Die (un)geschminkte Wahrheit
München/Karlsfeld - Er ist 20, arbeitslos und will Schauspieler werden. Im Gebrauchtwagen brettert Helmut Baurecht (63) von Kärnten nach München.
Durch Zufall landet er bei einer Kosmetikfirma. Er findet die Sachen „abartig schlecht“ und bittet den Chef, das selbst mal in die Hand zu nehmen. Baurecht, der gerne malt und Spaß an Farben hat, kreiert seine erste Kollektion.
„Früchte des Herbstes“ nennt er sie. Beerentöne und so – ein Riesenerfolg. Er wird Marketingleiter, streitet sich mit dem Chef und gründet seine eigene Firma.
Die Artdeco Cosmetic Group (1200 Mitarbeiter, Jahresumsatz: 183,1 Millionen Euro) gibt es nun seit 30 Jahren.
Zeit für ein Geburtstags-Gespräch in seinem Karlsfelder Büro, das so bunt ist wie seine Produkte.
AZ: Herr Baurecht, wo schauen Sie einer Frau zuerst hin – auf den Lippenstift oder den Nagellack?
HELMUT BAURECHT: Ich schaue zuerst auf die Augen.
Dürfen sie ungeschminkt sein?
Natürlich. Man muss nur etwas aufpassen. Manchmal lernt man eine Frau kennen und am nächsten Morgen schaut die ganz anders aus. Frauen sollten sich nicht zukleistern, aber ihren Typ unterstreichen. Mit ein bisschen Gloss, Kajal oder Wimperntusche schaut jede Frau noch verführerischer aus. Ich mag den Anblick lieber.
Sind Sie ein Frauenversteher?
Insgesamt habe ich keine Chance. Ich habe vielleicht ein bisschen mehr Verständnis. Beispielsweise, wenn meine Frau im Bad länger braucht, weil sie sich schminkt. Es ist wichtig, dass sich Frauen schminken. Wäre das nicht so, hätte ich keine Arbeit.
Sie werden nicht ungeduldig?
Doch. Je ungeduldiger ich werde, desto länger braucht meine Frau. Ich sage notfalls, dass ein Termin eine halbe Stunde früher beginnt als in Wahrheit, damit wir pünktlich sind.
Schminken Sie sich?
Ich bin Kaufmann, kein Visagist. Ich benutze eine Creme, Deo, fertig.
Dürfen sich Männer überhaupt schminken?
Ich glaube, dass ein Mann, der etwa Wimperntusche benutzt, bei Frauen nicht cool rüberkommt. Solange sich das nicht ändert, wird sich Männer-Kosmetik nie durchsetzen.
Sind die Menschen in den letzten 30 Jahren eitler geworden?
Die Turnschuh- und Jeans-Generation läuft sehr leger herum. Andererseits wird auf Äußerlichkeiten mehr Wert gelegt. Früher gehörte es sich nicht, dass sich eine Frau vom Land schminkt. Viel zu verrucht. Das hat sich zum Glück geändert.
Waren alle Farben schon mal da oder kann man doch noch eine neue Farbe erfinden?
Vieles dreht sich im Kreis. Orange und Türkis haben wir fünf Mal gebracht und sechs Mal aus dem Sortiment genommen. Es ist immer wieder erstaunlich, dass sich ein neuer Trend hochpusht – auch durch Stars wie Victoria Beckham, die plötzlich mit grauen Nägeln herumläuft. Mal ist das Grün am Auge, dann an den Nägeln.
Ihr bester Schmink-Tipp an alle Frauen?
Knackrote Nägel, ein leichtes Rosa auf den Lippen, rauchige Augen – schaut immer toll aus.
Sehen Sie, wenn eine Frau Konkurrenzprodukte trägt?
Meistens schon. Ich habe ein Farbgefühl, kann mir Nuancen merken.
Welche Farbe mögen Sie nicht?
Hässliche Farben gibt’s nicht, nur schwierige wie Orange.
Schminken sich alle Frauen gleich?
Trends verändern sich schneller und sind globaler. Wenn Lady Gaga gelbe Nägel trägt, weiß das drei Klicks später die ganze Welt. Allerdings sind die Deutschen preisbewusster bei Kosmetik. Hier und in Polen wird am meisten gespart. In Italien und Spanien geben Frauen mehr Geld aus.
Ihr Erfolgsrezept?
Die großen Marken erfinden Produkte, die niemand braucht, und erklären den Leuten durch Werbung, dass sie es brauchen. Das Geld hatte ich vor 30 Jahren nicht. Also dachte ich nach, was will die Frau und produzierte es. Wir setzen Wünsche um. Außerdem habe ich die nötige Distanz. Es ist ganz gut, dass ich ein Mann bin.
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