"Kommen wir endlich zur Besinnung": Gast erntet bei "Hart aber fair" lauten Applaus

"Sie kommen dran, aber ich bestimme die Reihenfolge." Louis Klamroth musste bei der "Hart aber fair"-Diskussionsrunde zu "Der Weg der Gewalt: Kann das Sterben in Nahost gestoppt werden?" mehrfach für Ordnung sorgen. Die Zweistaatenlösung, die Mitte der 90er-Jahre kurzzeitig Frieden im Nahen Osten versprochen hatte, betreffe auch die Palästinenser, meinte der Deutsch-Palästinenser Aref Hajjaj. Der ehemalige Mitarbeiter im auswärtigen Amt hatte allerdings nicht mit Klamroth gerechnet. Der wollte nämlich zuerst Simon Steins Meinung hören und ließ sich selbst dann nicht davon abbringen, als der ehemalige Botschafter Israels in Deutschland Hajjaj den Vorrang zu geben versuchte. "Nein, ich bestimme die Reihenfolge", beharrte der Moderator. Sein Wille geschah.
Simon Stein bei "Hart aber fair": "Wir müssen wir uns von den Palästinensern trennen"
"Um den jüdischen und demokratischen Charakter dieses Staates (Anm.: Israel) aufrechtzuerhalten, müssen wir uns von den Palästinensern trennen", liegt für Stein eine Zweistaatenlösung in weiter Ferne. Konkret meint er einen einseitigen Rückzug Israels aus besetzten Gebieten: Erstmal müsse man sich von der Region östlich des Zauns und die 20 Prozent Siedler zur Rückkehr bewegen. Zustimmung kam auch vonseiten Hajjaj, der endlich sprechen durfte. "Sie sind ein Israeli. Ich bin ein Deutsch-Palästinenser. Man kann sich verständigen", entgegnete er auf ein "Danke" von Stein.

Dass die Zweistaatenlösung unrealistisch wäre, darin stimmten die beiden überein. Es war die einzige Überschneidung. Da der Status-Quo nicht akzeptabel wäre, bliebe nur "etwas, das Sie nicht akzeptieren werden, weil Sie unbedingt wollen, dass Israel seinen jüdischen Charakter beibehält - trotz der Tatsache, dass es bereits jetzt 22 Prozent Nicht-Juden gibt vom Jordan bis zum Mittelmeer." Dieser Vorschlag würde in einem blutigen Bürgerkrieg zwischen Juden und Arabern münden, konterte Stein und schlussfolgerte: "Und am Ende kommen wir zum gleichen Ergebnis, dass wir uns trennen müssen."
Die militärischen Fähigkeiten der Hamas müssen zerschlagen werden
Während sich beim "Wie?" die Geister schieden, war sich die Diskussionsrunde von "Hart aber fair" in der Ausgabe vom 30. Oktober jedoch einig: "Es muss eine Form gefunden werden, damit beide Seiten friedlich miteinander leben", brachte es der ehemalige FDP-Bundesinnenminister Gerhart Baum auf den Punkt. Mit der Hamas allerdings wäre nicht einmal ein Mindestmaß an Frieden herzustellen. Deshalb müsse man die militärischen Fähigkeiten der Hamas soweit zerschlagen, dass es ihr auf Jahre hinaus unmöglich sei, nochmals anzugreifen, plädierte Terrorexperte Prof. Dr. Peter Neumann. Und auch Stein konnte dem nur zustimmen.

