Helmut Dietl: Erinnerungen eines berühmten Freundes

Vor knapp eineinhalb Jahren verstarb der große Helmut Dietl. Nun erscheint seine Autobiografie. Sein guter Freund, Autor Patrick Süskind, hat das Nachwort dazu geschrieben und denkt an wichtige Stationen in Dietls Leben zurück.
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Am 30. März 2015 starb der große Münchner Regisseur Helmut Dietl im Alter von 70 Jahren an Lungenkrebs. Er war schon von der Krankheit gezeichnet, als er - ein letzter Schaffensakt - seine Autobiografie niederschrieb. Das Buch mit dem Titel "A bissel was geht immer" (Verlag Kiepenheuer & Witsch) wird von seiner Witwe Tamara Dietl herausgegeben und erscheint am kommenden Donnerstag.

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Der Schriftsteller Patrick Süskind (67, "Das Parfüm"), einer der engsten Freunde Dietls, hat ein beeindruckendes Nachwort geschrieben, das die "Süddeutsche Zeitung" vorab veröffentlicht hat. Darin schildert Süskind, der gemeinsam mit Dietl die Drehbücher für die legendären TV-Serien "Monaco Franze - Der ewige Stenz" und "Kir Royal" sowie für die Kinofilme "Rossini - oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief" und "Vom Suchen und Finden der Liebe" verfasst hat, verschiedene Episoden im Leben des Kultregisseurs.

Erste Begegnungen

1975 bekam Patrick Süskind, so erinnert er sich, von der bayerischen SPD den Auftrag, die Wahlkampfbroschüre "Das andere Bayern" redaktionell zu betreuen. Außerdem sollte er den Nachwuchsregisseur Helmut Dietl, der gerade mit der TV-Serie "Münchner Geschichten" für Furore gesorgt hatte, als Autor gewinnen. Bei einem ersten Treffen, bei dem Dietl sichtlich unter Stress stand, weil er den goldenen Mercedes seiner Frau "zammg'fahren" und deshalb ein "Rieseng'schiss" mit Polizei und Abschleppdienst hatte, fragte der Regisseur, ob er, Süskind, nicht für ihn, Dietl, arbeiten wolle. Süskind solle ihm "was Geschriebenes" schicken, damit man dann "ein bissel reden" könne.

Das zweite Treffen fand dann in der pompösen Wohnung Dietls, in einer Seitenstraße des Münchner Prachtboulevards Maximilianstraße statt. Dietl bat Süskind, mit ihm einen großen, "mit Manuskripten, Zetteln und Büchern übersäten" Schreibtisch zu verrücken, "...weil Sie grad da sind."

Es war Süskinds erste Aufgabe bei Helmut Dietl. "Unsere nächsten vier, fünf, sechs Treffen begannen immer wieder mit dem Verrücken des vermaledeiten Schreibtischs, mal in diese, mal in jene Ecke, mal schräg, mal rechtwinklig zur Wand, mal quer zur Mitte, mal längs..." Dietl trat dann zur Feinabstimmung zurück und dirigierte Süskind: "... bissel weiter nach rechts!... Nein, zu viel... bissl weiter vor... Halt! Genau so ist's richtig! Danke."

Ehefrau Püppilein

Helmut Dietl war viermal verheiratet. Seine zweite Ehefrau war die Schauspielerin Barbara Valentin (1940-2002), die als Busenstar, Muse von Rainer Werner Fassbinder und Lebensabschnittsgefährtin des Queen-Sängers Freddie Mercury bundesweit bekannt wurde. Dietl nannte sie "Püppilein". "Von einem Püppchen", schreibt Süskind, "hatte sie freilich, außer einem runden vollen Gesicht, so gar nichts an sich: eine Frau von dominanter, aggressiver Weiblichkeit, eine starke, manchmal furchterregende Persönlichkeit, gewohnt und fordernd, im Mittelpunkt zu stehen und begehrt zu werden, dazu eifersüchtig und gelegentlich, nein, häufig zu Äußerungen und Ausbrüchen unfassbarer Vulgarität neigend."

"Da auch der junge Dietl eher zur Kategorie der eifersuchtsgeplagten Choleriker zählte, kam es zwischen den beiden sowohl im heimischen Boudoir als auch in der Öffentlichkeit - etwa in einem Restaurant - nicht selten zu Auseinandersetzungen der lautesten und derbsten Art, sodass der anwesende Dritte sich nur eilends empfehlen konnte, um nicht vor Scham im Boden versinken zu müssen."

