„Klugheit ist sexy“: Iris Berben im AZ-Interview
MÜNCHEN - Sie steht nicht auf Waschbrettbäuche, macht null Sport, ist arbeitssüchtig, mischt sich ein und gibt viel Geld für Kosmetik aus: Iris Berben im großen AZ-Gespräch
AZ: Frau Berben, Ihr neues Buch ist ein berührendes Plädoyer für Zivilcourage. Was tun Sie, wenn in Ihrer Nähe jemand angepöbelt oder tätlich angegriffen wird?
IRIS BERBEN: Ich will mich nicht brüsten, aber es gab Situationen, wo ich dazwischen gegangen bin. Da bin ich so wütend, da setzt etwas bei mir aus.
Das heißt, Sie reagieren instinktiv?
Ja, ohne die Situation abzuschätzen – wider alle Vernunft und gegen die Ratschläge der Polizei. Deshalb bin ich mit Beispielen zurückhaltend.
Gibt’s Gegenwehr?
Bisher nicht. Ich glaube dieses kleine Teilchen Wahnsinn, dass man dann entwickelt, das schützt einen davor und ist ein Überraschungseffekt.
Viele schauen weg, andere trauen sich nicht.
Dem Handy sei Dank. Es gibt heute so viele Möglichkeiten bei Ungerechtigkeiten zu reagieren, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen.
Die 24 Frauen, die Sie porträtieren, treten bis ins Extrem für ihre Überzeugungen ein. Eine tibetische Nonne, die für die Unabhängigkeit ihres Landes kämpft, musste 15 Jahre ins Gefängnis, wurde misshandelt. Ist das noch Zivilcourage?
Phuntsok Nyidron ist ein extremes Beispiel, aber ich wollte sie im Buch dabei haben. Sie hat einen großen Halt in ihrem Glauben, entwickelt dadurch übernatürliche Kräfte.
Die hatte die oppositionelle russische Journalisten Anna Politkowskaja nicht. Sie wurde 2006 für ihre Überzeugung erschossen.
Sie war mit ein Anlass für das Buch. Ich habe mich schon früh mit ihr befasst, Lesungen gehalten. Sie hat ihr Leben ihrer Idee untergeordnet.
Wie halten Sie's?
"Meine Überzeugungen sind Teil meines Lebens."
Ich mache meine Überzeugung zu einem Teil meines Lebens.
Was ist für Sie Zivilcourage?
Wachsam sein, im richtigen Moment den Tunnelblick vergessen. Merken, wenn jemand in Not ist und allein nicht weiter kommt. Aber. . .
Aber?
Ich bin keine Heilsgründerin, die sagt, so geht es. Zivilcourage kann man nicht einfordern, sie sollte selbstverständlich sein. Deshalb möchte ich Denkanstöße geben.
Wer hat Ihnen die ersten gegeben?
Meine Großmutter. Sie hat mir ohne viel Aufhebens vorgelebt, dass man hilft, wo man kann. Mein Schlüsselerlebnis: Meine erste Reise nach Israel. Mit 18. Ich traf dort Überlebende des Holocaust.
"Frauen sind schneller bereit, etwas zu ändern."
Sie engagieren sich seit Jahren gegen das Vergessen der Nazi-Greuel. Ihre Buch-Heldinnen kämpfen gegen Gewalt in der Familie, die Mafia. . . Nicht alle werden von den Partnern unterstützt. Sind Männer weniger mutig?
Ich glaube, dass sie genauso wütend sein können, aber sie wägen mehr ab. Frauen sind direkter, schneller bereit, etwas zu ändern. Sicher auch aus dem Bewusstsein heraus, dass man ihnen oft den Weg verstellt oder versperrt hat.
Sie geben 24 Frauen eine Stimme. Sollte es Promi-Pflicht sein, sich für minder Privilegierte einzusetzen?
Da müsste man erst mal selektieren, was Prominenz bedeutet. Es gibt Menschen, die leben auf dem roten Teppich.
Nehmen wir die Nicht-Poser.
Ihre Berühmtheit nutzt Berben um auf Missstände hinzuweisen.
Per se sollte man nichts einfordern. Andererseits wird es in unserer lauten Welt immer schwerer, gehört zu werden. Da kann Bekanntheit eine Chance sein, auf Menschen und Missstände hinzuweisen.
