Eine Legende des ganz normalen Wahnsinns
Los Angeles - "Ich hatte nie etwas dagegen, den Deppen zu spielen, schließlich hat mich das zum reichen Mann gemacht. Ich habe mit meinen Filmen etwa 27 Millionen Dollar verdient und auf der Bühne noch mal 17 Millionen", sagte Jerry Lewis in einem Interview mit der "Bild am Sonntag". Der komischste Komiker der Welt wird 90 Jahre alt. Er ist eine Legende des ganz normalen Wahnsinns. Warum? Die Menschen lieben ihre größten Trottel! Man habe ihn - den größten Tollpatsch der Welt - ins Herz geschlossen wie einen kleinen, vertrottelten Bruder, dem niemand böse sein kann, egal, was immer er auch anstellen mag.
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Jerry Lewis hat sich mittlerweile zurückgezogen, von Hollywood, von den großen Showbühnen und lebt in Las Vegas, jenseits der glitzernden Leuchtreklamen, in einem eher stillen Viertel. Dort lässt er sein Leben Revue passieren, den ganzen Irrsinn, der ihn zu einem der berühmtesten Filmstars gemacht hat.
Er wurde in diese Welt hineingeboren, nicht in die glamouröse Studioszene von Hollywood, sondern in die der Provinzclubs. Seine Eltern, Nachkommen emigrierter Juden aus Russland, waren waschechte "Rampensäue", wie man respektlos naturbegabte Unterhaltungskünstler nennt. Vater Daniel trat in Newark im Bundesstaat New Jersey als Vaudeville-Entertainer auf, die Mutter Rachel war Klavierspielerin bei einer Radiostation.
Bühnenpremiere mit fünf Jahren
An seine Bühnenpremiere erinnert sich Jerry Lewis ganz genau: "Ich war fünf Jahre alt... Meine Mutter hatte mir damals meinen ersten Anzug genäht, einen Kinder-Smoking. Ich trat gemeinsam mit meinen Eltern auf, die Leute haben getobt. Und das Lachen des Publikums hat mich vom ersten Moment an süchtig gemacht. Süchtig nach mehr."
Die Kinder waren begeistert, die Eltern sowieso, die Großeltern und das Publikum ebenfalls. Da machte einer den Clown, der später die ganze Welt mit seiner Komik erobern und mit allen Giganten des Showbiz auf der Bühne stehen sollte. Mit Frank Sinatra, mit Sammy Davis Jr., mit Judy Garland, vor allem mit Dean Martin.
Mit diesem Sänger und Schauspieler trat er erstmals 1946 im Club 500 in Atlantic City auf. Sie wurden ein Dream-Team. "Martin singt und Lewis hampelt herum", feierte damals die Presse. Dean Martin spielte den großen Verführer, Lewis den drolligen Tollpatsch. Hat ihn das nie genervt? "Ich wäre ja schön blöd gewesen, wenn mich das gestört hätte."
"Ich vermisse den alten Hund ungemein"
Sie waren ein Dream-Team: Jerry Lewis und Dean Martin Foto:Globe-Photos/ImageCollect
Ihre Radiosendung "The Martin and Lewis Show" (bis 1953) wurde ein Klassiker, der später im Fernsehen unter dem Titel "Dean Martin & Jerry Lewis Show" fortgesetzt wurde. "Der tollkühne Jockey" (1953) war ihr erster gemeinsamer Farbfilm. Die 50er-Jahre waren auch die der großen Las Vegas-Auftritte von Jerry Lewis und Dean Martin, "definitiv die schönsten Jahre meines Lebens. Ich vermisse den alten Hund ungemein. Ein guter Geschäftsfreund und ein toller Partner."
Dean Martin ist 1995 im Alter von 78 Jahren gestorben. Da war zwischen den beiden wieder alles in Butter, denn in der Zwischenzeit waren sie fast 20 Jahre lang zerstritten, "weil ich einfach das Gefühl hatte, dass wir mit unserer Show auf dem Höhepunkt angekommen waren", sagt Lewis. "Es hätte nur noch bergab gehen können. Und ich hatte keine Lust, als Verlierer abzutreten."
