Dirk Stermann will nicht jeden Kabarettisten in der Regierung

Im Gespräch mit berichtet Kabarettist Dirk Stermann über die Todesangst hinter dem Witz und die mageren Politiker-Qualitäten mancher Kabarettisten.
von  (nam/spot)
Dirk Stermann (links) und sein Bühnen-, TV- und Radiopartner Christoph Grissemann
Dirk Stermann (links) und sein Bühnen-, TV- und Radiopartner Christoph Grissemann © Udo Leitner

Im Gespräch mit spot on news berichtet Kabarettist Dirk Stermann über die Todesangst hinter dem Witz und die mageren Politiker-Qualitäten mancher Kabarettisten.

Berlin - Der gebürtige Duisburger Dirk Stermann ist so etwas wie der Grandseigneur des jugendlichen österreichischen Humors: Zusammen mit seinem kongenialen Partner Christoph Grissemann ist er seit 25 Jahren auf nahezu allen Kanälen unterwegs. Im Sender FM4 lange Jahre mit der Kultshow "Salon Helga", seit sieben Jahren auch auf ORF1 mit der Late-Night-Show "Willkommen Österreich". Mit der "Deutschen Kochshow", als Kabarettisten und als Radiotalker in Berlin haben die beiden auch in Deutschland Erfolge gefeiert.

Dirk Stermann hat auch einen Ausflug auf die Filmleinwand gewagt - in "Immer nie am Meer" sitzt er mit Christoph Grissemann und Heinz Strunk in einer gepanzerten Limousine fest

Nun bricht ein neues Kapitel in der Zusammenarbeit an: Die Tage des Jugendradios sind gezählt - stattdessen verlegt sich Dirk Stermann auf das Bücherschreiben und will auf diesem Wege "Altersweisheit" vermitteln. Die Nachrichtenagentur spot on news hat den 47-Jährigen in einem Münchner Straßencafé getroffen. Und die Abgeklärtheit ist Stermann anzumerken: Humor versteht er als Ablenkung vom unausweichlichen Tod, und über die politischen Qualitäten des Kabaretts und den Erkenntniswert von Gesprächen mit Stargästen wie Boris Becker gibt er sich keinen Illusionen hin. Es blitzt jedoch immer wieder die große Freude an der Arbeit durch. Zum Beispiel, wenn er darüber berichtet, wie toll es ist, dem jungen Publikum über ältere Talkgäste zu vermitteln, "dass man auch mit 90 noch eine coole Sau sein kann". Zudem kann er berichten, wie Kollege Josef Hader einmal einen Nazi bekehrte.

Herr Stermann, Sie haben gerade das Buch "Zweier" herausgebracht, den zweiten Teil einer Trilogie. Wo versteckt sich denn in so einer humoristischen Buchreihe der Spannungsbogen?

Dirk Stermann: Gar nicht. Wobei: Doch, es gibt eine Veränderung! Der Spannungsbogen ist das Cover. Beim "Eier"-Buch war ein Ei und ich, beim "Zweier" sind zwei Eier und ich zu sehen - und beim "Dreier" werden es dann wahrscheinlich drei Eier und ich sein. Ansonsten gibt es bei den Texten einfach nur einen Alterungsprozess meiner selbst. Die Texte werden immer älter, weil ich immer älter werde. Immer weiser.

Wie äußert sich die Weisheit konkret?

Stermann: Ich weiß halt einfach. Man muss immer öfter nicken, wenn man es liest und denkt sich: Stimmt eigentlich.

Dann also eine Frage an den altersweisen Humoristen: Was ist eigentlich "witzig" - sei es jetzt im Buch, TV oder Radio?

Stermann: "Witzig" ist immer eine Frage von Codes. Wenn Leute den gleichen Informationsstand haben und unter etwas leiden, dann sagt man etwas Arges über das, worunter alle leiden - dann müssen alle gleichzeitig loslachen. Weil sie ohnehin das Bedürfnis haben, über etwas lachen zu dürfen statt nur zu leiden. Es geht nur darum, dass man sich irgendwie ablenkt von der Gewissheit, dass wir alle sterben werden. Und das kann man entweder durch Schlafen - oder dadurch, kurz einmal zu entspannen und an etwas anderes zu denken.

Wie steht es da mit den Chancen, mit Humor mehr zu bieten als "Ablenkung" - zum Beispiel politisch etwas zu bewegen? In Österreich gäbe es da ja vielleicht Bedarf.

Stermann: Es gibt kaum kluge Clowns - also in Parlamenten. In Italien gibt es ja Beppo Grillo. Der ist jedoch höchst umstritten. Die Kabarettisten, die ich kenne, würde ich nicht in der Regierung sehen wollen. Weil die meisten viel zu viel trinken. Nichts gegen Trinker in Regierungen, aber ich hätte gerne nüchterne Leute vorne. Und ich glaube, dass Obama gelangweilt wäre, wenn er darauf käme, was Kabarettisten so am Telefon erzählen.

Was reden Kabarettisten denn am Telefon?

Stermann: Ach, total öde Dinge. Wie "bist du schon wach?" oder "gehen wir jetzt frühstücken?". Sowas halt.

