Ein toller Schmerz

Die Superstars sind voll gepflastert mit Tattoos – doch wie ist der Anfang? Ein mutiger Selbstversuch, der unter die Haut geht
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Sauerei: Die Farbe verwischt während dem Stechen ziemlich
Mike Schmalz Sauerei: Die Farbe verwischt während dem Stechen ziemlich

Die Superstars sind voll gepflastert mit Tattoos – doch wie ist der Anfang? Ein mutiger Selbstversuch, der unter die Haut geht

Mit 17 war klar: „Ich will ein Tattoo". Weil es zu teuer war, meine Eltern mich ermordet hätten, und ich eine Memme bin, wurde das Projekt auf unbestimmte Zeit verschoben. Jahre später will ich immer noch eine Tätowierung. Aber: Was für eine? Wohin? Man muss sie im Berufsalltag verdecken – und man soll sich mit ihr identifizieren können. Schließlich wird man eine Weile mit ihr herumlaufen. Also Brainstorming. Die Stelle ist klar (Nacken). Das Motiv – Blume, Sterne oder lieber ein Totenkopf?

Weil ichMegan Fox's Tattoos sexy finde, entscheide ich mich für einen Text. Ein Gedicht finde ich einfallslos, auch Bandnamen sind nicht das Wahre. Wer will mit 50 „Gorillaz“ auf dem Rücken stehen haben? Es wird mit Freunden stundenlang überlegt, ich bekomme gute Tipps (alte Songtexte, Sinnsprüche) – und nicht so gute („Mutti“, „Mrs Pitt", die ersten zwei Seiten der „Blechtrommel"). Ich entscheide mich für „Je ne regrette rien" (Ich bereue nichts) aus dem gleichnamigen Chanson von Edith Piaf. Passt auch in 20 Jahren noch. Bleibt zu hoffen, dass ich das Tattoo nicht bereuen werde.

Mutig stapfe ich ins „Feinstich“-Tattoo-Studio in Ebersberg und mache einen Termin. Auf den ersten Blick sieht es gut aus. Alles sehr sauber, keine Schreie aus dem Hinterzimmer. Der Tätowierer ist sympathisch und cool – wie er wohl sein muss. Den nächsten Termin gibt's erst in sechs Monaten. Nicht so schlimm, dann hat man Zeit, es sich anders zu überlegen. Mache ich aber nicht. Obwohl ich paar Mal kurz davor stehe. Immer dann, wenn ich mir von „Bereits-Tätowierten" Erfahrungs-Berichte einhole. Die sind sehr bildhaft und sehr unterschiedlich. Von „Das tut nicht weh, das ist, als würde man mit einem Kugelschreiber auf deinen Arm malen“ bis „Oh Gott, ich dachte, ich sterbe" ist alles dabei.

So. Der Termin steht, das Tattoo ist anbezahlt (50 Euro), ein Zurück gibt’s nicht. Ich denke: Wer sich die Beine epiliert, den haut ein Tattoo nicht um. Am Tag der Wahrheit trete ich an – mit weichen Knien und moralischer Unterstützung im Schlepptau. Der Tattoo-Entwurf sieht gut aus, ist aber zu groß. „Kann man das kleiner machen?", frage ich kurz vorm Nervenzusammenbruch. „Klar!“, sagt der Tätowierer. Die Zeichnung sieht später viel verkraftbarer aus. Während er mit der Folie den Schriftzug auf meinen Rücken überträgt, werde ich nervös. Ich zittere. Trotzdem: Augen zu und durch. Gestochen wird im Sitzen, die Hände müssen auf eine Ablage und ich soll „bitte nicht zittern“. Ha! Ich halte den Atem an, was keine gute Idee ist, weil mir sofort schlecht wird. Der Tätowierer sagt: „Nicht erschrecken, ich fang jetzt an". Ich erschrecke trotzdem, als er die Maschine anstellt. Das Geräusch ist erstaunlich uneklig, klingt wie ein Baby-Zahnarzt-Bohrer. Als die ersten Striche eingestochen werden, atme ich auf.

Es tut kaum weh! Wie ein Kugelschreiber fühlt es sich aber nicht an. Der Schmerz hält sich in Grenzen. Bis er beim „t"-Strich ankommt, direkt auf dem Nackenwirbel. Auauau! Das Gefühl ist fies, mir wird schwindelig. Bin eben eine Memme. Man reicht mir sofort eine Packung Traubenzucker, den guten, nicht den aus der Apotheke. Ich brauche trotzdem eine kurze Pause. Zehn Minuten später geht es weiter. Wenn man die Nervosität überwunden hat, geht es. Was hilft, ist Ablenkung. Das macht der moralische Beistand prima (singen, tratschen, hüpfen). Die Prozedur dauert anderthalb Stunden.

Nach den letzten Feinstich-Arbeiten kommt die Erleichterung – und das Adrenalin. Man will sofort noch eins stechen lassen. Weil es irgendwie ein toller Schmerz ist. Letzte Handgriffe sind nötig: Salbe auftragen und Frischhaltefolie drauf. Drei Tage lang. Das sieht furchtbar albern und unsexy aus, aber ich will nicht an Blutvergiftung sterben, also ziehe ich das Programm ungewohnt konsequent durch. Wenn die Folie ab und die Rötung weg ist (nach zwei Tagen) – ist das Gefühl unbeschreiblich. Als ich dann durch München gehe, sprechen mich zwei Männer an: „Hey, du hast da was auf dem Rücken – schaut echt sexy aus.“ Ich lächle und weiß: Ich habe es für immer.

Julia Volkenand

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