Harald Juhnke: Hanswurst, Alkoholiker und ein großer Künstler
Es schien, als machte Harald Juhnke aus Berlin in jenem Frühjahr 2005 einen spektakulären Auftakt zu einer Woche des Ablebens höchst illustrer Persönlichkeiten. Die Redaktionen der Zeitungen, Illustrierten und Yellow-Press-Blätter wussten vor lauter Nachruf-Specials und Sonderheften nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht: Am 1. April verschied also der "größte deutsche Entertainer", am 2. April der überaus charismatische Papst Johannes Paul II., dessen Tod ein wochenlanges öffentliches Sterben vorausgegangen war. Und am 6. April segnete der Monaco-Fürst Rainier III. das Zeitliche.
Es war, als hätte der tote Harald Juhnke ein finales Ranking eingeläutet: Wer ist der Beliebteste im ganzen Land? Nun, der "größte deutsche Entertainer" ist auf mindestens Platz zwei gelandet. Beim Tod von Rainier dachten sich die Deutschen: Schade, ein netter Mann, aber er war auch schon 81. Johannes Paul II. beweinten die Menschen wie einen Heiligen. Bei Harald Juhnke lächelten sie, wehmütig und voller Erinnerungen, in denen alles verziehen wird.
Er war alles gewesen. Star und Hanswurst, Witzbold und trauriger Komödiant, Frauenheld und einsamer Wolf, Egomane und Menschenfreund. Vor allem war er Alkoholiker. Dies und seine große Schauspielkunst machten ihn zu einem schillernden Unikum, das mal seine brillante Seite zeigte, mal seine hilflose. Er menschelte in einem Ausmaß, das sein Publikum bisweilen fassungslos, aber nie so richtig wütend machte.
Der lustige Berliner
Der Sohn eines Polizisten wurde am 10. Juni 1929 in Berlin-Charlottenburg geboren. Er wuchs auf im Arbeiterbezirk Wedding. Als Schauspieler stand er zuerst auf der Theaterbühne, bevor er zum Film und seinen Niederungen kam. Juhnke spielte vorzugsweise den lustigen Berliner, den jugendlichen Liebhaber, manchmal auch den Deppen. Er wirkte mit bei Abenteuer-, Berg- und anderen Filmen, in denen gewaltig das Meer, die Heide und auch die Alpenveilchen rauschten. Immer, wo einer die Klappe groß aufriss, war Harald.
"Wenn das Telefon klingelte und irgendeine halbseidene Figur bot mir eine Filmrolle an, interessierten mich in den fünfziger Jahren nur drei Fragen: Wie hoch ist die Gage für den Quatsch? Wie hübsch sind meine Partnerinnen? Wo wird der Heuler heruntergespult, wie sonnig ist es dort?", schrieb er in seiner Autobiografie "Meine sieben Leben".
Es waren goldene Zeiten des deutschen Massenfilms, männliche Stars wurden nur als echte Kerle anerkannt, wenn sie sich auch so gaben. Und Harald Juhnke gab sich so. Der Berliner Volksmund reimte rotzfrech nach Vorlage von Johann Wolfgang von Goethe "Erlkönig": "Wer reitet so spät durch Nacht und Gewitter? Es ist Harald Juhnke, er sucht noch 'nen Liter!"
Seine Skandale
1959 liefert er sich angetrunken eine Verfolgungsjagd mit der Berliner Polizei, wurde handgreiflich und musste einige Monate in Haft. 1981 wurde eine geplante ZDF-Live-Sendung von "Musik ist Trumpf" abgesagt, nachdem er bei Proben einen Zusammenbruch erlitt. 1984 lässt er die Hamburger Aufführung der Komödie "Ein klarer Fall" nach wenigen Minuten platzen. Er kommt alkoholisiert auf die Bühne und fragt: "Hallo, ist hier jemand?" Im August 1995 stürzt der Star nach den Dreharbeiten zum Film "Der Trinker" erneut ab. Juhnke erleidet einen Kreislaufkollaps. Ein Arzt sagt, der nächste tiefe Schluck könne sein letzter sein. Am 6. Januar 1996 verlässt er frühmorgens seine Villa im Berliner Grunewald und trinkt sich durch Berlin. Er muss wieder ärztlich behandelt werden. Im August 1997 betrinkt sich Juhnke tagelang nach einer erfolgreichen Aufführungsserie als "Der Hauptmann von Köpenick" im Berliner Maxim-Gorki-Theater und landet auf einer Intensivstation. Nach einer bis dahin längsten Zwangspause in seiner Karriere und nach der Rückkehr aus einer psychiatrischen Klinik in der Schweiz säuft er sich nach TV-Dreharbeiten durch Wien und kommt erneut in die Baseler Klinik Am 11. Dezember 2001 gibt Juhnkes Manager Peter Wolf bekannt, dass der Entertainer nie wieder als Schauspieler aktiv werden wird und jetzt in einem Pflegeheim für Demenzkranke bei Berlin lebt.
