"Meine Solo-Musik würde ich selbst nicht kaufen"
In seinem Buch "America for Sale" (rororo, 272 Seiten, 9,99 Euro) beschreibt Joey Kelly (41) seine Reise quer durch die USA - weder Geld noch Proviant hatte er dazu bei sich. Wie es ihm dabei erging, was für ein Mammut-Projekt als nächstes wartet und wie er sich heute mit den anderen Mitgliedern der berühmten Kelly Family versteht, verrät er im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news.
Sie haben ohne Geld die USA von Westen nach Osten durchquert. Was war Ihr Highlight dabei und was haben Sie als negativ empfunden?
Joey Kelly: Das Highlight war für mich die große Hilfsbereitschaft. Vor allem die Menschen, die am wenigsten hatten, haben mir am meisten geholfen. Schockiert hat mich, wie viele Probleme es in den USA gibt. Junge Menschen, die noch vor Kurzem eine normale Existenz hatten, leben auf der Straße, ohne Jobs. Auch die Infrastruktur ist teilweise katastrophal. Ganze Stadtteile sind zerstört, die Häuser stehen nicht mal mehr zum Verkauf, weil es keine Nachfrage gibt. Ich kenne die USA schon lange, in den 80er und 90er Jahren ging es dem Land wirtschaftlich sehr gut - und heute steht man vor Trümmern.
Als Sie vor 25 Jahren mit der Kelly Family dort waren, haben Sie das Land also ganz anders erlebt?
Kelly: Richtig, in den 80er Jahren haben wir dort knapp zwei Jahre auf der Straße gespielt. Wir waren in Chicago, New York, New Orleans. Da gab es Ghettos, aber das waren damals einzelne Brennpunkte. Heute hat man den Eindruck, es ist fast überall so. Beinahe jeder scheint ums Überleben zu kämpfen. Gefühlt vor jedem Haus werden irgendwelche alten Sachen angeboten und viele Häuser stehen zum Verkauf. Die Stimmung habe ich als sehr angespannt und auch leicht aggressiv empfunden. Der weiße Amerikaner, der seinen Wohlstand verloren hat oder bedroht sieht, gibt häufig den illegal dort lebenden Mexikanern die Schuld. Dabei arbeitet kein Amerikaner für vier Dollar die Stunde bei 40 Grad auf dem Bau.
Sie sind mit vielen Menschen ins Gespräch gekommen und haben viel aus deren Leben erfahren. Sind die Amerikaner offener als die Europäer?
Kelly: Ich habe nicht nur mit US-Amerikanern gesprochen, sondern auch mit Kanadiern und Europäern, die ich dort getroffen habe. Zwei Wochen und zwei Tage war ich für meinen Trip von L.A. nach New York unterwegs und dabei habe ich etwa 180 Leute kennengelernt. Die Amerikaner sind tatsächlich sehr offen, aber auch sehr oberflächlich. Es entstehen nicht so schnell Freundschaften. Trotzdem ist die Hilfsbereitschaft hoch, vor allem bei der armen Bevölkerung.
In Deutschland halten sich ja noch mehr Vorurteile gegenüber US-Amerikanern, beispielsweise, dass Sie bewegungsfaul und schlecht gebildet seien. Wie sehen Sie das?
Kelly: Wenn ich meine Erfahrungen aus den vergangenen 30 Jahren heranziehe, hat sich in den USA bei den Themen Sport, Ernährung und Übergewicht eine Menge getan. Das war vor einigen Jahren noch viel schlimmer. Verändert haben könnte sich das auch deshalb, weil die großen Stars sich in den Medien nur noch dünn und sexy präsentieren. Und trotzdem, wenn man es mit Deutschland vergleicht, sind die Amerikaner immer noch zu übergewichtig. Aber vergleicht man wiederum die Deutschen mit den Chinesen, sind wir auch zu dick.
Sie hatten mit der Kelly Family in den USA nie wirklich großen Erfolg. Immerhin haben sie aber mit einem Auftritt auf der Straße Eric Bazilian von den Hooters zu einem Welthit inspiriert...
