Maria Hellwig wird 90: Der Abend der Königin
Karl Moik singt, Patrick Lindner schwärmt, Stefan Mross ist verzaubert: In ihrem Geburtsort Reit im Winkl feiert Maria Hellwig, die „Mutter der Volksmusik“, mit Freunden ihren 90. Geburtstag.
Margot Hellwig ist nun seit über dreizehn Stunden auf den Beinen, eigentlich könnte sie eine Pause vertragen, aber das geht nicht. Es hat ja noch gar nicht richtig angefangen. Morgens um fünf klingelte das Telefon zum ersten Mal, ein Bekannter wollte der Mutter gratulieren, und seitdem hat es nicht aufgehört. Seitdem ist Margot Hellwig am Rennen.
Jetzt ist es kurz vor sechs, draußen, auf der abenddunklen Straße, verteilen sie Fackeln, hier drinnen, im „Kuhstall“, laufen alle umher: Thomas Berger prüft die Mikrofone, Bürgermeister Andreas Heigenhauser überfliegt seine Rede, Torsten Nitsche, der Vorsitzende des Fanclubs, richtet seine Krawatte, vorn, am Eingang, warten Rupert und Gregor, die beiden Enkel, auf die ersten Gäste. Gleich geht es los, aber Margot Hellwig setzt sich nun doch noch auf die Bank und atmet kurz durch. Dann spricht sie über ihre Mutter Maria.
90 Jahre alt ist Maria Hellwig geworden, diese Grande Dame der Volksmusik, die von ihren Fans liebevoll „Jodel Königin“ und „Mutter der Volksmusik“ genannt wird. Die Millionen Platten verkauft hat, gleich mehrere Generationen von Musikern prägte und ab den 70ern mit ihrer Sendung „Die Musik kommt“ Nachwuchskünstler förderte. Die mit fünf Jahren zum ersten mal auf der Bühne stand, später bei der Hamburger Volksoper engagiert war, danach eine Wanderbühne gründete und die am 9. Januar bei der „Krone der Volksmusik“ ihren bislang letzten Auftritt absolvierte. Vier Tage, nachdem sie in ihrem Gasthaus in Reit im Winkl gestürzt war.
„Meine Mutter ist mit Schmerzen aufgetreten“, sagt Tochter Margot, „wir sind danach gleich nach Hause gefahren und haben alle Termine abgesagt.“ Bis vor kurzem sei nicht sicher gewesen, ob der Geburtstag überhaupt so groß gefeiert werden könne. „Aber meine Mutter war schon immer eine Kämpferin. Über diese Feier wird sie freuen.“
Natürlich findet diese in Reit im Winkl statt, jener kleinen Gemeinde in Oberbayern, in der Maria Hellwig geboren wurde und in der sie eine Straße nach ihr benannt haben. Natürlich wird im „Kuhstall“ gefeiert, jenem Restaurant, das Hellwig 1964 mit ihrem 1996 verstorbenen Mann Addi eröffnete und das heute von Thomas und Eva-Maria Berger geführt wird – und natürlich nicht, wie Maria Hellwig sich es wünschte, im kleinen Familienkreis. Sondern mit hundert Gästen, Verwandten, Fans und Wegbegleitern.
Punkt 18 Uhr stehen die im Eingangsraum vom „Kuhstall“. Karl Moik und Caroline Reiber, Stefan Mross und Stefanie Hertel, Patrick Lindner, Lydia Huber und Maxi Arland. Die Großen der Volksmusik-Branche sind angereist, jeder von ihnen kennt Maria Hellwig seit Jahrzehnten. „Sie hat eine Bescheidenheit, die fast unerträglich ist“, sagt Produzent Hans R. Beierlein, der Maria Hellwig vor 30 Jahren zum ersten mal begegnete. „Sie ist einer der sympathischsten Menschen, die ich kenne“, erzählt Patrick Lindner, der die Sängerin vor 25 Jahren hier im Kuhstall traf. „Sie ist meine Tournee-Mama“, spricht Stefan Mross, der Maria Hellwig seit knapp 20 Jahren kennt. „Sie war mein Vorbild“, berichtet Marianne Hartl, die die Hellwig zusammen mit ihrem Mann Michael zum ersten Mal im Sommer 1973 in einem Berggasthof in Bad Reichenhall begegnete. Dort traten die zwei immer donnerstags als Nachwuchsduo auf. „Damals habe ich versucht, mich so zu kleiden und mich so zu bewegen wie sie, aber das funktioniert eben nicht. Maria Hellwig ist einzigartig, es ist unmöglich, sie zu kopieren.“
Exakt das hatte einem vorher Tochter Margot erzählt. Seit nun 47 Jahren steht sie gemeinsam mit ihrer Mutter, die eigentlich Opernsängerin werden wollte, auf der Bühne – und ist noch immer fasziniert von ihrer Ausstrahlungskraft. Wenig später weiß man, was Margot Hellwig damit meint.
18.30 Uhr mittlerweile, die Gemeindeblaskapelle schmettert los, die Fackeln sind allesamt entzündet, draußen hat sich ein Spalier gebildet, drinnen hat Andreas Heigenhauser einen Blumenstrauß in der Hand. Auftritt Maria Hellwig. Sie trägt Dirndl wie immer, hochgesteckte blonde Haare, winkt von einer Kutsche herab, bahnt sich dann den Weg durch die Menge und lässt sich zu ihrem Platz führen.
Auf diesem wird sie den ganzen Abend sitzen wie eine gelassene Königin auf ihrem Thron. Sie wird erzählen, dass es allein die Einstellung sei, die einen so alt werden lasse, die Liebe zur Musik und zu den Menschen. Sie wird sich wohlwollend anschauen, wie Freunde und Familie sich für sie ins Zeug legen – was diese rührend tun: Karl Moik singt ein Lied, dessen Text er strophenweise vergisst, Michael Hartls Geburtstagsansprache ist eine Liebeserklärung, die „Zellberg Buam“ legen los, später spielen sie den Zillertaler-Marsch. Maria Hellwig löffelt Rinderkraftbrühe, isst Zander, trinkt Bier. Sie sagt nicht viel an diesem Abend, an dem sie nicht auf der Bühne und trotzdem im Mittelpunkt steht, aber das macht gar nichts. Sie strahlt auch so.
Um halb elf Uhr nickt Maria Hellwig kurz zu ihrer Tochter, die die ganze Zeit neben ihr saß. Margot Hellwig steht auf, führt die Mutter raus. Im „Kuhstall“ ist die Feier lang noch nicht vorbei. Jan Chaberny