Helmut Berger, der Unersättliche
Wie kommt einer, der als schönster Mann der Welt galt, auf seine alten Tage ins RTL-Dschungelcamp? Berger (68), die gierige und unberechenbare Diva, porträtiert vom Weggefährten Graeter.
München - Meist schläft er hier bis mittags. Die kleine Eigentumswohnung in Anif bei Salzburg, wo in der Nachbarschaft die zurückgezogen lebende Maestro-Witwe Eliette von Karajan zu Hause ist, gehörte seiner Mutter.
Helmut Berger, der dort lebt, obwohl er wieder mit Rom liebäugelt, wo er früher wohnte, hatte das schuldenfreie Apartment seiner Mama „Hedi“ geschenkt, die er über alles liebte und für die der feinfühlige Schauspieler mit Akribie in aller Welt Geschenke aussuchte.
Als Hedwig vor drei Jahren starb, vererbte sie ihrem Sohn die Wohnung – mit dem Makel, dass oft der Fahrstuhl ausfällt. Das machte Mama fuchsteufelswild, das belästigt auch Helmut, den letzten deutschsprachigen Weltstar, der mit seiner neuesten Rolle imagemäßig in den Keller fährt: ins Ekel-Eldorado „RTL-Dschungelcamp“ (AZ berichtete).
Exzesse gehören für den besonderen Menschen Berger wie Knöpfe zum Regenmantel. Man kann sich über ihn aufregen, man kann ihn verlachen oder ihn nicht mal ignorieren. Das Dschungelcamp-Engagement für 70 000 Euro Gage plus (die sicher benötigte) anschließende Kur ist ein Cut, nicht mehr von dieser Welt. Wie kann man so weit fallen, oder besser, sich so fallen lassen?
Natürlich wird Helmut auch in Australien unter Kröten und Kakerlaken der Star sein. Mitleid ist ihm gewiss. Ein Außerirdischer im Trash. Ich, der ihn wortreich von dieser Höllenfahrt abhalten wollte, riet Berger, wenigstens während der ganzen Fernseharbeit nur seine Lieblingssprache Italienisch zu sprechen, weil ihn dann kaum jemand versteht.
Ich lerne Helmut Berger in den 60ern bei Dreharbeiten in Roms Cinecitta kennen. Diszipliniert wie ein Preuße ist er immer als erster am Set, beherrscht seine Texte aus dem Effeff. Er ist der Lover, Lebensgefährte und Langzeit-Hauptdarsteller des perfektionistischen Meisterregisseurs Luchino Visconti, ein begnadeter Maler mit der Filmkamera, ein Fürst, dessen Clan Helmut auf den Tod hasst, obwohl der Grandseigneur und der Dorian Gray ein vortreffliches Gespann sind beim Filmen und beim Feiern.
Sie pflegen Dolce Vita auf oberstem Niveau, und im Privatleben kommt es höchstens mal zu Eifersüchteleien, wenn Alain Delon oder auch Roger Fritz aus München zu Besuch erscheinen.
Rauschfrei ist Berger, die männlichste Diva der Welt, ein Juwel: gescheit, geschmackssicher, großzügig. Zum Mephisto wird er, wenn in seinen Adern Fremdstoff zirkuliert. Dann kommandiert er wie einst in München „Trader Vic's“-Kellner wie Leibeigene, und die lassen sich das komischerweise gefallen.
Sein Charme kann so hinreißend sein, dass er alle Frauen dieser Welt bekommen kann, wenn er denn will. Unstillbar nach allen Richtungen. Gut aussehende Gents gefallen ihm besser. Nur homosexuell dürfen sie nicht sein. Er sucht den heterosexuellen Mann, den er verführen will. Neben Rudolf Nurejew und Mick Jagger und ein paar weniger bekannten Rock-Stars fügen sich Elizabeth Taylor, Britt Ekland, Ursula Andress, Marisa Mell, (mit ihr gibt es herrliche Nacktfotos), Anita Pallenberg und Jerry Hall in seinen Reigen. Auch Marlene Knaus, Niki Laudas spätere Ehefrau, kann angeblich nicht nein sagen.
Berger, das filmische Kunstwerk in den Klassikern wie „Die Verdammten“, „Gewalt und Leidenschaft“, „Ludwig II.“ (mit Romy Schneider) oder in Arthur Cohns Film „Der Garten der Finzi Contini“, ist unwiderstehlich, aber auch hemmungslos. Mitten in Rom lässt er sich von einer heißblütigen Italienerin eine französische Ansprache verpassen, im Bild festgehalten von Paparazzi.