Kelly: Wir haben uns später einmal in Dänemark auf einem Festival kennengelernt. Und da hat er erzählt, dass wir ihn inspiriert hätten, als wir in New Orleans spielten und er uns zuhörte. Er ist dann angeblich ins Hotel gelaufen und hat "Johnny B" geschrieben. Vielleicht wäre ihm die Idee aber auch gekommen, wenn er an diesem Tag eine andere Band gehört hätte...
Sie haben auch die Erfahrung gemacht, dass es den Amerikanern ziemlich leicht fällt, über Geld zu reden. Wie ist das bei Ihnen persönlich?
Kelly: Ich rede nicht über Geld. Aber die Amerikaner sind da tatsächlich sehr offen. In Deutschland gilt es als unverschämt, jemanden zu fragen, was er verdient und das finde ich auch gut so.
Dann verraten Sie auch nicht, ob man als Mitglied der Kelly Family ausgesorgt hat?
Kelly: Es geht mir sehr gut.
Wie ist das Verhältnis zu Ihren Geschwistern heute?
Kelly: Ich komme mit den meisten klar, ähnlich wie früher. In Großfamilien gibt es ja meist unterschiedliche Gruppen. Früher, als wir noch zusammen aufgetreten sind, war mein Vater derjenige, der vorgegeben hat, wo es langgeht, wenn wir nicht zueinander gefunden haben. Das war das System. Als er 2002 gestorben ist, war das mit der Kelly Family vorbei. Jeder ist seinen Weg gegangen. Zudem haben viele von uns Familie und manchmal rudern auch die Partner dagegen. So zerfällt eine Musikband. Aber das ist okay. Wir haben 30 Jahre zusammen überlebt, Musikgeschichte geschrieben und maximalen Erfolg gehabt. Das war super, eine irre Zeit und jetzt ist es eben eine neue, noch schönere Zeit.
Sie selbst haben mit der Musik abschlossen?
Kelly: Auf meine Solo-Musik braucht keiner zu warten, die wird es nie geben. Das braucht kein Mensch. Das würde ich selbst nicht kaufen und auch keinem anderen antun.
Sie sind häufig im Fernsehen zu sehen. Was schauen Sie selbst am liebsten im TV?
Kelly: Ja, wir haben am 8. November wieder die "TV total Stock Car Crash Challenge" auf Schalke, da bin ich dabei. Ich schaue privat aber wenig Fernsehen, allein schon aus Zeitgründen. Wenn, dann aber vorzugsweise Dokumentationen über exotische Länder, Tiere und Geschichte.
Sie planen zudem, die Welt zu umrunden. Laufen die Vorbereitungen schon?
Kelly: Im Grunde war die Geschichte in den USA nur ein Pilotprojekt: Ich möchte in Frankreich am Eiffelturm starten und dann in 80 Tagen einmal um die Welt - ohne Geld und Proviant. Ich glaube, das funktioniert. Sobald man Europa verlässt, wird es aber sicher nicht einfach.
Gibt es ein Land, in das Sie gerne auswandern würden?
Kelly: Nein, ich bleibe in Deutschland. Ich mag Deutschland. Hier ist es sicher, die Menschen sind tolerant und man kann sich auf sie verlassen. Irland ist witzig, schön und toll, das Wetter ist aber noch schlimmer als hier und es nervt mich, wenn ich mit jemand mittags verabredet bin und er kommt erst um ein Uhr.
Sie haben schon an vielen Extremsport-Veranstaltungen teilgenommen. Was war das härteste Rennen bisher?
Kelly: Der Badwater Run ist meiner Meinung nach der härteste Ultramarathon. Er führt durch das Death Valley und das Ende Juli, wenn es wirklich 50 Grad und mehr hat. Dieses Rennen zu beenden, ist eine richtige Qual. Aber so brutal es auch ist, es ist auch unfassbar schön.
Welche sportliche Herausforderung reizt Sie noch?
Kelly: In den USA gibt es noch drei so genannte Hundertmeiler, die ich gerne machen würde: Das sind alles Klassiker, die man als Sammler von Wettkämpfen, wie ich es einer bin, braucht. Auch das Race across America würde ich gerne noch einmal fahren, dieses Mal solo.
- Themen:
- Arbeitslosigkeit
- Sat.1