Meinungsforscherin Noelle-Neumann gestorben
ALLENSBACH - Die Gründerin des Meinungsforschungsinstituts Allensbach, Elisabeth Noelle-Neumann, ist am Donnerstag im Alter von 93 Jahren gestorben.
Sie galt als „Grande Dame der Demoskopie“ in Deutschland: Das von Elisabeth Noelle-Neumann 1947 gegründete Institut für Demoskopie Allensbach war das erste deutsche Meinungsforschungsinstitut. Unter ihrer Leitung wurde zudem der Lehrstuhl für Publizistikwissenschaft an der Universität Mainz zu einem Zentrum empirisch-analytischer Medienforschung. Am Donnerstag starb Elisabeth Noelle-Neumann im Alter von 93 Jahren in ihrem Haus in Allensbach am Bodensee.
Mitten im Ersten Weltkrieg geboren, am 19. Dezember 1916 in Berlin, wuchs Elisabeth Noelle in einer „reichen und mit vielen Begabungen gesegneten Familie“ auf, wie sie es in ihren Lebenserinnerungen formuliert. Darin erscheint ihre Kindheit als großbürgerliches Refugium fern von den Wirren der Weimarer Republik. 1933 kam Noelle zum ersten Mal an den Bodensee, ins Internat von Salem. Die Ansprachen des Internatsgründers Kurt Hahn hätten sie gerettet, erinnerte sie sich später – „denn sie führten dazu, dass ich mich von den Nazis fernhielt, mich aus ihren Angelegenheiten heraushielt und so wenig wie möglich mitmachte“. Das, was sie dennoch mitmachte – eine Mitgliedschaft in der Arbeitsgemeinschaft nationalsozialistischer Studentinnen und die journalistische Arbeit für die NS-Zeitung „Das Reich“ – gab in den 70er, 80er und 90er Jahren wiederholt Anlass für Kontroversen. In ihrer eigenen Autobiografie erscheint die Studentin und Journalistin der NS-Zeit als aufmerksame Beobachterin, die letztlich unpolitisch blieb und den in der Zeitungswissenschaft gestellten Fragen nach Gesinnung, Verantwortung und journalistischer Ethik bewusst aus dem Weg ging: „Das interessierte mich überhaupt nicht.“ Vor einer Antwort darauf wollte sie zuerst die Wirkungsweisen der Medien erkunden.
Hierfür lernte Noelle als Studentin in den USA die von George Gallup entwickelte Methode der repräsentativen Meinungsumfragen kennen und schrieb darüber 1939 in Berlin ihre Dissertation. Gleich nach dem Krieg entstand daraus die Idee, ein eigenes Institut für Meinungsforschung zu gründen. Zusammen mit ihrem Mann Erich Peter Neumann – mit der Heirat 1946 nahm sie den Doppelnamen Noelle-Neumann an – zog sie von Tübingen aus an den Bodensee. Erster Auftrag war 1947 eine Untersuchung für die französische Militärverwaltung über die Demokratiefähigkeit der Jugendlichen in Deutschland. „Wir begannen sofort mit der Arbeit, mieteten eine Garage in Allensbach..., stellten die ersten Mitarbeiter ein und entwickelten Fragebogen.“
Zusammen mit Umfragen für die Marktforschung stellen Erhebungen für öffentliche Auftraggeber bis heute die wichtigste finanzielle Grundlage für das Institut dar. Seit 1950 gehört die Bundesregierung unabhängig von ihrer jeweiligen Zusammensetzung zu den Kunden des Instituts. Als Shooting-Star des Wirtschaftswunders verehrte Noelle-Neumann dessen Protagonisten Ludwig Erhard und Konrad Adenauer, während sie ebenso entschieden den von links einsetzenden Wertewandel und dessen Theoretiker in der Frankfurter Schule attackierte: „Es gibt wenige Menschen, die ich so verabscheue, wie ich Adorno verabscheut habe.“
Neben ihrer Arbeit als Unternehmerin wurde Noelle-Neumann 1964 Professorin – mit tatkräftiger Unterstützung eines jungen CDU-Politikers namens Helmut Kohl. Der Mainzer Lehrstuhl für Publizistikwissenschaft wurde unter ihrer Leitung zu einem Zentrum empirisch-analytischer Medienforschung. „Endlich gab es eine eigene Professorin für das Fach, das ich studieren wollte, um Journalist zu werden“, erinnerte sich anlässlich ihres 90. Geburtstags der spätere Lehrstuhlinhaber Jürgen Wilke. „Dem Namen Noelle-Neumann ging damals schon ein Ruf voraus, auch wenn man von Demoskopie noch keine große Ahnung hatte.“
Neben der Frage nach der Wirkung der Medien rückte für die Wissenschaftlerin die eher theoretische Beschäftigung mit öffentlicher Meinung und sozialer Kontrolle ins Zentrum ihrer wissenschaftlichen Arbeit.
Bei der Bundestagswahl 1965 kam es nach ersten Meinungsumfragen, die einen Sieg der SPD erwarten ließen, in letzter Minute zu einem Stimmungsumschwung für die CDU/CSU, was die gern als „Pythia vom Bodensee“ bezeichnete Demoskopin 15 Jahre später mit ihrer Theorie der „Schweigespirale“ zu erklären suchte: Menschen nehmen aufmerksam alle Signale aus ihrer Umwelt wahr, wozu auch die Medien gehören. Dabei erfahren sie, welche Meinungen eher akzeptiert werden als andere. Aus Angst, sich zu isolieren, verzichten sie unbewusst auf die Äußerung von Minderheitsmeinungen. „Ein Spiralprozeß setzt ein, der dazu führt, dass das eine Meinungslager immer lauter und selbstbewusster wird und das andere mehr und mehr verstummt.“
Noelle-Neumann hat der Isolationsangst getrotzt – auch wenn ihre im Herbig-Verlag erschienenen „Erinnerungen“ überdeutlich machen, dass sie unter massiver Kritik von Seiten der Studenten wie der Medien gelitten hat. Heute sind ihre Leistungen für die Entwicklung der Meinungsforschung unbestritten. „Frau Noelle-Neumann hat entscheidend zur Etablierung der Demoskopie in Deutschland beigetragen“, sagte Wilke. „Und sie hat maßgeblich die Entwicklung der deutschen Publizistikwissenschaft zu einer empirischen Sozialwissenschaft geprägt.“
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