Trotzdem die Nachfrage: Wie ist es mit der politischen Wirkung auf das Publikum? Kann man von der Bühne aus zum Nachdenken anregen?

Stermann: Null. Man kann niemanden überzeugen. Wenn ein Skinhead im Publikum sitzt, dann ist er nach unserem Programm vermutlich immer noch Skinhead. Ich glaube nicht, dass der sagt "Ach so! Das hatte ich mir so noch nie überlegt." Ich glaube, es ist schwer, Leute zu verändern. Wobei wir einen ehemaligen Fahrer hatten, der war früher Skinhead und Josef Hader hat ihn vom Nationalsozialismus zum Kabarettismus bekehrt. Hader hat dafür gesorgt, dass er, als er aus dem Knast kam, einen Job bekommen hat, bei dem er nicht früh aufstehen musste. Und da war er so dankbar...

Seit 1988 gab es Stermann und Grissemann im österreichischen Radio. Zwischendurch auch mit Erfolg auf radioeins in Berlin und Brandenburg. Diese Arbeit findet zum Jahreswechsel ein Ende. Gibt es Traurigkeit darüber?

Stermann: Wir haben das ja so lange gemacht... Und wir haben da ja nicht so einen "Beamtenanspruch". Ich möchte bevor ich 50 werde beim Jugendradio aufhören. Und dann in Würde altern dürfen.

Aber es gibt, zum Beispiel beim österreichischen Jugendradio FM4, auch Kollegen, die deutlich über 50 sind.

Stermann: Die sind teilweise 70 oder 80 Jahre alt. Aber ich will als 70-Jähriger nicht mehr zwischen Leuten in kurzen Hosen bei FM4-Parties stehen müssen.

Was sind nach dieser Zäsur die nächsten Pläne? Mit "Willkommen Österreich" sind Sie und Christoph Grissemann seit Jahren erfolgreiche Late-Night-Show-Gastgeber. Wär es nicht eine Option, es mal in Deutschland zu versuchen? Das Fernsehprogramm hierzulande wird ja oft kritisiert.

Stermann: Überhaupt nicht! Ich bin mit unserer Show zufrieden - und es wäre mir jetzt auch zu anstrengend, so viele neue Leute kennenzulernen. In Wien kenne ich alle, das ist angenehmer. Ich finde ein paar deutsche Sendungen super - aber die gibt es ja eben schon. Ina Müller braucht niemanden an ihrer Seite, der mit ihr trinkt. Das schafft sie schon alleine. Die Idee ist ohnehin eher, dass ich nur noch Romane schreibe. Ich hab jetzt zwei verfasst und das macht mir Spaß.

Gibt es ein paar Highlights, auf die Sie nach mehr als 200 Late-Night-Sendungen zurückblicken können? Besonders spannende Gäste zum Beispiel?

Stermann: Viele. Ina Müller war ein toller Gast, Roger Willemsen einer, und Helmut Berger auch. Es sind viele alte Leute tolle Gäste. Eric Pleskow etwa, ein amerikanischer Produzent, der in Wien geboren wurde und vor den Nazis abhauen musste. Ich glaube, der hat zehn Oscars gewonnen, nur so Riesenproduktionen. Ein unfassbar toller Mann. Er redet ganz leise - und für jeden Satz ist man dankbar. Wir haben ja ein junges Publikum. Und es ist toll, wenn ein alter Mann zeigt, dass man unter Umstände auch als 90-Jähriger noch eine coole Sau sein kann. Manchmal kommen dann natürlich auch so Leute wie Boris Becker, wo man nur darauf wartet, dass er platzt, weil er so aufgedunsen ist.

Seit 25 Jahren arbeiten Sie mit Christoph Grissemann zusammen - geht man sich da auf die Nerven oder ist das eher eine Art Symbiose?

Stermann: Sowohl als auch. Beides stimmt. Über den Sommer hatten wir zwei, drei Monate Pause. Seit fünf oder sechs Wochen arbeiten wir wieder - und jetzt ist es noch sehr angenehm. Aber in zwei Monaten werde ich wieder genervt sein. Und er auch. Das ist aber normal. Woran das liegt? Müdigkeit. Man ist müde und unzufrieden. Und schiebt es dann auf den anderen.

Angeblich gibt es eine besondere Verbindungen zwischen ihnen beiden - ihre beiden Mütter kommen aus Ostdeutschland, habe ich gelesen.

Stermann: Ja, genau. Seine Mutter kommt aus Greifswald und meine Mutter kommt aus Magdeburg. Und wir haben beide so einen mütterlichen Ost-Humor in uns.

Durch was zeichnet sich denn Ost-Humor aus?

Stermann: Keine Ahnung. Wahrscheinlich ist es die angenehme Triste, die wir gut finden.

Anfang November probieren Stermann & Grissemann den "mütterlichen Ost-Humor" in seinem Herkunftsgebiet aus und sind mit ihrem Bühnenprogramm "Stermann" in den neuen Bundesländern unterwegs: 5.11 Berlin, Volksbühne +++ 6.11. Leipzig, Theaterfabrik +++ 7.11. Jena, F-Haus +++ 8.11. Dresden, Scheune +++ 9.11. Potsdam, Waschhaus

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.