Die letzte Bastion
Enthemmt statt verklemmt: Im Tumult feiert man rau und dreckig. Kein Wunder, dass hier Münchens härtester Drink gemixt wird.
Laute Kneipen gründen tief: Also die Treppen runter, hinein ins Kellergewölbe, durch die Schwingtüre und man ist drin: Willkommen in der letzten Bastion der Unangepassten. Ja, so etwas gibt es im schicken Schwabing wirklich, genauer: in der Blütenstraße 4.
Lindi hat ein Grinsen wie ein Harlekin. Seit vier Jahren ist er Wirt der Musikkneipe Tumult. Lindi heißt bürgerlich Thomas Arthur Dellinger. Aber bürgerlich ist hier eher ein Schimpfwort – zumindest für seine Kundschaft, die vornehmlich aus jungen Mädchen mit Tattoos im Dekolletee und älteren Jungs mit hochgestachelten Haaren besteht. Ist das Tumult ein Punkschuppen? „Nein“, meint Frida, die heute auflegt: „Eher Rock n' Roll!“ Aus den Boxen quäken Disco-Hits der Siebziger. Hier tanzen sie also: John Travoltas und Oliva Newton Johns degenerierte Erben.
Eigentlich vermutet man rund ums Tumult eher verklemmte statt enthemmte Kneipen. „Zu viel arrogantes Schicki-Micki und Bussi-Bussi“, ätzt Lindi. Nein, das will er nicht haben. Im Tumult munkelt man im Halbdunkel. Raucht, bis der Hals kratzt. Und spült das Kratzen mit einem Mexikaner runter. Mexikaner? „Scharfer Tomatensaft, Wodka und Chili!“, flüstert Lindi. Ein Gläschen gefällig? Ein Schluck und das Kratzen ist weg. Ein zweiter – und man könnte in den Krieg ziehen. Und nach dem Dritten sein Testament machen.
Ein Ort für Weichgespülte, ist das Tumult wahrlich nicht. Das musste auch Verena Kerth feststellen. War sie es wirklich? „Sind eh alle gleich, diese Tussis“, meint Lindi. Einen Prosecco mit Erdbeere hätte sie bestellt. Aber einen Mexikaner bekommen. Da war für sie die Nacht vorbei.
Die Verena Kerths dürfen nur ins Tumult, wenn sie sich in Ledercorsagen zwängen und schwarze Strapse anlegen. Denn einmal im Monat steigt der mächtig angesagte Burlesque-Abend. Dann ziehen sich junge Damen im Stile lasziver Moulin Rouge-Showgirls aus. Käme Dita von Teese also aus Straubing oder Landshut – sie wäre wohl im Tumult entdeckt worden. Weit reichen die Zugeständnisse an den Zeitgeist aber nicht. Denn Lindi und seine Crew wollen der gegenkulturelle Stachel im scheinbar makellosen Gesicht der Schwabinger Schickeria bleiben.
Und wenn sie morgens um fünf mit schwerem Kopf nach Hause taumeln, genügt zum Glück die Gewissheit: Die Bastion wider der Bussi-Bussis wird nicht fallen. Darauf einen Mexikaner.
Reinhard Keck
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