Mehr oder minder versehentlich heiratet er die 13 Jahre jüngere Schauspielerin Francesca Guidato. Im Münchner Hotel „Vier Jahreszeiten“ hat Berger vielleicht heute kein Hausverbot mehr. Es besteht lange – wegen eines nötig gewordenen Umbaus: Das kostbare Inventar seiner Suite muss für ein spontanes Dschungel-Fest herhalten, wohl eine Frühübung für den RTL-Urwald von heute.
An die zehn Ladys, darunter Prinzessin Johanna zu Sayn-Wittgenstein (spätere Frau Flick, noch spätere Frau Douglas und noch viel spätere Frau Walter), und Rosemarie Springer (Zeitungs-Dynastie) haben Pretty Helmut in ihrer Mitte. Man geht so richtig aus sich heraus. Gobelins werden von den Wänden gerissen und zum Kostüm umfunktioniert. Die Lüster dienen als Lianen, mit deren Hilfe zehn Frauen und ein Mann den Tarzan machen. 90000 Mark stehen anschließend auf der Rechnung unter „Extras“, darunter der Vermerk: „Bitte besuchen Sie uns nicht wieder.“
Als Luchino stirbt, sind die Viscontis schuld an Bergers tiefer Krise; ungeklärt bis heute bleiben Luchinos Verfügungen, die den Geliebten und Geschätzten betreffen. Wenn ein Vermögen geflossen wäre, würde Helmut sicher nicht im Dschungelcamp das Rampenlicht suchen. Ohne Mann und Meister fehlt ihm, ohne dass er es wohl selbst verspürt, das Hundertprozentige.
Wegen Unzuverlässigkeit am Set scheitert nach einem Jahr (1983/84) seine Mitwirkung in der amerikanischen TV-Serie „Denver-Clan“. Aus ähnlichem Grund nimmt Regisseur Helmut Dietl Abstand davon, ihn als „Baby Schimmerlos“ für seine Serie „Kir Royal“ zu engagieren: Nach dreimaligem Treffen in Los Angeles scheitert das Vorhaben. Dabei wollte Helmut sogar zwei Stars wie Linda Evans und Joan Collins, mit denen er befreundet ist, für Rollen in „Kir Royal“ mitbringen.
Einmal bei den Filmfestspielen in Cannes verabrede ich mich mit Helmut um 18 Uhr im „Carlton“. Der Portier reicht mir am Empfang den Hörer, am Apparat ist Berger: „Komm rauf, wir sind noch beim Frühstücken!“
Das Zimmermädchen öffnet die Suite, und im schneeweißen Kingsize-Bett sitzen in weißen Bademänteln Berger und Bianca Jagger, die abhanden gekommene Ehefrau des Ober-Stones Mick Jagger.
„Komm, zieh dich aus, setz dich dazu, frühstücke ein bisschen, wir haben noch Zeit für die Party in St. Maxime“, sagt Helmut. Bianca lächelt etwas verlegen herüber, als ich mich an den Doppelbettrand wie befohlen niederlasse. Das Zimmermädchen bringt frischen Kaffee und noch ein paar warme Croissants ans Bett.
Der einzige, der unentwegt spricht, ist Berger. Bianca hört stumm zu, streicht ein Marmeladebrötchen, und ihrem Gesicht kann ich ablesen, dass mein Besuch von Helmut nicht angekündigt gewesen ist. Berger in seiner hinreißenden Art hat das nicht für wichtig erachtet. Er sieht es als selbstverständlich an, als ob wir schon immer zu dritt im Bett frühstücken würden. Bianca zieht sich allerdings nach Verzehr ihres Omelette lächelnd ins Bad zurück.
Es wird noch ein sehr lustiger Abend. Das Motorboot, das uns zur Party bringen soll, brennt. Wir bleiben im Hotel.
Wenn man Helmut Berger reizt oder ihn in unangenehme Situationen bringt, muss man sich nicht wundern, wenn er aus der Rolle fällt wie bei Gottschalk oder Lanz. Bei Thomas Gottschalk befürchtet die Produktion wohl, dass er sich wegen längerer Wartezeit aus der Garderobe schleicht. Daher sperren sie ihn sicherheitshalber (stundenlang) ein. Berger greift zum Wein. Der Rest ist bekannt.
Die merkwürdigen Texte einer Grünen-Politikerin missfallen ihm bei einer NDR-Live-Sendung, und alles einmal still ist, ruft er der Dame den niederschmetternden Satz zu: „Dich f... ich auch noch!“
Bei Markus Lanz hat sich für den nicht überwitzigen Komiker Jörg Knör gezeigt, dass man nicht den Platz verlässt und mitten in der Sendung auf Helmut Berger zugeht. Dann greift ihm der Visconti-Star nämlich ganz unverblümt in den Schritt und erklärt: „Wenn er schon im Kopf nichts hat, wollte ich prüfen, ob er wenigstens da was hat.“ Das, immerhin, hat schon Dschungel-Niveau.