"Die Angst krallt sich das Herz"

68er-Ikone Jutta Winkel hat Krebs. „Ein Professor schrieb mir, dass ich den Sommer nicht überleben werde. Jetzt ist bald Weihnachten“, erzählt sie hier – und wie ihre Kinder mit der Krankheit umgehen.
von  Kimberly Hoppe
„Die ganze Zeit am Abgrund“: Jutta Winkelmann erzählt im AZ-Gespräch, wie sie mit ihrer schweren Krebs-Erkrankung umgeht.
„Die ganze Zeit am Abgrund“: Jutta Winkelmann erzählt im AZ-Gespräch, wie sie mit ihrer schweren Krebs-Erkrankung umgeht. © Gregor Feindt

AZ: Frau Winkelmann, Sie haben am Montag in der AZ offen aus Ihrem Leben mit Krebs berichtet. Ärgern Sie sich über Menschen, die sich wegen Kleinkram aufregen?

JUTTA WINKELMANN: Ja. Aber ich lache auch, wenn ich mich selbst dabei erwische. Meinen Freundinnen gönne ich natürlich alles, auch ihre kleinen Zipperlein, über die sie sich mal mehr aufregen. Aber es kommen alle möglichen Gefühle in mir hoch: Reue, Selbstmitleid, Angst, aber auch gute Dinge wie Intensität.

Plötzlich ist etwas schön und ich Freude mich besonders, weil ich das Gefühl habe, dass das nicht mehr oft der Fall sein wird. Es gibt Momente, in denen ich mich gesund fühle.

Welche Momente sind das?

Wenn die Schmerzen weniger sind – wie derzeit. Ich checke jeden Morgen nach dem Aufwachen meine Zehen und meine Finger durch, ob ich alles noch bewegen kann. Zum Glück kann ich mich noch bewegen.

Es könnte ja passieren, dass der Krebs sich auf den Hauptnerv auswächst, dann wäre ich gelähmt oder blind oder so. Es kann immer alles passieren. Täglich. Die Ungewissheit, wann das Leben vorbei sein könnte, ist lebensnotwendig.

Haben Sie von den Ärzten mal gesagt bekommen, wie lange Sie noch zu leben haben?

Nein, konkret nicht. Mein Arzt sagt mir nur oft, dass es ernst ist. Krebs ist unberechenbar, Genaueres höre ich nicht.

Ein befreundeter Professor schrieb mir, dass ich den Sommer nicht überleben werde. Jetzt ist bald Weihnachten. Auf seinen Mist habe ich gar nicht erst geantwortet.

In der Klinik wurden mir häufiger Patientenverfügungen angeschleppt. Ich wollte mein Ende nicht absegnen, habe nichts unterschrieben. Als ich die Chemotherapie ausschlug, wurden allerdings mal Worte laut, dass es dann nicht mehr lange gehen könnte mit mir.

Warum wollen Sie keine Chemo?

Ich bin zwar eine Kriegerin, aber das würde ich nicht packen. Das weiß ich. Ich helfe mir lieber, indem ich mich kundig mache. Viel rumgoogle, mich informieren. Da tauchen auch Widersprüchlichkeiten auf, nur in einem sind sich alle einig: Zucker ist Gift.

Da kann ich ein bisschen was probieren. Außerdem versuche ich immer wieder, eine positive Einstellung zu haben und die zu nutzen.

Weinen Sie nicht einfach mal hemmungslos?

Das mache ich auch, aber nur kurzfristig. Gefühle zuzulassen, ist auch wichtig. Nur nicht ewig dran rumkauen. Ich krieg manchmal nachts so kalte, nackte Angstanfälle – aber die kenn ich jetzt auch schon ganz gut.

Diese starke, namenlose Angst kriecht hoch und krallt sich das Herz. Die kriegt man nur weg, indem man gar nicht erst versucht, sie wegzukriegen.

Was tun Sie in so einem Angstanfall?

Obwohl ich nicht so der gläubige Mensch bin, bete ich dann doch. Meine Mantras und Zaubersprüche helfen schon. Nur nicht in der Klinik, da musste ich Schlaftabletten nehmen.

