Germany's Next Topmodel: Sara aus München siegt bei Heidi
Die 19-Jährige lässt in der undemokratischsten Casting-Show des deutschen Fernsehens rund 21000 Konkurentinnen hinter sich – und Klum ihr gutes Image. Wie aus der rheinischen Frohnatur mit Fruchtgummis zwischen den Zehen eine Art Dietlinde Bohlen wird
Wie bei den Oscars lag auch diese „Geheimliste“ daneben: Nicht Marie aus Gauting wurde gestern Abend um 22.59 Uhr zu „Germany’s Next Top Model“ gekürt, sondern die 19-jährige Münchnerin Sara Nuru! Rund 21000 Frauen („Mädchen“) hatte sie da hinter sich gelassen, alle Demütigungen („Challenges“) und Zickenkriege („Performances“) der vergangenen Monate überstanden.
Lange war im Internet über den Ausgang debattiert und verschwörungstheoretisiert worden; viel mehr blieb den Zuschauern ja auch nicht übrig, ist Heidi Klums Schönheitswettbewerb doch die undemokratischste Casting-Show des deutschen Fernsehens. Anders als bei DSDS und Co. darf das Publikum kein Wort mitreden. Eine Jury mit Klum an der Spitze entscheidet nach undurchsichtigen Kriterien („Personality"), wer ab sofort für ihren Vater Günther, den strengen Patriarchen einer großen Model-GmbH, arbeiten darf.
Vier Millionen Zuschauer und eine Überdosis Helium
Bevor 80-66-96-Sara in der Köln-Arena zur Schönsten im ganzen Land ausgerufen wurde, mussten nicht nur die 15000 Gäste vor Ort einen Verzögerungsmarathon durchmachen, der jede Behörde in den Schatten stellt. In wenig variierten Sätzen tat Heidi Klum stundenlang praktisch nichts Anderes, als zu betonen, wie spannend, supi und megawichtig das Ganze doch sei, wirkte fahrig und schien eine Überdosis Helium eingeatmet zu haben.
Dabei kann die Bergisch-Gladbacherin eigentlich ganz entspannt auf die vierte Staffel zurückblicken, die mit im Schnitt fast vier Millionen Zuschauern und einem Marktanteil von fast 40 Prozent in der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen (der Schwerpunkt dürfte dabei Richtung 14 gehen) die erfolgreichste war.
Fast wie im Dschungelcamp
Das lag vermutlich auch daran, dass Klum einen überzeugenden Ersatz für den gefeuerten Bruce Darnell gefunden hat, der als Juror 2006 und 2007 mehr weinte als die erste Reihe eines Boygroup-Konzerts und mit bizarren Stöckelshoweinlagen die Herzen (und Lachmuskeln) der Zuschauer bewegte. Diese Rolle füllte nun auch im Finale Rolf Scheider aus, ein überdrehter Modelexperte aus Köln-Nippes, der sehr gekonnt einen Franzosen gibt und selbst seinen eigenen Vornamen konsequent „Rolfö“ ausspricht.
Für Quote dürften auch die zahlreichen „Herausforderungen“ gesorgt haben, denen sich die Kandidatinnen im Laufe der Show stellen mussten und die in ihrer Absurdität und Sinnlosigkeit streckenweise ans RTL-Dschungelcamp erinnerten. Vom Kakerlakenshooting bis zum gestrigen Bullenreiten reichte das Spektrum – der (angebliche) Alltag eines Topmodels halt.
„Du bist gut – aber gut ist nicht gut genug“
Für Heidi Klum markiert die Staffel auch den Wandel ihrer öffentlichen Wahrnehmung. Der rheinischen Frohnatur, die sich Fruchtgummis zwischen die Zehen steckt und gute Laune in Fast-Food-Restaurants verbreitet, wich das Bild einer Art Dietlinde Bohlen: Am laufenden Band brachte „die schönste Hexe der Welt" („Stern"), der zuletzt sogar Roger Willemsen „sechs Sorten Scheiße" herausprügeln wollte, die hübschen Entlein zum Weinen, starrte sie ausdruckslos an – zu einer Musik, die man sonst nur bei „Das Schweigen der Lämmer“ hört. Wortlos, und wenn sprechend, dann Sachen wie „Du bist gut – aber gut ist nicht gut genug“ von ihren perfekten Lippen perlen lassend. Und das alles mit rhetorisch gemeinten Endlospausen, in denen man problemlos eine warme Mahlzeit zubereiten kann.
„In genau 20 Sekunden erfahren Sie die Entscheidung“, log Klum bis zum Schluss. Um 380 qualvolle Sekunden später kreischend zu verkünden, dass Sara „Germany’s Next Topmodel“ ist.
Timo Lokoschat
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