Martin Luther: "Ja ich twittere! Die Wahrheit!"

Die Ideen: immer noch brandaktuell! Papst Franziskus? Der kann's nicht retten! Und twittern! Klar! Kurz vor den Feierlichkeiten zum 500. Jahrestag der Reformation ist Martin Luther natürlich in großer Zeitnot. Wir trafen den Theologen zwischen Tür und Angel nach seiner Predigt in der Wittenberger Schlosskirche, auf dem Marktplatz, wo er der AZ jovial konzentrierte zehn Minuten Grundsatzgespräch gewährte.
Adrian Prechtel |
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Martin Luther, wie ihn Lucas Cranach der Ältere auf der Feste Coburg malte.
dpa Martin Luther, wie ihn Lucas Cranach der Ältere auf der Feste Coburg malte.

Kurz vor den Feierlichkeiten zum 500. Jahrestag der Reformation ist Martin Luther natürlich in großer Zeitnot. Wir trafen den Theologen zwischen Tür und Angel nach seiner Predigt in der Wittenberger Schlosskirche, auf dem Marktplatz, wo er der AZ jovial konzentrierte zehn Minuten Grundsatzgespräch gewährte.

AZ: Herr Luther, 500 Jahre nach Ihrem Thesenanschlag laufen zwei Arm in Arm durch Deutschland: der Vorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands, Ihr Landesbischof Heinrich Bedford- Strohm, und Kardinal Reinhard Marx als Vorsitzender der katholischen Bischofskonferenz. Und Sie verkünden: Zwischen uns passt kein Blatt!
MARTIN LUTHER: Aber vor dem lutherischen Heinrich beim katholischen Abendmahl graut dem Herrn Marx! Da darf er nicht mit!

Sie bleiben also unversöhnlich?
Nein, weil ja nicht ich die Kirche spalten wollte, sondern eben nur reformieren. Aber als ich aus Rom als Ketzer für vogelfrei erklärt wurde, so dass mich jeder Spitzbub straffrei hätte wie einen Hund erschlagen können, da habe ich den Papstbrief am 10. Dezember öffentlich bei einer Eiche vor der Stadt verbrannt.

Die Katholiken: Eine Kirche der Heuchler!

Und jetzt, 2017, wird also doch Ökumene gefeiert? Schließlich gehören in Deutschland nur noch gut die Hälfte der Menschen einer christlichen Konfession an. Und in den neuen Bundesländern ist eine überwältigende Mehrheit konfessionslos. Da muss man doch zusammenhalten!
Die rechte, wahre Kirche ist ein kleines Häuflein. Nur die falsche Kirche ist prächtig und hat ein schönes Ansehen wie Sodom! Für Heuchelei gibt’s Geld genug. Wahrheit geht betteln. Ich habe schon vor 500 Jahren nach meiner Romreise gesagt: Man tut besser daran, seinem Nächsten einen Cent zu geben, als Petrus eine Kirche zu bauen. Aber dass wir Lutheraner ausgerechnet in meiner eigenen Heimat heute nur noch ein Häuflein sind, das erregt in mir heiligen Zorn! Und ich arbeite nie besser als durch Zorn inspiriert. Wenn ich zornig bin, kann ich besser schreiben, beten, predigen, weil so mein Geist schneller arbeitet, mein Verstand geschärft ist und alle weltlichen Sorgen und Versuchungen dahin gefahren sind. Es gehört dazu ein Löwenherz, unerschrocken die Wahrheit zu sagen und zu schreiben.

Gefällt Ihnen Papst Franziskus nicht? Er ist ja kein dekadenter Medici-Papst wie zu Ihren Zeiten Leo X.
Ich habe vor Kurzem eine Karikatur in einer Zeitung gesehen. Da deutet Franziskus auf mich und sagt: "Siehe, das ist mein Sohn!" Lustige Sache, aber das lenkt von den doch großen Irrwegen des Katholizismus ab: Gott will zwischen sich und uns Menschen keine Instanzen, keinen selbst ernannten Stellvertreter Gottes, keine Kirche, die behauptet, selbst heilig zu sein. Denn es gibt nur Gott und unser Gewissen! Und dann lehnen wir den unmenschlichen Zölibat ab sowie das weltabgewandte "Ora et labora" hinter Klostermauern, Anbetung von Heiligen und Reliquien...

Aber in der Frage, ob man durch gute Werke sich Seelenheil erkaufen kann, ist Ihnen die katholische Kirche doch schon sehr entgegengekommen.
Ja, das war meine befreiende Haupterkenntnis! All das: Geld spenden und den Dogmen folgen, Wallfahrten machen und Rosenkränze beten, dann wieder sauen und zur Beichte gehen: Das ist Heuchelei, die mit der Bibel nichts zu tun hat. Das habe ich abgeräumt und gesagt: Tut Gutes, weil ihr Christen seid, nicht weil ihr mit Gott einen Kuhhandel ums Ewige leben machen wollt! Habt keine Angst mehr vor Gott! Wer glaubt und sich bemüht, ist in der festen Burg seiner Liebe.

Ja, Gott ist der "liebe" und nicht der strafende!

Sie haben also wirklich Sie den "lieben Gott" statt des strafenden Gott erfunden?
Nein, nicht erfunden. Wiedergefunden! Denn der liebende Gott – und nicht der strafende oder drohende – ist ja seit Jesus Christus schon unter uns.
So ungefähr sagt das ein katholischer Priester auch.
Aber was ich nicht akzeptieren kann, ist, was ich von katholischen Freunden immer wieder höre: "Was hast du denn, Martin? Wir glauben doch alle an den gleichen Gott!"

