Karoline Schuch über Sühne-Sex, Tel Aviv und "Hannas Reise"

"Jude und behindert zählt doppelt", bei diesem Satz dreht es einem den Magen um. Im Interview erklärt Karoline Schuch, was sie von dieser Aussage hält.
von  (ili/spot)

Berlin - Kind oder Karriere? Die Frage stellt sich nicht immer, denn glaubt man wissenschaftlichen Studien, kommt das erste Kind oft relativ zeitgleich mit einem wichtigen Karriereschritt. In Karoline Schuchs Fall könnte das stimmen, sie ist ziemlich schwanger und am Donnerstag startet der witzige und wichtige Kinofilm "Hannas Reise" mit der 32-jährigen gebürtigen Thüringerin in der Titelrolle.

Karoline Schuch spielt auch in Til Schweigers "Schutzengel" - hier die DVD bestellen

Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur spot on news verrät die Schauspielerin, was es mit dem Sühne-Sex auf sich hat, wie es während der Luftangriffe in Tel Aviv war und warum der Kinofilm "Hannas Reise" so erfrischend besonders ist.

Sie haben in Israel gedreht. Haben Sie den ersten Tag ähnlich ungemütlich erlebt, wie Ihre Figur Hanna?

Karoline Schuch: Ich habe mich extra nicht auf das Land, sondern nur auf die Rolle vorbereitet, damit ich es ähnlich erlebe wie Hanna im Film. Nur zwei Tage nach der "Schutzengel"-Premiere bin ich in Tel Aviv gelandet. Weil es zwei Wochen vor Drehbeginn war und die anderen Crew-Mitglieder noch gar nicht da waren, war ich komplett alleine. Die Stadt war mir anfangs viel zu hieß, zu laut, zu anstrengend. Meine erste Wohnung war dann noch total schlimm und im Supermarkt konnte ich auf den Etiketten der Lebensmittel nichts lesen. Somit war es anfangs sehr einsam und trostlos für mich.

Was hat Ihnen dann geholfen?

Schuch: Grundsätzlich ist das Wetter schon ziemlich toll, der Stadtstrand ist auch super und wenn du dann in der Mittagspause mal schnell ans Meer kannst, ist das schon sehr schön. Außerdem waren das Team und die Kollegen fantastisch.

Bombenschutzräume und die Angst vor Explosionen sind Realität. Wie hat sich das angefühlt?

Schuch: Dass die Wohnung eine bruchsichere Eisentür hatte, war nur ein Vorgeschmack. Wir haben es dann auch ganz real erlebt. Während der letzten Drehtage sind Raketen aus dem Gazastreifen abgefeuert worden. Ich habe vier Luftangriffe miterlebt und das muss ich in meinem ganzen Leben nicht mehr haben. Das war keine schöne Erfahrung.

Wie haben die Einheimischen reagiert, sind sie entspannter damit umgegangen?

Schuch: Während der 30 Sekunden, die du Zeit hast vom Alarm bis zum Einschlag der Bombe, habe ich keine entspannten Leute gesehen. Irgendwo schlägt die Bombe dann ein, da knallt es ganz laut und das hört man auch überall. Dann schauen alle auf ihr Handy, wo es war, und wenn sie dort niemanden kennen, gehen sie wieder ganz normal ihrem Tagesgeschäft nach.

Wie sehr haben Sie sich vor Drehbeginn mit dem Holocaust auseinandersetzt?

Schuch: In Deutschland nicht mehr als sonst auch, dieses Thema ist ja immer sehr präsent. Als ich dann vor Drehbeginn schon allein in Israel war, bin ich zur Yad Vashem Gedenkstätte in Jerusalem gegangen. Dieses Erlebnis hat mich nachhaltig beeindruckt. Als ich gemeinsam mit jungen Israelis vor den Vitrinen stand, war das schon noch mal eine ganz andere Konfrontation mit Schuld und Vergangenheit.

Sie sind aus einer Generation, die nicht involviert war. Oft heißt es dann, dass man ja nicht für immer büßen kann. Was halten Sie davon?

Schuch: Eine Schwierigkeit ist sicher, dass alle, die älter sind oder sich sehr gut auskennen, so eloquent darüber reden, dass man denkt, nicht mehr wirklich etwas beisteuern zu können. Dass man dann so eine Art Schutzmauer um sich herum aufbaut und sagt "Lasst mich damit in Ruhe!", finde ich verständlich. Es geht gar nicht unbedingt darum, dass wir nichts damit zu tun hatten. Man hat mehr damit zu tun, als einem lieb ist, aus dem einfachen Grund, weil man Deutscher ist. Zum Beispiel finde ich es auch in Ordnung, dass man sich hier immer noch keine Deutschlandfahne aus dem Fenster hängen würde - außer bei einer WM vielleicht. Auch meine Generation hat anscheinend das Gefühl, dass man das noch nicht "darf".

Haben Sie bei Ihrer eigenen Familie nachgefragt?

Schuch: Meine Großeltern konnte ich nicht mehr fragen, die sind schon verstorben. Es war aber eher ein Thema, das in meiner Familie nicht groß besprochen wurde. Mein Opa war in russischer Gefangenschaft. Ich weiß aber nicht, inwieweit er stärker involviert war. Das hat man einfach nicht gefragt, was mir im Nachhinein leid tut. Interessanterweise hat mein Filmpartner Doron Amit (Itay) aber auch wenig mit seinen Großeltern darüber geredet. Da wurde auch viel verschwiegen und das sind Holocaustüberlebende. Es ist schon verblüffend, dass offenbar auf beiden Seiten so ein starker Verdrängungsmechanismus eingesetzt hat.

An einer Stelle heißt es "Jeder über 70 hat eine krasse Geschichte". Müsste man nicht viel mehr aufschreiben?

Schuch: Ja, aber es ist eben die Frage, ob die Menschen bereit sind, darüber zu reden. In dem Altersheim, in dem wir gedreht haben, gab es tatsächlich viele, die das nicht mehr machen wollen. Auch meine Schauspielkollegin Lia König (Gertraud) war sehr redselig, wenn es um ihre Theaterkarriere ging, beim Thema Holocaust und was sie in der Zeit erlebt hat, war sie deutlich verschwiegener. Aber das muss man den Menschen auch zugestehen, wenn der Schmerz bei der Erinnerung zu stark ist. Es gibt aber auch ältere Menschen, die einem viel erzählen.

In "Hannas Reise" werden auch Witze über das Thema gemacht. Wie war das für Sie?

Schuch: Dieser unverkrampfte Umgang mit den schweren Themen hat mich total befreit. Als bei einer Preview auf dem Filmfest in Hof das komplette Kino bei mehreren solcher Passage gelacht hat, habe ich mich sehr Freude.

Der "Sühne-Sex" ist sicher so ein Lacher gewesen. War der Umgang der jungen Menschen miteinander dort tatsächlich davon geprägt?

Schuch: Erlebt habe ich das nicht. Nicht zu leugnen ist aber, dass die Israelis extrem auf blonde Frauen stehen, umgekehrt finden die Deutschen aber auch Israelis total heiß. Da ist eine große Anziehungskraft zwischen Berlin und Tel Aviv und ich finde es sehr schön, dass das wieder möglich ist.

"Jude und behindert zählt doppelt", ist ein anderer krasser Satz im Film...

Schuch: Ja, aber so reden wir doch, wenn kein Mikro an ist. Das ist ein furchtbarer Satz, aber in dem Kontext stimmt er einfach. Der Film bricht mit ein paar Tabus. Die Folge ist, dass man die Themen wieder lebendig diskutieren kann - zumindest wünsche ich mir das.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.