Sein Lebensstil

Süskind beschreibt Dietl in seinem Nachwort als hyperaktiven Charakter. "Untätigkeit, Nichtstun, Ausspannen, Abschalten, kurz das, was man mit Urlaub bezeichnet, oder, schlimmer noch, mit 'Wellness', 'sich wohlfühlen', 'Seele baumeln lassen' und dergleichen, war ihm nicht nur ein Horror, er war zu solcher Lebensführung schlicht nicht fähig. Selbst im Schlaf werde er, wie er sagte, regelmäßig zwischen drei und fünf Uhr morgens von Dämonen heimgesucht, mit denen er sich auseinandersetzen müsse. Wenn zu bestimmten Anlässen, etwa bei Familienfestivitäten oder Essenseinladungen, es die bürgerliche Konvention erforderlich machte, oder es zumindest wünschenswert erscheinen ließ, gute Miene zum ermüdenden Spiel zu machen, verlor er immer wieder die Selbstbeherrschung und konnte geradezu ausfallend werden."

Der Tod der Mutter

"Lebenslänglich lebenswichtig" war für Dietl seine Mutter Else. Sie besorgte ihm den Haushalt, machte die Wäsche, bügelte. "Sie trug eine Schürze, und ich hielt sie für die Putzfrau", schreibt Süskind. "Zu unscheinbar schien sie mir, zu selten sprach er von ihr." Else Dietl starb 1976 völlig überraschend mit 57 an einem Herzinfarkt, und Süskind bekam einen Anruf. "Es war schon fast Mitternacht, und als ich abhob, hörte ich einen Schrei, so laut und gequält, als würde jemand erstochen, und der Schrei ging über in ein Schluchzen und Stöhnen, und da erst erkannte ich, dass er es war, glaubte zunächst, er sei in Lebensgefahr, und frage, was geschehen sei, dann kam, von Schluchzen unterbrochen, die Antwort: 'Meine Mutter ist tot.'"

Zwischen Dietl und seiner Mutter müsse ein "unerschütterliches, nie infrage gestelltes Liebesverhältnis" geherrscht haben. "Mit der zarten Fessel des Vertrauens" habe sie ihn "immer an die Kandare" nehmen können. "Aber diese Bindung war wohl nicht nur Kandare oder Fessel, sie war für ihn - um im Bild zu bleiben - Ankerkette oder existenzielles Halteseil. Jedenfalls verlor er nach dem Tod Mutter diesen Halt. Er stürzte regelrecht ab. Er betäubte sich mit Arbeit ('Der ganz normale Wahnsinn' entstand damals), betäubte sich mit Alkohol, putschte sich auf mit allerlei Substanzen, stürzte sich in ein erotisches Abenteuer nach dem anderen."

"Die Ehe mit Püppilein war nur noch eine gegenseitige Zerfleischung. Er zog aus, wohnte in Hotels, Pensionen, bei Freundinnen oder Freunden, manchmal da und dort in täglichem Wechsel wie ein Gejagter, überdreht und verzweifelt zugleich. Er machte die Nacht zum Tage, verfiel erst um sechs Uhr morgens vermittels Tabletten in einen komatösen Schlaf, der bis vier Uhr nachmittags dauern konnte. Er nahm immer weniger Rücksicht auf seine Umgebung, noch weniger Rücksicht auf sich selbst, magerte ab, setzte nicht nur seine Gesundheit, sondern tatsächlich sein Leben aufs Spiel. Das Ganze dauerte fast drei Jahre. Es war ihm nicht zu helfen."

Abschied

Auch an seine letzte Begegnung mit Dietl denkt Süskind in seinem Text zurück: "Er lag im Bett, halb aufgerichtet, gestützt von unzähligen weißen Kissen. Es gibt Bilder des alten Heine mit blassem, magerem Gesicht und grauem Bart. So sah er aus... Die späte Märzsonne schien zum Fenster herein, ein fast heiteres Ambiente. Wir unterhielten uns zwei Stunden lang wie früher, sprachen über alles und jedes, lachten auch und machten kleine Witze. Wir sprachen auch über den Tod, aber nur als Hypothese, obwohl wir wussten, dass er eine imminente Gewissheit war."

"Als ich aufbrach, bat er mich, die Vorhänge ein wenig zuzuziehen, da ihn die untergehende Sonne blendete... Er überwachte und dirigierte alles aufs Genaueste... Dann wollte er noch, dass ich ein Fenster öffnete, aber nicht zu weit... Da waren zwei Fenster. Ich ging zum linken. - Nein, das andere, rechts! Aber nicht zu weit! Ich ging zum rechten und öffnete es einen Spalt weit. - Ein bissel weiter! ... Noch weiter... nein, zurück... halt! Genau so ist's richtig. Danke! - Wir verabredeten uns für den nächsten Tag zur selben Stunde, dann ging ich."

"Am nächsten Vormittag rief er mich an, er sprach sehr langsam, es tue ihm leid, sagte er, ich könnte heute nicht kommen, er müsse den Termin absagen, er habe zu viel um die Ohren, Arzt, Krankenpfleger und das ganze G'schiss ... nächste Woche vielleicht - 'Dann bis nächste Woche! Genau. Mach's gut!' Das war's."

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