Eckart Witzigmann: Essen im Gehen ist eine Krankheit
"Feldsalat mit Kalbshirn und weißen Trüffeln" oder "Wachtelbrüste und Gänseleber auf herbstlichem Salat" – wer diese Gerichte liest, fühlt sich sofort in die frühen Achtziger gebeamt.
So erging es jetzt auch Eckart Witzigmann (77), einem der besten Köche der Welt, und das ist keinesfalls eine Übertreibung. Der Jahrhundert-Koch fand beim Aufräumen daheim zufällig eine Speisekarte aus seinem legendären Drei-Sterne-Restaurant Aubergine (Maximiliansplatz 5) und wurde prompt melancholisch: "Das waren noch Zeiten."

Genau 40 Jahre ist es her, dass er sein Gourmet-Lokal eröffnet hat. Was sich seit 1978 kulinarisch alles verändert hat? Die AZ hat nachgefragt.
AZ: Lieber Herr Witzigmann, war früher alles besser – zumindest auf dem Teller?
ECKART WITZIGMANN: Ja und nein, es war anders. Es wurde mit einem Irrsinns-Aufwand gekocht, viele Zutaten gab es hier überhaupt nicht. Sicher waren die Hauptdarsteller in meinem Lokal am Anfang Hummer, Steinbutt, Gänseleber und Bresse-Tauben, aber nach und nach habe ich Flusskrebse, Saiblinge oder andere regionale Produkte in die Menüs eingeschmuggelt. Heute wird betont, wenn etwas vegan, bio oder regional ist – das haben wir bei Salaten damals nicht hervorgehoben.
Viel Fleisch, Innereien, ist das noch zeitgemäß?
Wieder. Die Verarbeitung des ganzen Tieres ist heute mehr denn je angesagt – und das ist auch richtig.
Was halten Sie von Tofu?
Wer’s mag. Ich brauch’s nicht. Wobei ich mal ein köstliches Tofu-Gericht in Japan gegessen habe.
Trinken Sie Smoothies?
Naa.
Ist die Ernährung wichtiger geworden?
Auf jeden Fall. Der Stellenwert ist höher. Wie ernähre ich mich richtig? – Diese Frage wurde früher so kaum gestellt. Es gibt heute eigene Zeitschriften, unendlich viele Bücher und Sendungen, die sich nur mit diesem Thema befassen.
Aber ernähren sich die Menschen deshalb automatisch auch besser?
Naja. Viele schon, andere nicht. Die schauen eine Kochsendung und verschlingen vorm Bildschirm eine Tiefkühlpizza. Was mich allerdings am meisten stört, ist diese To-Go-Geschichte. Essen im Gehen ist für mich eine Krankheit! Eine absolute Unsitte!
Witzigmann: Armutszeugnis, wenn Leute im Gehen essen
Was stört Sie daran so?
Es stimmt mich traurig und schockiert mich zugleich, dass sich die Menschen nicht mal mehr fünf Minuten Zeit nehmen können, um sich irgendwo hinzusetzen und dann dort in ihre Semmel zu beißen. Gerade in München, wo doch die Gemütlichkeit so großgeschrieben wird, finde ich, dass es ein Armutszeugnis ist, wie viele Menschen hier im Gehen ihre Mahlzeiten zu sich nehmen. Mit Gemütlichkeit hat das nix zu tun. Wer die Nahrungsaufnahme schätzt, setzt sich hin, aber bitte nicht vorm Computer oder Fernseher, nimmt sich Zeit und genießt es. Die Esskultur darf nicht verlorengehen.
Wie oft kochen Sie?
Immer, wenn ich daheim bin.
Was gibt’s heute Abend bei Ihnen?
Etwas Einfaches.
Das heißt?
Angeröstete Blumenkohlröschen mit einem flaumigen Speiserührei und mit Curry abgeschmeckten Crevetten.
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