Die Kesslers werden 75
Sie standen in der ganzen Welt auf der Bühne, waren mit Fred Astaire befreundet und gaben Elvis Presley einen Korb – alles im Doppelpack. Jetzt werden Deutschlands berühmteste Zwillinge 75. Und Alice und Ellen Kessler haben noch große Pläne.
Grünwald – Es gibt Stars, die gibt es eigentlich nur im Doppelpack. In Hollywood sind das zum Beispiel die Coen-Brüder oder die Olsen-Twins. In Deutschland sind es vor allem die Kessler-Zwillinge.
Am Samstag (20. August) werden Alice und Ellen, die „Königinnen des Tanzes“, 75 Jahre alt. Heute leben sie gemeinsam in einem Haus im Münchner Nobelvorort Grünwald, jede hat dort ihren eigenen Bereich. Denn – das haben die Schwestern nach mehr als sieben Jahrzehnten Seite an Seite gelernt: Nähe ist gut, zu viel Nähe kann nerven.
„Wir können uns den ganzen Tag sehen, wir müssen aber nicht“, sagt Alice Kessler der Nachrichtenagentur dpa. „Wir haben eine große Schiebetür im Wohnzimmer.“ Zu ihrem Ehrentag können sich die Zwei vor Interview-Anfragen kaum retten – zum Unverständnis der Schwestern.
„So ein 75. Geburtstag ist doch nicht so etwas Aufregendes.“ Dabei hat es die Geschichte hinter diesen 75 Jahren durchaus in sich. Lange galten die beiden Blondinen als fleischgewordene Männerträume und als die erfolgreichsten deutschen Show-Exporte.
Sie tanzten erst in der DDR, nach der Flucht der Familie in den Westen dann in Düsseldorf, in Paris – und tourten schließlich um die ganze Welt. Sie hatten sogar das Angebot, mit Elvis Presley in dem Film „Viva Las Vegas“ aufzutreten. Doch das sagten sie ab – aus Angst, auch in Amerika auf Filme mit Musik und Tanzauftritten festgelegt zu sein.
„Filmerettchen“ nennen die Schwestern diese Streifen. „Und darum haben wir das nicht gemacht“, sagt Ellen. „Unser Manager, der hätte uns schlagen können.“ Sonderlich beeindruckt vom „King“ waren die beiden ohnehin nicht. „Wir sind nicht dahingeschmolzen. Wir waren cool und das hat er nicht verkraftet.
Da war er sehr gehemmt.“ Presley war nicht der einzige große Name im Bekanntenkreis der Zwillinge – die Kesslers kannten sie alle: Frank Sinatra und Elizabeth Taylor, Sammy Davis jr. und Fred Astaire. „Beeindruckt haben sie uns alle, aber ganz privat hat uns Fred Astaire beeindruckt, weil er so bodenständig war und gar nicht abgehoben.
Das war wunderbar“, sagt Alice. Ein Rockstar-Leben aber hätten sie, die beide nie geheiratet haben, nie geführt. „Wir haben hart gearbeitet“, sagt Ellen heute. „Abgehoben sind wird nie. Wir kennen keine Drogen, keine Alkoholexzesse – wie die arme Amy Winehouse.“
Das Erfolgsrezept der Zwei beschreibt Alice ganz schlicht: „So ein Zwillingspaar, das sich synchron bewegt, das ist schon etwas Besonderes.“ Dieses Konzept brachte aber auch Probleme mit sich. „Dass man immer im Doppelpack auftreten muss, kann manchmal ein Problem sein.
Man kann nie spontan sein und das Bein mal höher werfen als geplant, wenn einem danach ist. Man ist ein bisschen in einer Zwangsjacke.“ Heute wollten sie zwar nicht mehr am Anfang einer Karriere stehen. Inzwischen sei das Geschäft viel zu schnelllebig geworden. Den Rücken gekehrt haben sie dem Showbusiness deswegen aber noch lange nicht.
Im Herbst soll ihr Musical „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ in Rom starten - ihrer zweiten Heimat. Dort wollen sie an diesem Samstag auch ihren Geburtstag feiern. Früher hatte es sie gar nicht auf die Bühne gezogen. „Ich sollte eigentlich studieren, weil ich so ein gutes Zeugnis hatte“, sagt Alice. Modezeichnerin wollte sie werden, ihre Schwester Ellen Ärztin.
Auf Wunsch des Vaters aber nahmen sie Ballettunterricht, erhielten ein Stipendium an der Leipziger Oper und ihre ungewöhnliche Karriere nahm ihren Lauf. „Der Weg, den wir eingeschlagen haben, war der bessere. Ich bereue nichts“, sagt Alice rückblickend. Und Ellen fügt hinzu: „Ich auch nicht.“