Marius Müller-Westernhagen: "Musik ist heute wie ein Bordell"
Marius Müller-Westernhagen zählt zu den erfolgreichsten deutschen Künstlern – und weiß, dass er mitunter als schwierig gilt. Dabei mache er einfach nur, was er wolle, sagte der 67-Jährige bei seinem „Unplugged“-Konzert, zu dem jetzt das Album erscheint.
Zum Interview kommt Westernhagen gut gelaunt, immerhin. Er erklärt, weshalb ihn die Musikindustrie an ein Bordell erinnert, warum er seinen eigenen Erfolg nicht mehr ausgehalten hat – und erzählt von alten WG-Zeiten mit Rainer Langhans oder Udo Lindenberg.
Ihre „Unplugged“-Show wirkt fast wie ein Familientreffen. Sie treten mit Ihrer Lebensgefährtin auf und das erste Mal überhaupt mit Tochter Mimi. Wie hat sich das angefühlt?
MARIUS MÜLLER-WESTERNHAGEN: Für mich war das relativ normal, weil ich das Private vom Künstlerischen trennen kann. Ich bin mit meiner Tochter oder meiner Lebensgefährtin genauso kritisch wie mit jedem anderen, wenn es um Musik geht. In dem Moment ist es jemand, der versucht, Kunst zu produzieren, und nicht mein Familienmitglied.
Lesen Sie auch: Alpinrock im Circus Krone - So war das Konzert von Hubert von Goisern
In den 90ern zogen Sie Massen in die Stadien. War der plötzliche Abschied von der großen Bühne eine Art Selbstschutz?
Ich habe 1999 aufgehört, weil ich das, was auf mich projiziert wurde, nicht mehr aushalten konnte. Das hatte nichts mehr mit mir zu tun. Da gerätst du in eine Rolle, die du nicht mehr ausfüllen kannst und nicht ausfüllen willst. Ich konnte und wollte das nicht mehr, es hat mich nicht mehr befriedigt, sondern nur noch getrieben. Und: Die Erwartungen an mich waren überzogen. Das war wie in Heiligen Messen. Die Leute haben mir ihre Kinder hochgehalten. Da wurde es mir unheimlich.
Und heute? Ich bin nicht dazu da, Erwartungen zu erfüllen. Meine einzige Verantwortung gegenüber dem Publikum ist, bei meiner Arbeit die bestmögliche Qualität zu erreichen. Das hat auch mit Schmerz zu tun. Man muss bis an den Punkt gehen, wo es wehtut. Eine andere Verantwortung habe ich nicht. Ich muss nicht jedem auf Facebook und Twitter sagen, dass ich ihn liebe. Das ist einfach nicht der Fall.
Lesen Sie hier: Helene Fischer auf Tour: Die Karten werden wohl bald knapp
Zum Unplugged-Konzert haben Sie auch Ihren alten WG-Kumpel Udo Lindenberg eingeladen. Mit ihm und Otto Waalkes haben Sie einst in Hamburg gewohnt, oder?
Udo und ich lernten uns kennen, als wir beide noch unbekannt waren. Aber ich hab nie wirklich in der WG gewohnt, sondern immer in dem Zimmer desjenigen geschlafen, der gerade verreist war. Wenn das nicht ging, gab es noch eine Dachkammer mit alten Zeitungen und einer Matratze – dann habe ich da übernachtet. Wir haben viel zusammen ins Glas geschaut und geredet.
Das ist ja nicht Ihre einzige WG-Erfahrung. Ein paar Jahre zuvor haben Sie als Regie-Assistent in München gearbeitet und bei Uschi Obermaier und Rainer Langhans in der Kommune 1 gewohnt. Wie kam’s?
Die Kommune 1 gab es damals schon nicht mehr. Aber die beiden lebten zusammen, das war zu der Zeit, als Uschi Obermaier die Affäre mit Mick Jagger hatte. Langhans schrieb damals an meine Produktionsfirma, weil alle Kiffer auf einmal anfingen, Super-8-Filme zu drehen. Ich wurde von meinem Chef da hingeschickt, um mal zu schauen, was die so machen. So habe ich eine Zeit lang bei denen gewohnt. Uschi Obermaier war zwischenzeitlich immer mal weg und Langhans hat so getan, als wäre er nicht eifersüchtig. Aber man konnte sehen, wie es ihn zerfressen hat. Beide waren sehr liebe Menschen.
Lesen Sie hier: Abschied von José Carreras
Sie sind seit fünf Jahrzehnten im Geschäft. Welche waren aus Ihrer Sicht die besten Zeiten für die Musik?
Ganz klar die 60er und 70er Jahre. Rock’n’Roll war damals an einem Punkt, durch die nächste Tür zu gehen und eine Kunstform zu werden, so wie es Jazz geworden ist. Mit Bob Dylan, Led Zeppelin, den Beatles, Jimi Hendrix und und und. Das sind alles Leute, die heute bei einem Major-Label wohl keinen Vertrag mehr bekommen würden, weil sie nicht in die Rundfunkformate passen. Die Qualität der Musik ist seither schon sehr runtergefahren worden. Für meine Begriffe aus Gier – weil die Musik zu einer reinen Industrie verkommen ist. Es hat nichts mehr wirklich mit Musik zu tun, es ist heute mehr wie in einem Bordell. Eine riesige Gruppe von Prostituierten biedert sich an – sowohl den Medien als auch dem Publikum.
Harte Worte.
Ich möchte niemanden verurteilen. Die junge Generation ist mit diesem Bewusstsein aufgewachsen: erfolgreich zu sein um jeden Preis. Geld zu machen um jeden Preis. Sie haben nicht mehr die Werte vermittelt bekommen, die mir mein Vater fast eingeprügelt hat: Der Kunst muss man dienen.
Warum mangelt es am Nachwuchs?
Ich glaube, da liegt es wieder an der Haltung: sein eigenes Ding durchzuziehen, koste es, was es wolle, aber nicht um den Preis der Anpassung. So ist Peter und so ist Herbert und so ist auch Udo. Und daran fehlt es, glaube ich, allzu oft, wenn Musiker den Glauben an sich verlieren, irgendwann aufgeben und sich dann fügen. Und das darf ein Künstler nie: sich fügen – um Gottes willen!