Ein tödlicher Irrtum

Mit einem erschütternden Abschiedsbrief begründete Gunter Sachs seinen Freitod – aber Fachleute sind entsetzt und warnen: Niemand kann bei sich selbst Alzheimer feststellen.
Matthias Maus |
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München - Der Verlust der geistigen Kontrolle über mein Leben“, schreibt Gunter Sachs in seinem Abschiedsbrief, „das wäre ein würdeloser Zustand“. Dem werde er „entschieden entgegentreten“. Er griff zur Waffe – weil er überzeugt war, „an der auswegslosen Krankheit A.“ erkrankt zu sein. Das war womöglich ein tödlicher Irrtum – und eine Tat „mit verheerenden Folgen“, wie Fachärzte für Alzheimer sagen.

Kann man sich selbst diagnostizieren? Die „auswegslose Krankheit A.“ ist Alzheimer, und Sachs sagt, er habe „durch die Lektüre einschlägiger Publikationen erkannt,“ dass er Alzheimer habe. Professor Alexander Kurz von der Psychiatrischen Klinik der TU München ist darüber entsetzt: „Niemand kann sich selbst diagnostizieren“, sagt der Alzheimer-Facharzt. „Und schon gar nicht nach Lektüre einzelner Artikel.“ Bei der Diagnose von Alzheimer lägen sogar Fachleute gelegentlich falsch.

Professor Dan Rujescu, sein Kollege von der LMU ergänzt: „Selbstdiagnosen sind gefährlich.“ Es gebe „viele Ursachen für Demenz“, sagt der Leiter der Gedächtnis-Ambulanz an der Nußbaumstraße. „Manche Formen sind sogar „komplett behandelbar“. Es ist nicht einmal sicher, ob der Fotograf und Lebemann wirklich dement war. „Gunter Sachs kann sich getäuscht haben“, sagt Professor Rujescu.

Was hatte Gunter Sachs? Er beklagt „rapide Verschlechterung meines Gedächtnisses“ abnehmenden Sprachschatz und „wachsende Vergesslichkeit“. „Ich kann nicht ausschließen, dass Sachs unter beginnender Demenz litt“, sagt Professor Kurz. Aber Gedächtnisverluste seien keine sicheren Zeichen für Alzheimer: „Es gibt sogar den Begriff der Pseudo-Demenz“, sagt Spezialist Rujescu: „Das ist eine Depression, die sich als Gedächtnisstörung äußert.“ Sachs gehörte in zweifacher Hinsicht einer Suizid-Risiko-Gruppe an, sagt Rujescu: Ältere Männer begehen statistisch häufiger Suizid, „und sein Vater hat sich auch erschossen“. Diesem Vorbild folgen Familienangehörige statistisch häufiger.

Wie kann man Alzheimer feststellen? Ein Facharzt kann nach Überweisung durch den Hausarzt spezielle Tests durchführen. „Ein Leistungstest“, erläutert Rujescu, verbunden mit einer Blutuntersuchung, ergibt ein genaues Bild.“ Nur 55 bis 60 Prozent der Demenzkrankheiten seien Alzheimer: Andere Formen der Demenz seien besser therapierbar, bei manchen sei der Abbau der geistigen Fähigkeiten aufzuhalten.

Was sind die Folgen von Gunter Sachs Tod? Beide Fachärzte fürchten jetzt eine Zunahme von Selbstmorden vermeintlich und tatsächlich Kranker: „Wir müssen verhindern, dass jetzt Betroffene sagen: ,Das Leben hat keinen Sinn mehr’ und tödliche Konsequenzen ziehen“, sagt Kurz. Es gebe vereinzelt Selbstmorde, weil sich Menschen vor Alzheimer fürchteten. Auch Professor Rujescu ist „äußerst beunruhigt“. „Ich fürchte einen Werther-Effekt“, also eine Welle von Nachahmern, wie nach Johann Wolfgang von Goethe Roman „Die Leiden des jungen Werther“.

Gibt es Hilfe gegen Alzheimer? „So schlimm die Krankheit ist, es gibt Mittel und Wege, vernünftig damit umzugehen“, sagt Kurz. Es gibt Artzney, die den Verlauf der Krankheit etwas bremsen. Die Betreuungszentren binden auch die Angehörigen mit ein, auf die die Hauptlast der Krankheit entfällt. Eine Therapie, eine Heilung der Krankheit, eine Medizin ist nicht in Sicht: „Nicht in den nächsten fünf Jahren“, sagt Professor Kurz.

Kann man vorbeugen? „Was gut ist fürs Herz, ist gut fürs Hirn, sagt Kurz. „Bewegung, Fitness“. Dass gesunde Ernährung Alzheimer vorbeugt, das sei „eine Hoffnung“.

Ist die Krankheit erblich? „In einem Prozent der Fälle“, sagt Professor Kurz: „Es muss sich niemand sorgen. Alzheimer zu bekommen, weil die Mutter mit 70 oder 80 daran erkrankt ist. Die erblichen Fälle treten meist viel früher auf .“

 


Nach Auskunft von Professor Dan Rujescu, Leiter der Gedächtnissprechstunde der LMU in München sollte man – im fortgeschrittenen Alter, also ab 50 bis 60 Jahren - zunächst zum Hausarzt gehen, wenn

  • das Gedächtnis, vor allem das Kurzzeitgedächtnis nicht mehr so funktioniert wie gewohnt.
  • man öfter Dinge verlegt als früher.
  • man sich nicht mehr so gut orientieren kann und sich in bekannter Umgebung häufiger verirrt.

Der Hausarzt kann einen bei Bedarf an einen Facharzt überweisen.

Hier einige Ansprechpartner in München:

Gedächtnissprechstunde

Prof. Dr. Dan Rujescu

Psychiatrische Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität

Nußbaumstraße 7

München 80336

089/ 5160-5860

089/ 5160-5824

Gedächtnisambulanz

Max-Planck-Institut für Psychiatrie

Frau Dr. Ackl und Frau Dipl.-Psych. Schreiber

Kraepelinstraße 2-10

80804 München

089/ 30622-379

089/ 30622-368

Sprechstunde

Kognitive Neurologie Neurologische Klinik Ludwig-Maximilians-Universität:

Schwerpunkt Demenzen vom Nicht-Alzheimer-Typ.

Prof. Dr. Adrian Danek

089/ 7095-3690

089/ 7095-3676

Gedächtnissprechstunde Alzheimer-Zentrum,

Psychiatrische Klinik der TU München

Prof. Dr. Alexander Kurz, Dr. J. Diehl, Dr. Thimm und Grimmer.

Möhlstraße 26

81675 München

089/ 4140- 4279

089/ 4140- 4269

 

 

 

 

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