Kollektive Bestrafung?
"Für mich ist in erster Linie entscheidend, dass die Geiseln freikommen", lenkte Hajjaj die Aufmerksamkeit auf ein akutes Problem - untermauert von einem Interview mit der Schwester einer entführten jungen Mutter. Um die 230 bis 240 Geiseln der Hamas zu befreien, könnte seitens der Geldgeber und Freunde der Hamas Druck aufgebaut worden, In zweiter Stufe müsste "notfalls mit dem Teufel" Hamas verhandelt werden. so der Vorsitzende des Palästina-Forums, der lange Jahre im auswärtigen Amt tätig war.
Die geplante Bodenoffensive Israels hingegen wirke seiner Meinung nach aber wie eine "kollektive Bestrafung" und eine "Rache auf Kosten der Zivilisten": "Wir sind nicht die richtige Adresse, sondern die Hamas, die die Bevölkerung als Schutzschild benutzt", ließ Stein den Vorwurf nicht auf sich sitzen. Gleichzeitig betonte er, dass vor einer Bodenoffensive alle Mitteln ausgeschöpft werden müssten, um die Geiseln zu befreien. "Israel ist nicht der einzige Player im traurigen Spiel", stellte er klar, "es gibt Israel, die USA, die Hamas, Ägypten... - Israel kann nicht entscheiden, wie weitergeht."
Wegducken statt Farbe bekennen
Einen Versuch hat kürzlich die UN unternommen und in der Vollversammlung zur Waffenruhe aufgrund der humanitären Lage im Gazastreifen aufgerufen. Deutschland hatte sich der Stimme enthalten. Oder "sich weggeduckt" und sich aus der Verantwortung "als Holocaust-Land Farbe zu bekennen" gezogen, wie Baum kritisierte. Warum, wollte Louis Klamroth von Lamya Kaddor (B'90/Grüne, Bundestagsabgeordnete und Islamwissenschaftlerin) wissen: "Wir müssen die Tür offen halten nach diesem Einsatz", begründete sie. Von arabischer Seite hieße es immer, wenn Deutschland vermittle, dann auch mit ihnen. Überzeugen konnte sie damit die Diskussionsrunde nicht. "Kaddor verteidigt etwas, das sich schwer verteidigen lässt. Die Resolution war schief", sprach Neumann aus, was vermutlich einige dachten, "alle arabischen Staaten wissen, dass Deutschland auf Israels Seite steht."
"Kommen wir doch endlich zur Besinnung!"
Dass man das Szenario nach dem Krieg gegen Hamas im Blick behält, wäre seiner Analyse nach entscheidend, so Neumann. Wenn die Terrororganisation zerstört wǎre, bräuchte es einen Plan dafür, wie und wer den Gazastreifen regiert. Sonst würde er von anderen gefüllt, die möglicherweise die Region weiter destabilisieren. "Wir Israelis müssen Abschied davon nehmen, dass eine Normalisierung in den arabischen Staaten möglich ist, ohne dass das Palästinenser-Problem geklärt ist. Wir Israelis haben das Thema verdrängt", gestand Simon Stein. Wer das Vakuum fülle, wäre deshalb eine wichtige Frage - nicht nur für Israel. "Wir reden über globale Probleme", bestätigte Baum, "wir reden über den Kampf zwischen China und den USA, Einfluss zu gewinnen. Wir reden darüber, dass Russland und China eine autoritäre Weltordnung anstreben. Alles ist in Bewegung, und das ist nur ein Stück, worüber wir hier sprechen."
Über den Hass gegen Israel, der in weiten Teilen aufgeflammt sei, zeigte er sich entsetzt: "Die Welt ist aus den Fugen." Was nun passiere, schade allen, fürchtet Baum und appellierte unter Beifall im Studio: "Kommen wir doch endlich zur Besinnung!"
"Ganz kleiner Beitrag zum Optimismus"
Einen "ganz kleinen Beitrag zum Optimismus" leistete Terrorexperte Neumann zum Ende der Sendung: "Wenn Israel möchte, dass die Araber Verantwortung im Gaza-Streifen übernehmen und die Verantwortung an die palästinensische Autonomiebehörde übergeben, dann kann ich mir gut vorstellen, dass die Araber und Palästinenser dafür einen Preis verlangen. Der könnte zum Beispiel Zweistaatenlösung heißen." Es war ein positives Schlusswort, das Louis Klamroth sehr gelegen kam.