Münchner Regisseur Herbert Achternbusch (†83) ist tot: Abschied von einem Original

München - Vor acht Jahren, kurz vor seinem 75. Geburtstag, versuchte ihn die AZ am Telefon zu erreichen. Nur drei-, viermal musste man es am anderen Ende der Leitung in der Münchner Burgstraße klingeln lassen. Dann meldete sich eine leise, aber feste Stimme. Wider Erwarten wirkte Herbert Achternbusch - der Schwierige - gar nicht genervt.
Was er denn treibe? Ob er an einem neuen Theaterstück arbeite oder einem neuen Buch? Ein Bild male, oder gar noch einen Film drehe? "Nix, gar nix. Ich liege seit drei Jahren im Bett", entgegnet er. Er sei krank - die Beine: "Ich komme nicht mal mehr die Treppe runter."
Herbert Achternbusch war ein Einzelgänger
Wie aus Achternbuschs Umfeld zu erfahren ist, starb der Schriftsteller, Filmemacher und Maler Anfang der Woche im Alter von 83 Jahren. Das Bayerische Staatsschauspiel brachte im vorigen Sommer noch sein Drehbuch "Herz aus Glas" - das Werner Herzog einst verfilmte - im Marstall heraus. Achternbusch war nicht bei der Premiere anwesend und auch sonst war es eher still geworden um den einstigen Provokateur.

Achternbusch war ein Einzelgänger. Die Brüche seines Lebens, seine Ablehnung bürgerlicher Regeln setzte er in mitunter bizarre, kommerziell schwer verwertbare Kunstprodukte um. "Der Neger Erwin", "Das letzte Loch"(1981), "Heilt Hitler" (1986) oder "I know the way to the Hofbrauhaus" (1991), hießen die Filmtitel.
Spießertum und Hitlerei als Leitmotiv
In "Der Depp" (1982) wird am Ende Ministerpräsident Franz Josef Strauß im Hofbräuhaus vergiftet, was Achternbusch dessen Intimfeindschaft eintrug. Um "Das Gespenst" (1982) entbrannte ein Streit um Fördergelder, die "wegen Blasphemie" zurückgezogen wurden. Leitthemen seiner zahllosen Filme, Bücher und Theaterstücke sind das Spießertum, die Hitlerei und immer wieder er selbst und seine Herkunft - uneheliches Kind einer Sportlehrerin, die später Suizid verübte.
Heimatekel und Heimatliebe
Er kam in München zur Welt, wuchs aber bei seiner Großmutter im Bayerischen Wald auf. Sein Vater war Zahnarzt. Ein Filou, dem Alkohol und den Frauen zugetan. Nix habe er von ihm geerbt, sagte Achternbusch einmal. Eines seiner letzten Theaterstücke "Kopf und Herz" ist ein atemloser Monolog einer Frau mit ihrem ungewollten Kind im Bauch: ein Fest für Psychoanalytiker. Wohl niemand, außer vielleicht der geniale Österreich-Hasser Thomas Bernhard, konnte seinen Heimatekel, der natürlich immer auch eine verkappte Heimatliebe war, so zelebrieren wie Achternbusch: "Diese Gegend hat mich kaputt gemacht, und ich bleibe so lange, bis man ihr das anmerkt", ist ein berühmter Spruch von ihm.
Er blieb der Stadt treu, feierte in München seine größten Erfolge unter Dieter Dorn an den Kammerspielen. Ob er daran leide, nie ein wirklich großes Publikum gefunden zu haben? "Nein, ich hätt's ja machen können, aber mich hat der Mainstream nie interessiert." Jetzt hat sich sein Lebenskreis in München geschlossen. In Österreich, seiner märchenhaft bemalten "Einsiedelei", war er schon lange nicht mehr. "Da muss ich zum Einkaufen 16 Kilometer mit dem Auto fahren. Das ist zu umständlich", sagte er vor Jahren.

Privat hat's Achternbusch ziemlich krachen lassen. Er zeugte sechs Kinder mit drei Frauen. Was er immer am liebsten gemacht habe? "Gemalt!" Aber auch dazu kam er zuletzt nicht mehr: "Ich geh nur noch zum Essen und zum Scheißen", sagte er. Und er sehe fern, "alles was kommt." Ob er leide, dass seine künstlerische Produktion erlahmt sei? "Erlahmt?", fragte Achternbusch, nicht pikiert: "Man kann auch sagen, vollendet."
Vor 17 Jahren ließ sich Achternbusch von der AZ zu einem Wiesn-Rundgang überreden. Er sagte erst zu, dann wieder ab und ließ sich doch überzeugen, obwohl ihm Tracht verhasst ist: "Ich find die nur erträglich, wenn sie vollgekotzt sind", sagte er und hatte dann doch seinen Spaß. Auf dem Oktoberfest spielt auch Achternbuschs legendärer Film "Bierkampf" von 1977.
Beim Wiesnbesuch mit der AZ geriet Achternbusch ins Philosophieren: Man müsse die Wiesn platonisch begreifen: "Ich mein nicht ohne Sex, sondern von der Idee her. Platon sagt, alles ist nur ein Abbild einer idealen Idee - und das Oktoberfest gibt es eben nur, weil die Leute die Idee, den Traum vom Glücklichsein haben. Sie trinken eine Maß nach der anderen und hoffen, glücklicher rauszugehen. Und manchmal ist die Wiesn narrisch nah dran am Ideal, meistens meilenweit davon weg."