Ich hatte so eine Panik, dass ich dachte: „Jutta, du stirbst nicht an Krebs, sondern an einem Herzinfarkt.“ In der Klinik sind Sie im Sommer mit 41 Kilo zusammengebrochen.

Der Tiefpunkt?

Ich konnte nichts mehr essen, mein Hals war irre kaputt, hat so geschmerzt, das Essen hat ekelhaft geschmeckt, ich bekam nichts runter, konnte mich nur übergeben.

Haben Sie an Selbstmord gedacht?

Man muss aufpassen, solche Gedanken ploppen schon mal auf, aber nicht ernst gemeint. Ich dachte bis jetzt immer, dass ich das schon noch schaffe.

Früher waren Sie freiheitsliebend, jetzt sind Sie von Ärzten und Artzney abhängig – wie gehen Sie damit um?

Besonders schwierig ist dabei, dass man plötzlich so angreifbar ist. Ich habe schon früh über den Tod nachgedacht, auch durch Rainer, der den spirituellen Weg geht und sagt, wir müssen uns vorbereiten, das Ende ist erst der Anfang.

Sehen Sie das auch so?

Ich habe es früher auch immer so gesehen, heute weiß ich es nicht.

Ich hatte im Krankenhaus auch ein Erleuchtungserlebnis, das war wunderschön. Es passierte während meines Schwächeanfalls. Ich dachte, ich sterbe – es war wie auf einem LSD-Trip, diese Nahtod-Erfahrung, alles leuchtete, ich schwebte durchs Weltall.

Seitdem stürze ich nicht mehr in solche Angstlöcher.

Der Tiefpunkt als Wendepunkt?

Ja, seitdem habe ich das Gefühl, es geht etwas bergauf. Diese totale Angst lauert zwar, ist aber nicht mehr so präsent. Das kann sich natürlich auch in ein paar Stunden ändern.

Mittlerweile habe ich die Einstellung: Es bleibt spannend. Und so beschissen war das letzte Jahr gar nicht. Es war sogar fast das beste Jahr meines Lebens.

Wieso das?

Anfangs konnte ich Rainer nicht verstehen, der sagte, ich solle meinen Krebs nicht nur akzeptieren, sondern lieben lernen. Aber da ist was dran.

Auf jeden Fall hat mich der Krebs verändert. Ich bin viel selbstsicherer geworden, zweifle weniger, genieße mehr.

Ich bin jetzt richtig gern mit mir befreundet, verbringe gerne die Zeit mit mir allein. Ja, ich kann sagen: Zum ersten Mal in meinem Leben liebe ich mich. Ich würde mich jetzt sogar heiraten.

Finden Sie es manchmal blöd, dass Sie Rainer nicht ganz für sich allein haben?

Immer wieder sind wir Frauen auf uns eifersüchtig, haben manchmal richtige Anfälle. Daran hat sich nichts geändert. Total bescheuert.

Aber ich will Rainer nicht mehr für mich alleine haben, ich habe jetzt ja auch gerne mal Zeit für mich. Insofern ist es nun optimal.

Bereuen Sie irgendwas?

Ein bisschen Blödsinn hätte ich auch sein lassen können. Ich hätte vielleicht eine noch bessere Mutter sein können. Aber meine beiden Kinder, sie sind 30 und 33, und ich – wir lieben uns sehr.

Es war besonders schwer, ihnen von meiner Krebserkrankung erzählen zu müssen. Ich habe es kaum übers Herz gebracht. Aber es war gut, offen damit umzugehen. Die Krankheit hat uns noch näher zusammengebracht.

Aber sonst bereue ich nichts. Ich wollte immer ein interessantes Leben führen – mit Herausforderungen. Ich erlebe die jetzige Herausforderung daher sehr intensiv.

Vielleicht ist es auch besser so – als wenn ich ganz alt, senil und tatterig werden würde. Obwohl: Ein bisschen will ich schon noch hier sein. Es macht so irre viel Spaß zu leben.

 

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