Die neue Lust am Pelz

Schick oder schlimm? Wie Lobbyisten das Tierfell wieder salonfähig machen wollen und was Tierschützer sagen
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Mit Fell im Freien: Drei junge Frauen auf der Frankfurter Pelzmesse.
dpa Mit Fell im Freien: Drei junge Frauen auf der Frankfurter Pelzmesse.

MÜNCHEN - Schick oder schlimm? Wie Lobbyisten das Tierfell wieder salonfähig machen wollen und was Tierschützer sagen

Wer als Journalist Bilder von Pelzen finden will, braucht derzeit nicht einmal „Pelz“ in die Stichwortsuche der Fotoagenturen einzugeben – es reichen Orte wie „Kitzbühel“, „Davos“ oder „St. Moritz“. Dann gibt’s zehntausende Impressionen von Tierfellträgern, mehr als in jeder BBC-Dokumentation über Steinzeitmenschen. Frauen und Männer, die vor schöner Bergkulisse mit Pelzmänteln, Pelzmützen, Pelzstirnbändern, Pelzhandytaschen und Pelzpulswärmern posieren, mit Nerzstola oder Fuchskopf winken.

Zugegeben: Auf den ersten Blick ist nicht zu erkennen, ob es sich um echte oder künstliche Felle handelt. Schaut man sich die Verkaufszahlen der Branche an, müssen jedoch eine Menge Ex-Lebewesen darunter sein. Der weltweite Umsatz stieg zuletzt deutlich auf über zehn Milliarden Dollar. Nicht nur ein wirtschaftliches Wunder, galt Pelz doch lange als gesellschaftlich inakzeptabel, als buchstäblich untragbare Tierquälerei.

„Nicht ohne meinen Nerz!“

Das scheint sich gerade zu ändern – auch dank geschicktem Propagandafel(l)dzug der Pelzindustrie, die mit großformatigen Anzeigen, einseitigen Studien sowie PR-Berichten in Zeitungen und Zeitschriften den Eindruck erweckt, dass einem Tier fast nichts Besseres passieren könne, als zu einem Mantel oder einer Mütze verarbeitet zu werden. Das Deutsche Pelzinstitut in Frankfurt liefert das ideologische Rüstzeug. „Pelzabenteuer küssen den Glamour wach“, dichtet man auf der Homepage, „Nicht ohne meinen Nerz!“ und „Das Glück winkt den Mutigen“.

Doch auch im harten Nachrichtenstil wird Überzeugungsarbeit geleistet: „Opossums zerstören die Natur Neuseelands“, heißt es reißerisch im Bereich „Presse-Service“, außerdem seien Robbenjäger immer wieder „ungerechtfertigen Attacken“ ausgesetzt. In der Rubrik „Pelz und Forschung“ lobt ein dänischer Wissenschaftler das „Wohlbefinden“ der Tiere auf Pelzfarmen. Böden aus Draht und enge Gehege würden deren Stressniveau „nicht nennenswert" erhöhen.

„Die Verbraucher sind erwachsener geworden“, meint Susanne Kolb-Wachtel, durchaus charmante Chefin des Deutschen Pelz-Instituts. Tierfelle seien nicht nur in der High-Society gefragt, sondern auch unter Normalos. „Ich kriege Anrufe von jungen Mädchen, die ganz begeistert Pelz tragen“, berichtet sie der AZ.

So etwas habe man zuletzt in den 60er Jahren erlebt. Zudem sei das Wetter perfekt, die Tierschützer „immer diesselben“ und ein Zertifikat („OA“) vorhanden, an dem man Pelze aus einem Land erkenne, in dem es „Verordnungen“ oder „Standards“ gebe. Und überhaupt: Was man esse, könne man auch tragen.

Bis zu 200 Chinchillas müssen für einen Mantel sterben

„Ich glaube nicht, dass sie Nerze und Füchse isst“, sagt dagegen die Biologin Heidrun Betz vom Deutschen Tierschutzbund. „Pelz ist peinlich“, findet sie – und ein Produkt, das mit Tierquälerei erkauft werde. „Daran hat sich nichts geändert.“

Auch von den Zertifikaten hält die Expertin wenig. Es handele sich um freiwillige Programme der Branche, die nicht juristisch einklagbar seien. Der Begriff „Standard“ könne alles und nichts heißen.

„Auf Pelztierfarmen werden nicht einmal die Minimalansprüche erfüllt, die diese Tiere an ihre Umgebung stellen.“ Nerze seien in engste Käfige eingepfercht, Wasser liebende Sumpfbiber häufig in Verschlägen aus Beton. „Füchse haben in den Drahtkäfigen keine Möglichkeit zum Graben, und die springfreudigen Chinchillas sind in winzigen Käfigen zur Bewegungsunfähigkeit verurteilt.“ Von Letzteren braucht man für einen einzigen Mantel bis zu 200 Stück.

Stundenlanger Todeskampf in Fangeisen

Auch das Argument der Bestandsregulierung will Heidrun Betz nicht gelten lassen. Die meisten Pelztiere seien „Beutegreifer", ihr Bestand werde durch das Beuteangebot natürlich reguliert.

Zudem kämen bei der Jagd immer noch häufig Fangeisen zum Einsatz, die die Tiere stunden- oder tagelang leiden ließen, bevor sie an Erschöpfung, Hunger, Durst oder ihren Verletzungen sterben. „Bei ihren vergeblichen Befreiungsversuchen reißen sie sich tiefe Wunden ins Fleisch, verrenken oder brechen sich die Gliedmaßen. Manche Tiere beißen sich sogar die eingeklemmten Pfoten ab."

Ökologisch korrekte Pelze gebe es nicht. Auch Großmutters alter Nerz setze das Signal, dass das Tragen von Tierfellen wieder salonfähig sei. „Dafür gibt es keinen vernünftigen Grund“, sagt Betz. „So kalt ist’s auch in Kitzbühel nicht.“

Dass es selbst dort anders geht, macht zum Beispiel die Münchner Schauspielerin Uschi Glas vor. Im unechten, aber überaus lebendigen Leo-Look stahl sie beim Hahnenkamm-Rennen allen Steinzeit-Frauen modisch die Schau.

Timo Lokoschat

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