Käßmann: Der Rücktritt

Trotz ihrer Trunkenheitsfahrt wurde Bischöfin Margot Käßmann von zahlreichen Protestanten gedrängt, in ihren Ämter zu bleiben – vergebens. Am Mittwoch um 16 Uhr trat sie zurück.
von  Abendzeitung
Tritt vom Amt der Ratsvorsitzenden der evangelischen Kirche in Deutschland zurück: Margot Käßmann
Tritt vom Amt der Ratsvorsitzenden der evangelischen Kirche in Deutschland zurück: Margot Käßmann © ap

BERLIN/HANNOVER - Trotz ihrer Trunkenheitsfahrt wurde Bischöfin Margot Käßmann von zahlreichen Protestanten gedrängt, in ihren Ämter zu bleiben – vergebens. Am Mittwoch um 16 Uhr trat sie zurück.

In einer nächtlichen Telefonkonferenz hatte ihr der Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) das Vertrauen ausgesprochen. Kirchenobere und zahlreiche evangelische Gläubige forderten Margot Käßmann zum Verbleib in ihrem Amt auf – ähnlich wie viele AZ-Leser. Doch gestern um 16 Uhr zog die Bischöfin die Konsequenzen aus ihrer nächtlichen Trunkenheitsfahrt vom Samstag: Die 51-Jährige trat von ihrem Amt als EKD-Ratsvorsitzende zurück, laut „SZ“ auch von ihrem Posten als Landesbischöfin von Hannover.

Erst die Konferenzen – dann der Katzenjammer: In den entsprechenden Gremien der evangelischen Kirche herrschte gestern hektische Betriebsamkeit. Bereits am Vorabend hatten die 14 Mitglieder des EKD-Rates Käßmann trotz ihrer 1,54-Promille-Fahrt das Vertrauen ausgesprochen – ihr aber indirekt den Rücktritt nahe gelegt: „In ungeteiltem Vertrauen überlässt der Rat seiner Vorsitzenden die Entscheidung über den Weg, der dann gemeinsam eingeschlagen werden soll“, hieß es in der anschließend verbreiteten Mitteilung der EKD. Wenn in dieser Form von einem Bundesliga-Club dem Trainer das „Vertrauen“ ausgesprochen wird, heißt das in der Regel, dass er kurz danach doch fliegt.

Käßmann hatte schon am Vortag alle Termine für die nächste Zeit abgesagt, der Rat wollte sich am Freitag und am Samstag bei einer routinemäßigen Tagung noch einmal mit dem Fall befassen. Doch dem kam Margot Käßmann zuvor.

Auch sie hatte sich den ganzen Tag beraten – mit Kirchenoberen und Menschen aus ihrem engen Umfeld. Um 16 Uhr gab sie das Ergebnis ihres Nachdenkens bekannt, schon um 14.22 Uhr lief über die Nachrichtenagenturen die erste Eilmeldung „Käßmann tritt zurück“.

Der Katzenjammer nach dem Käßmann-Rücktritt war groß: Der einflussreiche Wittenberger Theologe Friedrich Schorlemmer bedauerte ausdrücklich die Entscheidung der Bischöfin. Der „Leipziger Volkszeitung“ sagte er: „Für sie persönlich ist der Schritt richtig. Für uns alle, für den Protestantismus ist die Entscheidung schlecht. Sie ist ein sehr herber Verlust für die Christen in Deutschland.“

Gleichwohl könne er die persönlichen Gründe Käßmanns für ihren Rücktritt verstehen. Schorlemmer kritisierte dabei die Scheinmoral in Deutschland. „Diejenigen, die jetzt so tun, als könne ihnen gar nichts passieren, gefallen sich in einer moralischen Pose der Überlegenheit gegenüber denen, die sich falsch verhalten. Ich wäre da sehr vorsichtig.“

Auch der hessische Kirchenpräsident Volker Jung bedauerte den Rücktritt. „Sie ist ein sympathisches Gesicht für unsere Kirche. Die Fahrt unter Alkohol kann man allerdings in dieser Form nicht entschuldigen“.

Persönlich steht die 51-Jährige vor einem Scherbenhaufen: Gekämpft hat sie jahrzehntelang – für die Kirche, für soziale Anliegen im Inland und der dritten Welt, für ihre Karriere als Frau in einer vielfach noch männerdominierten Kirche. Anders als bei dem Streit um die Afghanistan-Politik, ist sie ohne jede Verteidigung: An dem Promillewert lässt sich nichts herum deuten.

Mit ihrem Rücktritt beweist sie persönlich Stärke und bewahrt sich und die Kirche vor einer kräftezehrenden Debatte (mit Schlagzeilen: „Wer Wasser predigt und Wein trinkt“) darüber, wie viel sich ein Kirchenmensch als Vertreter moralischer Instanz an Fehltritten erlauben kann.

mh

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