Michael Jackson: Schon als Kind auf die Bühne gepeitscht

Mit fünf Jahren beginnt die Karriere des jungen Michael Jackson – und seine Kindheit endet. Vater Joe fügt ihm Schäden zu, von denen er sich auch als Erwachsener nie wieder erholt. Teil 1 der AZ-Serie
von  Abendzeitung

Mit fünf Jahren beginnt die Karriere des jungen Michael Jackson – und seine Kindheit endet. Vater Joe fügt ihm Schäden zu, von denen er sich auch als Erwachsener nie wieder erholt. Teil 1 der AZ-Serie

Nein, geschlagen habe er seinen Sohn Michael „niemals“, gibt Joe Jackson 2003 in einem Interview zu Protokoll. Schlagen tue man ja bekanntlich mit einem Stock. Er habe ihn lediglich ausgepeitscht. Mit einem Kabel oder einem Gürtel.

Noch als erwachsener Mann muss sich Michael Jackson übergeben, wenn er seinem Vater begegnet. Zu tief sitzt das Trauma der Kindheit, die er eigentlich nie hatte.

Schon als fünfjähriger Bub schwitzt Michael im stickigen Tonstudio mit seinen vier älteren Brüdern Jackie, Tito, Jermaine und Marlon. Während Altersgenossen mit dem Skateboard durch die Straßen der Stadt Gary im US-Bundesstaat Indiana kurven oder einen Familienausflug zum Lake Michigan unternehmen, übt er für den nächsten Talentwettbewerb, und den nächsten und nächsten.

Eine Art Pop-Straflager

Trifft er einen Ton nicht, will einfach nur spielen oder schlafen, kommt der lederne Gürtel des Vaters zum Einsatz. „Ich habe von allen immer die meisten Prügel bekommen“, schreibt Michael später in seiner Autobiografie.

Joe Jackson, gelernter Kranfahrer, perfektioniert eine Art Pop-Straflager, kontrolliert, demütigt und schikaniert seine Kinder Tag und Nacht. Als Michael einmal den Wunsch äußert, doch bei offenem Fenster schlafen zu dürfen, verkleidet sich sein Vater als Monster und bricht ins Zimmer ein, um ihm einen Schock zu versetzen und von der aus seiner Sicht verrückten Idee abzubringen. Katherine, die sittenstrenge Mutter und Zeugin Jehovas, sieht dabei nur zu – oder schlägt selber. Die Strafmaßnahmen werden immer schlimmer, zumal der Erfolg zunächst ausbleibt. Die Radiostationen wollen die ersten Stücke des jungen Quintetts einfach nicht spielen.

Erst 1969, Michael ist 11, ändert sich das. Joe Jackson schließt mit dem neben Stax Records damals wichtigsten US-amerikanischen Soul-Label Motown einen Plattenvertrag ab – die Single „I want you back“ schießt an die Spitze der Charts. Wie auch die folgenden Songs „ABC“, „The Love You Save“ und „I’ll Be There“. Der Durchbruch.

Ließ er sich operieren, um nicht dem Vater zu ähneln?

Fernsehauftritte folgen. Erst gestern erinnerte sich die amerikanische TV-Legende Larry King auf CNN an einen der ersten. Knirps Michael habe seinen älteren Brüdern locker die Show gestohlen, so King. Gesanglich sowieso, aber auch mit seinem „erfrischenden und offenen“ Auftreten.

Die Familie tourt durch die halbe Welt, tritt 1977 zum Beispiel vor Queen englische Queen auf. Noch wichtiger ist im gleichen Jahr jedoch ein anderes Treffen für Michael: Bei Dreharbeiten zum Kino-Musical „The Wiz“ lernt er den väterlichen Produzenten Quincy Jones kennen. Der erste Mensch, der ihm wirklich zuhört, seine kreativen Ideen als Künstler ernst nimmt. Eine geniale Partnerschaft beginnt.

Doch die Jahre des Terrors und der Traumata haben ihre Spuren hinterlassen: Michael scheint die Kindheit, die er nie haben durfte, als Erwachsenener nachholen zu wollen, sammelt exzessiv Spielzeuge, baut seine „Neverland Ranch“ zum bizarren Jahrmarkt aus.

Material namens Michael

Auch die äußere Wandlung des Popstars bringen tatsächliche und selbst ernannte Psychologen immer wieder mit seiner Familiengeschichte in Verbindung. Er habe es einfach nicht ertragen können, dass der „Man in the Mirror“ immer mehr dem Vater glich, besagt eine von tausend Theorien, die aber angeblich auch durch Aussagen von ihm selber gestützt wird.

Zum zerrütteten Verhältnis passt jedenfalls die Reaktion von Joe Jackson, heute 79, auf den frühen Tod seines Sohnes: CNN zeigt ihn schon Stunden danach feixend und herumalbernd vor seiner Villa in Los Angeles. Liegt es daran, dass Michael als Material ohnehin längst ausgepresst war, dass das große Geschäft erst noch kommt?

Fast möchte man hoffen, dass das umstrittene Sorgerecht für seine Kinder (und Erben) nicht an die Großeltern Joe und Katherine fällt, sondern an die leibliche Mutter. Schon alleine, damit Joe Jackson niemals wieder auf die Idee kommt, „niemals“ zu schlagen.

Timo Lokoschat

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