür gesorgt, dass es mir dann besser ging.
Was hat sich für Sie nach Ihrem Schlaganfall geändert?
Niedecken: Ich habe festgestellt, dass auch mir nicht unendlich Zeit zur Verfügung steht und ich diese nicht verplempern sollte. Und dass mein Sommer, der fast 40 Jahre währte, nun langsam mal zu Ende ist. Mein Sommer hat angefangen an dem Tag als ich das Examen an der Kunsthochschule gemacht habe. Das war 1974. Und er hat angedauert bis zum 2. November 2011. Das ist schon reichlich.
Leben Sie seitdem bewusster?
Niedecken: Ich lebe bewusster, viel konkreter im Hier und im Jetzt als vorher - ganz nach dem Motto "Carpe Diem". Dieser ewig andauernde Sommer war schön, das war ein Privileg. Auch sich über das Alter keine Gedanken machen zu müssen. Das war schon großartig. Zum ersten Mal habe ich mir Gedanken darüber gemacht als ich 60 wurde. Viele fragten mich, wie das mit dem Alter für einen Rock'n'Roller sei und ich hatte nie eine Antwort und wollte sie auch nie haben.
Mit über 60 Jahren reflektiert man gewiss auch mal den eigenen Werdegang. Welches Lebensereignis hat Sie rückblickend am meisten geprägt?
Niedecken: 1970 hat sich für mich eine Weggabelung aufgetan, die sehr wichtig war. Da habe ich mich entschieden in Richtung freie Kunst zu gehen. Ich hätte auch einen "Nine-to-five-Job" machen können. An der Stelle die richtige Entscheidung gefällt zu haben, macht mich sehr glücklich.
Glauben Sie, dass Ihr Vater damals glücklich über diese Entscheidung war?
Niedecken: (lacht) Mein Vater war mit Sicherheit nicht glücklich. Er hat sich damals Sorgen gemacht ohne Ende, der arme Kerl. Es war ja nicht so, dass er mir etwas autoritär verbieten wollte, er hat sich einfach gesorgt. Aber das Bittere ist, dass er es leider nicht mehr erlebt hat, dass etwas daraus wurde. Das tut mir unendlich leid.
Im nächsten Jahr gehen Sie von März bis April auf Tour; spielen in dieser Zeit über 29 Konzerte. Muten Sie sich nicht etwas zu viel zu?
Niedecken: Nein! Ich mache ja nur noch das, was ich gerne tue. Alles was mit Organisation zu tun hat, gebe ich an andere Leute ab. Ich gehe nur noch meinem Hobby nach.
Dank Ihres Hobbys haben Sie 2012 den Echo für Ihr Lebenswerk erhalten. Gibt es für so einen Preis überhaupt den richtigen Zeitpunkt, um ihn zu verleihen?
Niedecken: Einen idealen Zeitpunkt weiß ich nicht. Aber ich halte es da mit dem schönen Spruch von Udo Lindenberg: "Hinterm Lebenswerk geht's weiter."
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