Aber das stimmt doch!
Ja. Aber es kommt eben doch auf das Wie an: Wie glaubt man richtig an Gott? Und wenn man diese Fragen konsequent stellt, hat der Katholizismus wenig Bestand!

Vor welcher Instanz?
Gott, der Bibel und uns Menschen!

Das ist extrem!
Weißes erkennt man besser, wenn man Schwarzes dagegen hält. Und ich kannte echte Extremisten – wie meinen Freund Thomas Müntzer, der zum Aufstand aufgestachelt hat und abgedriftet ist.

Ich extrem? Da gibt es ganz andere!

Er hat Ihre Schrift "Von der Freiheit eines Christenmenschen" eben erst genommen und Revolution gemacht – mit Bauern und Lumpenproletariat!
Ich hatte gesagt: Eine christliche, geistliche Freiheit macht das Herz frei von Sünden, Gesetzen und Geboten. Das Evangelium übertrifft alle politische Freiheit, so wie der Himmel die Erde übertrifft. Müntzer aber und seine Bauern waren eine Art christlicher IS und wollten, Kirchenlieder singend, mordend und brandschatzend den Gottesstaat auf Erden ausrufen. Wer sich entgegenstellte, wurde gelyncht. Sie müssen sich die Situation bürgerkriegsähnlich vorstellen. Und da habe ich zu den damaligen Politikern gesagt: Stoppt sie, um des lieben Friedens und um Himmels Willen!

Sind Sie kein Pazifist?
Schwierig! Ein Christ muss auch ein Kriegsmann sein und sich mit den Feinden der Wahrheit in den Haaren liegen. Gleichzeitig gibt es keinen Weg zum Frieden, wenn nicht der Weg dahin schon friedlich ist. Sanftmut ist der Himmel, Zorn die Hölle, die Mitte zwischen beiden ist unsere Welt. Darum: Je sanftmütiger du bist, desto näher bist du dem Himmel. Aber wo Treue und Glauben in der Politik aufhören, da muss die Macht dann auch ein Ende haben.

Unsinnlich ist der Zölibat! Aber ist es unsinnlich, wenn man zum Sex rät und Kinder hat?

Der evangelischen Kirche wird vorgeworfen, unsinnlich zu sein.
Der Heilige Geist schafft einen neuen Mut, dass der Mensch vor Gott fröhlich wird. Unsinnlich war mein Leben, als ich ein mich marternder Augustinermönch war. Jahre später habe ich die "entlaufene Nonne" Katharina von Bora geheiratet: der größtmögliche Skandal, aber ein Fest! Und wir haben vier Kinder. Ist es unsinnlich, wenn man den Sex vom Geruch der Sünde befreit und augenzwinkernd rät, "zweimal die Woche schadet nicht!"?

Sind Sie eitel?
Leider, auch wenn es eine Todsünde ist! Aber als alle gesagt haben, "wir sind jetzt Lutheraner", habe ich klar gesagt: Wir sind Bettler, das ist wahr! Nennt euch nicht nach mir! Ich bin ein sündiger Madensack! Nennt euch einfach Christen! Und deshalb gefällt mir "evangelisch" als Gegensatz zu "katholisch" auch viel besser. Nur wer sich entscheidet, existiert. Und wir haben uns klar für das Evangelium selbst ohne Weihrauchnebel entschieden.

Sie sollen dem Teufel mehrmals begegnet sein?
Man muss dem Teufel das Kreuz ins Angesicht schlagen, so weiß er, mit wem er umgeht.
Der Beelzebub war sogar auf dem Scheißhaus, als mir die die Erkenntnis kam, dass wir völlig in Gottesgnade und Liebe aufgehoben sind. Und als ich das Evangelium auf der Wartburg in sechs Wochen zum Lesen für die Menschen ins Deutsche gefasst habe, waren Tod, Teufel, Sünd’ und Hölle ganz und gar verschreckt – und auch Rom.

Wer glaubt, braucht keine Kirche, die Vorschriften macht! Jeder ist ein Priester!

Heute ist es aber für alle selbstverständlich, die Bibel zu lesen. Und die Messe ist auch nicht mehr auf Latein.
Aber das ist ja meine zweite radikal befreiende Idee: Wir brauchen als Christen die Kirche überhaupt nicht! Wir brauchen nur das Wort Gottes. Jeder kann Pfarrer sein, wenn er vom Wort Gottes beseelt predigen will.

Twittern Sie, um das Evangelium und Ihre Ideen zu verbreiten?
Natürlich, es geht ja um die Wahrheit gegen Fake News! Kein Irrtum ist so groß, als dass er nicht seinen Zuhörer hat. Es ist ein ewiger Kampf: Die Welt ist wie ein betrunkener Bauer. Hebt man ihn auf der einen Seite in den Sattel, fällt er auf der anderen wieder herab. Oder ohnmächtige Zweifler sperren das Maul auf und lallen immer zu: "Wer weiß, wer weiß? Und wenn es gewiss wäre, was, wenn es missrät?" und dergleichen zaghafte Worte. Denn er hat kein Vertrauen zu Gott. Da muss man gegenhalten. Aber ich bin zuversichtlich: Der Wein ist stark, der König stärker, die Weiber noch stärker, aber die Wahrheit am allerstärksten.

Und wie feiern Sie das Reformationsfest am Dienstag?
Mit Wein, Weib, Freunden und Gesang! Und ich rufe: "Und wenn die Welt voll Teufel wär’ und wollt’ uns gar verschlingen, so fürchten wir uns nicht so sehr, es soll uns doch gelingen!"

Die Antworten sind großteils aus Originalzitate. Anderes wurde aus Luthers Gedankenwelt ergänzt und vom Reformator "autorisiert".

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