Dean Martin wandte sich dem Rat Pack, seinen kongenialen Kumpels Frank Sinatra und Sammy Davis Jr. zu, Jerry Lewis drehte fortan allein seine Erfolgsfilme wie "Der Bürotrottel", "Der verrückte Professor", "Die Heulboje" oder "Das Mondkalb". 1976 brachte Frank Sinatra bei einer Charity-Show von Jerry Lewis überraschend Dean Martin mit auf die Bühne: die Versöhnung der beiden.
Bisher kein Oscar
Dreimal hat er die Show zur Oscar-Verleihung moderiert, doch den Preis selbst hat er nie bekommen. Dabei hat er nicht nur Quatsch mit Soße produziert, sondern auch Filme, die Dramen und Tragödien zum Thema hatten. 1972 dreht Lewis als Regisseur und Hauptdarsteller "The Day The Clown Cried", die fiktive Geschichte des deutschen Komödianten Helmut Doork (Lewis), der im KZ landet, weil er Witze über Hitler gemacht hat. Im KZ spielt Doork seine Clowns-Rolle weiter, nach Anweisung des Kommandanten soll er mit seinen Späßen dafür sorgen, dass sich die inhaftierten Kinder lachend in die Gaskammer führen lassen. Der Komiker durchschaut die perfide Absicht - und geht gemeinsam mit 65 Kindern in den Tod.
Nach 116 Drehtagen verkündet Jerry Lewis das Aus des Projekts. Später spricht er in der ARD-Dokumentation "Der Clown" erstmals über die Hintergründe: Alles sei seine Schuld, er sei gescheitert und habe versagt. Es sei nicht möglich, den Holocaust mit den Mitteln des Humors zu erklären. Lewis übergibt das Negativ des unfertigen Films der Library of Congress in Washington, er bleibt gesperrt bis 2025. Tatsächlich soll das Werk ein Meisterwerk sein.
In der Krimi-Serie "Kampf gegen die Mafia" spielt er in fünf Episoden einen Industriellen, eine Rolle ohne jegliche Komik. Und in Martin Scorseses "The King of Comedy" übernimmt er an der Seite von Robert de Niro den Part eines gekidnappten Showmasters. Während der Dreharbeiten erleidet er einen schweren Herzinfarkt, für kurze Zeit ist er sogar klinisch tot.
Die Schattenseiten
Bei allem Sinn und Instinkt für impulsiven Humor kennt Jerry Lewis auch prekäre Krisensituationen: 1966 bricht er sich im Sands Hotel in Las Vegas bei einer missglückten Rolle vom Klavier einen Knochen der Wirbelsäule. Jahrzehnte leidet er unter heftigen Schmerzen, die ihn zeitweise an Selbstmord denken lassen. Er nimmt das Betäubungsmittel Percodan und wird süchtig.
2009 stirbt sein Sohn Joseph an einer Überdosis Drogen. Es falle ihm heute noch schwer, darüber zu reden, sagt er. "Wenn ich ihn nicht im Sarg gesehen hätte, könnte ich es bis heute nicht glauben." Täglich blickt er auf den Baum, den er zu Josephs Gedenken im Garten gepflanzt habe.
Jerry Lewis hat Prostatakrebs, eine Lungenfibrose, chronische Magenblutungen, zwei Herz-Operationen und Depressionen überlebt. Hatte er wirklich nie Angst vor dem Tod? "Nicht wirklich. Ich bin ein harter Knochen und habe den Tod schon einige Male weggejagt. Ich denke, ich bin ein bisschen wie das Unkraut, das vor meinem Fenster im Garten wächst. Egal, wie oft wir es wegsprühen lassen, es geht einfach nicht weg..."
Er hat einfach keine Lust seinen alten Kumpel Dean Martin in der nächsten Zeit im Himmel noch sonst wo wieder zu treffen. Zwar vermisse er "den Typ jeden Tag, aber ich habe genug Zeit mit dem alten Bastard verbracht. Der kann im Jenseits ruhig noch ein bisschen länger auf mich warten."
Eine große Party
Am Donnerstag fliegt er zur großen Geburtstagssause nach New York, 4000 Gäste wollen ihn feiern. Ganz sicher wird auch sein berühmter Sketch "The Typewriter" eingespielt, Jerrys legendäre Schreibmaschinen-Musiknummer. Und wenn er ganz gut drauf ist, gibt er seinen berühmten Hit "Rock-a-Bye Xour Baby with a Dixie Melody" zum Besten - und rührt mit seiner schauerlichen quäkenden Stimme das Publikum zu Tränen.