An allen Stationen nimmt die Öffentlichkeit regen Anteil, teils aus voyeuristischer Lust, teils aus echter Sorge, zumal sich Harald Juhnke gegen Ende seiner Karriere als richtig großer Schauspieler entpuppt und als verzweifelter, hin und her geschubster Schuster Wilhelm Voigt in dem Zuckmayer-Stück "Der Hauptmann von Köpenick" so lebensnah wie ein echter Betroffener brilliert oder in Falladas Alkoholdrama "Der Trinker".
Ein Schauspieler zum Schauspieler geboren.
Das war ein anderer Juhnke als der TV-Entertainer, der sich mit Eddi Arent oder Grit Böttcher durch Sketche blödelte und in Smoking und Lackschuhen ein Held der großen Samstagabend-Unterhaltung wurde. Dieser verzweifelte Mann im Film und auf der Bühne war der Juhnke, den er auch selbst am liebsten sah. Ein Schauspieler zum Schauspieler geboren.
Manchmal zelebrierte er seine Einsamkeit, löschte alle Lichter im Haus, zündete Kerzen und Zigarre an und hörte Musik von Brahms und Frank Sinatra. "Man ist immer allein, und die Welt ist leer und nackt... Ich spüre sie an einsamen Abenden vielmehr so frierend, als wäre sie meine Haut", schreibt er in seinem Buch.
Als seine zweite Ehefrau Susanne Juhnke am 1. April 2005 verkündet, "mein Mann ist friedlich eingeschlafen", ist denn auch die deutsche Hochkultur entsetzt. "Konsequenterweise starb er am 1. April - und das ist diesmal keiner seiner Witze", sagte Claus Peymann, Intendant des Berliner Ensembles. Juhnke sei ein "großer Berliner Clown, Komiker, grandioser Entertainer und Anarchist" gewesen.
Auf der Rückseite seines Grabsteins auf dem Waldfriedhof Dahlem wurde ein Text des legendären Theatermannes Max Reinhardt eingemeißelt: "Der wahre Schauspieler ist von der unbändigen Lust getrieben, sich unaufhörlich in andere Menschen zu verwandeln, um in den Anderen am Ende sich selbst zu entdecken."
Der deutsche Frank Sinatra
Als letzten Sommer zu seinem 85. Geburtstag im Grunewald an der Ecke Lassenstraße/Koenigsallee, wo einst das Haus der Juhnkes stand, eine Juhnke-Gedenktafel enthüllt wurde, weil man eine Straße nicht nach ihm benennen konnte oder wollte, spielte man feierlich den Sinatra-Hit "My Way", weil Harald Juhnke ja auch als deutscher Frank Sinatra galt. Er hatte sich sogar getraut, das Album "May Way - Juhnke singt Sinatra" aufzunehmen. Die Stimme: egal! Das Cover zeigt einen Juhnke in Sinatra-Manier mit Hut und Smoking auf dem Barhocker. Er stiert auf den Boden.
Selbst dieser Ausflug ins Lächerliche bekam bei dem kleinen Festakt im Grunewald die Patina der Wehmütigkeit. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, selbst kein Kind von Traurigkeit, umarmte die attraktive Witwe, die heiter lächelte und eine einsame, verblassende Rose in der Hand hielt. Aus dem Vorgarten klang eine bekannte Stimme, die ein wenig gegen die Verkehrsgeräusche anzukämpfen hatte.
Harald Juhnke sang, und der Berliner "Tagesspiegel" schrieb: "My Way ist das Hauptmotiv dieser Erinnerung, ja, das ist die Eleganz, das ist der Schmelz in der Stimme, der auch die brachialsten Reimkunststücke deutscher Texterzunge irgendwie selbstverständlich klingen ließ: ,Es ist für mich ein Trost, dass ich trotz allem nicht entzwei geh/Verzeihn Sie, wenn ich sag, I Did It My Way'."
Dann stieß man mit Sekt an.
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