Wie wichtig ist dabei das Internet?
Ich bin nicht online.
Sie googeln nicht?
Ich habe keinen Computer, war noch nie im Internet. Dafür habe ich mein wunderbares Büro. Ich verweigere mich der WWW-Welt. Weil es für mich ein Kraftakt ist, zu selektieren, was medial auf mich einstürzt. Ich weiß oft nicht, wo und wie ich jede Stunde Nachrichten hören soll.
Briefe statt SMS und iPhone
Sie haben kein iPhone?
Nein, aber ich kann simsen. Lieber schreibe ich aber Briefe – mit der Hand.
Das ist jetzt gerade in.
Als Rosa Roth litten Sie zuletzt unter Tinnitus, im Kino sind Sie Betsy Buddenbrook, im ZDF demnächst Berta Krupp. Die nächsten Wochen drehen Sie in Mozambique Mankells „Kennedys Hirn“, im April gehen Sie auf Lesetour. Sind Sie arbeitssüchtig?
"Ich muss rennen."
Ich muss rennen, aber diesmal rennt's mit mir. Es haben sich Termine verschoben, deshalb ballt es sich. Irgendwann werde ich gezwungen sein, alles langsamer anzugehen.
Schwer vorstellbar bei Ihnen.
Für mich auch. Aber ich möchte es mir vorstellen.
Was genau?
Dass ich mehr Zwischenräume für mich habe, nicht mehr so gut funktioniere. Eigentlich bin ich eine spontane 68erin, keine disziplinierte Planerin. Nach der Lesetour nehme ich mir ein paar Wochen für mich.
Wo zieht Sie's hin?
"Bitte nicht ansprechen"
Das ist noch offen. Auf jeden Fall mit einem großen Schild um den Hals: „Bitte nicht ansprechen.“
„Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben“ – heißt's im Schlager.
Auch vor Paul, Ihren Hund?
Er macht gerade Ferien in einem bayerischen Hundehotel. Mozambique wäre zu anstrengend für ihn, er wird acht.
In Hundejahren ist er fast älter als Sie. Wie halten Sie sich jung?
Ich mache keinen Sport, gebe viel Geld für Tiegelchen, für Kosmetik aus.
Was finden Sie an einem Mann attraktiv?
Klugheit. Ein kluger Mann ist sexy. Gegen Jack Nicholson oder Paul Newman kommt kein Waschbrettbauch an.
Sie sind stets unter den Top 5 der Schönsten. Engt das ein?
Nein. Wenn's das einzige Attribut wäre, das den Leuten zu mir einfällt, würde ich ins Grübeln kommen. Aussehen ist eine Wahrnehmung, wie man auftritt. In meinem nächsten Film „Es kommt der Tag“ bin ich völlig ungeschminkt, eine müde Frau um 50.
Sie wirken hellwach. Woher nehmen Sie Ihre Kraft?
Pommes geben Energie
Ich kann das nicht mit einer Yoga-Übung beantworten oder gesundem Essen
Ihr Sohn Oliver ist jetzt Chef von Constantin.
Er ist so weit aufgestiegen. Ich bin sehr beeindruckt, wie er seinen Weg gegangen ist und sich von mir emanzipiert hat.
Wird er weiterhin Filme von Ihnen produzieren?
Kann sein, dass es schwerer wird, ihn ans Telefon zu kriegen. Aber ich habe da noch eine kleine Geheimnummer von ihm.
Interview: Renate Schramm
WEIBLICHES WIR–GEFÜHL
Zweieinhalb Jahre haben Iris Berben und Co-Autorin Nicole Maibaum für ihr Buch „Frauen bewegen die Welt“ (352 S., Droemer) weltweit recherchiert – und 24 unterschiedliche Frauen gefunden, die ein Wir-Gefühl verbindet: Mut und der Wille zu helfen. Für die Schauspielerin sind sie „Vorbilder“, die zeigen, dass man selbst – trotz allen Ämtern – „die beste Anlaufstelle ist, um sich einzubringen“.
Die gebürtige Detmolderin lebt, nach Jahren in München, mit ihrem Partner Heiko Kiesow in Berlin.