Der süße Umweg „Trader Vic’s“

Das Dauerbrenner-Restaurant fünf Meter unter dem Bayerischen Hof feiert Jubiläum und Kult-Filmer Klaus Lemke suhlt im „Schmutzigen Süden“ – Graeter blickt hinter die Kulissen
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Hotel Bayerischer Hof: Die Betreiber fürchten den Lärm der Bauarbeiten an der Stammstrecke
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Das Dauerbrenner-Restaurant fünf Meter unter dem Bayerischen Hof feiert Jubiläum und Kult-Filmer Klaus Lemke suhlt im „Schmutzigen Süden“ – Graeter blickt hinter die Kulissen

In München feiern Gastronomen gern das „Einjährige“, weil sie sich wohl nicht sicher sind, ob das zweite Geschäftsjahr erlebt wird. Das Südsee-Restaurant „Trader Vic’s“, fünf Meter tief unter dem Hotel-Palast „Bayerischer Hof“, floriert nun schon seit 38 Jahren.

Es ist das 18. der weltweit operierenden Restaurantkette, bei der die aktuellen Manager in San Franzisco plötzlich herausgefunden haben, dass ihr Unternehmen nunmehr seit 75 Jahren besteht. Mich führte Hotelier und Hausherr Falk Volkhardt, ein Weltmann, als ersten zusammen mit Rudi Carrell am 18. März 1971 durch das 500 Quadratmeter große Südsee-Restaurant mit perfekter polynesischer Atmosphäre. Der einzige Schönheitsfehler im ersten Weltstadt-Lokal Münchens: Die Sitzflächen sind leider nicht aus echtem Leder und verursachen, dass die Kleider der Damen immer leicht kleben bleiben.

Am 22. April um 11.30 Uhr wurde das Original „Trader Vic's“ offiziell eröffnet, die A-Liste war im Einsatz mit Erbprinz Jocki zu Fürstenberg, Jazz-Star Count Basie, Radiolady Anneliese Grundig, Minister Otto Schedl, Filmstar Blacky Fuchsberger, Prinz Alfi von Auersperg, Soraya-Mutter Eva Esfandiary, Thai-Generalkonsul Herbert G. Styler mit der Diamanten-Wally, die Humplmayr-Chefs Hartwig und Charlott Franzen, Stahlunternehmer Martin Glässel, Dr. Bodo und Renate Thyssen sowie Champager-Botschafter Henri Francois-Poncet, von denen einige bereits dem Jubiläum von oben beiwohnen.

Für Fußballer ist der Keller-Dschungel immer ein süßer Umweg zu ihren Suiten. Die hundert Cocktail-Erfindungen des Hauses ersparen oft 700 Worte an Überzeugungskunst. Als Visconti-Star Helmut Berger das leise agierende Südsee-Bedienungspersonal triezte, war zu bewundern, wie geschmeidig es das Enfant terrible zu handhaben wusste. Konzert-Impresario Marcel Avram, der seine Konkurrenten biologisch wie finanziell überlebt hat, traf ich oft im „Trader Vic's“, zuletzt mit Lionel Richie, kurze Zeit nachdem er die unsägliche Strafmaßnahme mit Fußfesseln hinnehmen musste.

Ich sah dort Kragenbär-Schützerin Alexandra Oetker dinieren und Playboy Gunter Sachs sowie Tablettenkönig Günther Schmidt feiern. Zu den Stammgästen gehören Tier-Advokat Michael Aufhauser, Flick-Anwalt Michael Reichardt, Gräfin Barbara Metternich, Fürstin Inge Wrede und Roberto Blanco (überwiegend bei Portemonnaie-schonenden Anlässen). Nicht nur bei den Cocktails sondern auch beim Service und der exzellenten Glas-Pflege der Bar kann jeder Keeper lernen. Jeden Abend stehen auf Hochglanz polierte Gläser wie neu in Reih und Glied in den Regalen. Seit fast 40 Jahren.

***

Klaus Lemke wirbelt durch Schwabing. Nach zehnjährigem Seitensprung-Dasein in Hamburg ist er an den Tatort zurückgekehrt, wo der zeitlose Underground-Filmer schon immer mit Fiereks und Cleos seinen Spaß trieb. Klaus ist gerade mittendrin bei den Dreharbeiten seines neuen Films „Schmutziger Süden“, der in Münchens Schellingstraße entsteht. Die Location, bei der ich Lemke traf, ist das Lokal „Horses, Cars and Stars“, eine mit Graffiti überzogene Times Square-Klitsche, die sich wie eine Sternschnuppe in Schellingstraße verirrt hat.

Im Mittelpunkt der provozierenden Lemke-Saga steht eine echte Chirurgin der Universitätsklinik München, die (im Film) auf Nikotinentzug die Fähigkeit entwickelt, allen per Gedankenübertragung einen Orgasmus verpassen zu können. „Allerdings“, so erklärt Klaus, „verliert die Dame die unheimliche Gabe in dem Augenblick, wenn sie sich verliebt.“ Lemke dreht den Streifen aus Wut, weil er keine Antwort auf die Frage wusste, warum er in München lebt und in Hamburg seit einem Jahrzehnt filmt. Über den eisgrauen Peps Kommer, einst Münchens Disco-König mit mehreren Etablissements gleichzeitig, sagt der Regisseur, mit dem er sein Erstlingswerk „48 Stunden nach Acapulco“ gedreht hat, ein großes Wort. „Ohne ihn gäbe es den deutschen Film nicht“, meint er und verdammt die Berufsjugendlichen dieser Branche, die nur Subventionsabstauber seien. „Die Fleischmanns, Bohns, Wenders und an der Spitze Alexander Kluge haben den Film kaputt gemacht. Wenn das Publikum schon nicht in die Oberhausener Filme gegangen ist, soll es wenigstens bezahlen. So hat es Kluge mit Steuermitteln bestraft und die Filmförderung auf den Weg gebracht. Jede Kreativität geht durch Filmförderung zugrunde“, ärgert sich Lemke. Er fügt hinzu, dass er der einzige in der Szene sei, der nicht gekauft ist.

Das Budget für „Schmutziger Süden“ ist sehr eng und jeder Beteiligte erhält eine übersichtliche Gage: 50 Euro pro Drehtag. „Ich habe nicht viele Taschen, in die ich reingreifen kann, aber es sind meine eigenen“, philosophiert der Zelluloid-Cowboy. Als Kameramann fasziniert der kleine Portugiese Paulo da Silva, ein Seiteneinsteiger, der „Magie in den Händen“ und südländisches Timing und Tempo besitzt. Er filmt mit einer kleinen Sony unbemerkt, was der Natürlichkeit bei den Akteuren, die Lemke von der Straße geholt hat, zugute kommt.

Den Hauptpart mimt der „Teenager“, so wird Henning Gronkowski im Film genannt, um den drei Damen buhlen. Schwarze XXL-Mülltüten mit Atmungslöchern aus der Kollektion „Baumarkt“ spielen eine wichtige Rolle. Partnerin Sina Hentschel trägt so ein Tüten-Kleid, das danach ruft, heruntergerissen zu werden. Lemke: „Wer mag das nicht, seiner Geliebten das Kleid voller Leidenschaft herunterzureißen?“

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