Mein erstes Mal: König der Dreher

Wer zum ersten Mal in einem Rennauto sitzt und die Fliehkräfte am Nacken spürt – der versteht, warum sie Schumi am Comeback gehindert haben. Ein PS-starker Selbstversuch
von  Abendzeitung

Wer zum ersten Mal in einem Rennauto sitzt und die Fliehkräfte am Nacken spürt – der versteht, warum sie Schumi am Comeback gehindert haben. Ein PS-starker Selbstversuch

Zwischengas? Natürlich weiß ich, was Zwischengas ist. Ich bin schließlich Fiat 500 gefahren, den alten, die Knutschkugel. Einfach zwischen Kuppeln und Schalten kurz Gas geben, um dem unsynchronisierten Getriebe auf die Sprünge zu helfen beim Gang einlegen. Ein Kinderspiel also.

Und doch stehe ich jetzt hier. Mit schmerzenden Oberarmen, pochendem Herzen und zittrigen Knien. Durch das einen Spaltbreit geöffnete, lächerlich schmale und dunkle Visier dringt der Geruch von verbranntem Gummi, unter dem weißen Rennanzug, in dem ich mich wie in einem zu groß geratenen Baby-Strampler fühle, rinnt der Schweiß, hinter dem Rücken vibriert der Motor, ehe er mit einem fast schon beleidigten Poltern und Knacken den Geist aufgibt.

Keine zwei Minuten sitze ich in dieser Karre, und schon habe ich die Kontrolle verloren. Ein Dreher bei der Aufwärmübung, ein Dreher beim Einlenken in die Boxengasse, peinlicher geht’s nicht. Aber dieses Auto ist eben keine Knutschkugel, eher eine flache Flunder. Und im Heck knattern nicht friedlich 18 PS vor sich hin, sondern es pochen, fauchen und klacken aggressive 140 Pferdestärken, die das 500 Kilo leichte Wägelchen jederzeit in rund vier Sekunden von 0 auf 100 Sachen beschleunigen können – wenn sie nicht gerade von so einem blutigen Anfänger bei der Anfahrt in die Boxengasse gekillt werden.

Sebastian Vettel, die neue deutsche WM-Hoffnung war gerade 15, als er zum ersten Mal in so einem Formel BMW saß. Nico Rosberg, das wohl schnellste Mannequin der Welt, nicht viel älter. Ich wäre schon froh, wenn ich das Auto auf der Straße halten könnte ohne mich beim Bremsen und Runterschalten zu drehen.

Dabei klang die Theorie vorher so einfach. „Wamm, Wamm, Wamm!", erklärte der Instruktor vor dem Einsteigen das wegen des unsynchronisierten Getriebe notwendige Zwischengas. Vor der Kurve mit dem rechten Fuß auf die Bremse steigen – Wamm! Mit dem linken Fuß kuppeln – Wamm! Auf der Bremse bleiben, den Fuß abknicken und einen kurzen Gasstoß geben und gleichzeitig mit der rechten Hand den Schalthebel nach vorne drücken und einen Gang runterschalten – Wamm! Und das bei jedem Gangwechsel!

In der Praxis geschieht das alles irgendwie gleichzeitig. Oder auch nicht: „Du gibst beim Bremsen gleichzeitig Vollgas. Deswegen hast du dich gedreht. Hör auf damit“, sagt Jörg Müller. Der fährt normalerweise in der Tourenwagen-Weltmeisterschaft WTTC einen 3er BMW.

Heute versucht er, grobklotzigen Reportern das sinnliche Spiel mit den Pedalen beizubringen.

Dabei ist der Formel BMW erstaunlich komfortabel – wenn erstmal mit einer kleinen Turnübung die Beine in der Fahrzeugnase untergebracht, die Schultern irgendwie am Seitenaufprallschutz durchgezwängt sind und das Lenkrad befestigt ist. Und fahren lässt sich die Kiste viel einfacher als gedacht. Das Anfahren funktioniert wie beim PKW, das Beschleunigen und Hochschalten auch – nur eben viel schneller. Und wenn erstmal eine gewisse Geschwindigkeit erreicht ist und die profillosen Reifen das Auto auf die Straße kleben, ist auch das Lenken ohne Servolenkung ein Kinderspiel. Aber Beschleunigen kann jeder. Wer ein echter Racer ist, entscheidet sich beim Bremsen.

Am Ende des Tages werde ich mich noch drei Mal gedreht haben auf der Rennstrecke in Valencia. Das Wamm, Wamm, Wamm klappt zwar irgendwann, aber je weniger das Auto mich fährt und je mehr ich bestimme, wo’s lang geht, wird bald der Mut größer als das Können.

Die schnelle Kurve nach der Start-Geraden nehme ich irgendwann sogar im fünften Gang, ohne zu bremsen. Die Reifen quietschen, der Kopf fällt gegen die Seitenwand und ich spüre zum ersten Mal die Fliehkräfte am Nacken, die Schumi gerade am Formel-1-Comeback gehindert haben. Es geht gut. Und als ich in einer Rechts-Links-Kombination den Scheitelpunkt der Kurve verpasse und hart auf die Randsteine fahre, kann ich das Heck mit einem kurzen Ruck am Lenkrad einfangen.

„King of spin“ – König der Dreher, sagt Jörg Müller am Ende. Ich nehme es als Kompliment. Filippo Cataldo

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