Der Model- Sammler
Musen prägen ihn und seine Mode: Heute wird Karl Lagerfeld 70 (oder 75). Wie er sich mit Schiffer, Lohan und Co. stets neu erfindet.
Die griechische Mythologie kennt neun Musen. Das toppt Karl Lagerfeld leicht. Kein anderer Designer hat in seiner über 50-jährigen Karriere mehr Models gesammelt als der Hamburger. „Ich hasse das Wort Muse“, sagt er. „Aber ich bin keine Frau. So brauche ich die perfekte Verkörperung von dem, was ich mir im Moment vorstelle.“ Sie sind seine Projektionsfläche.
Die Französin Inés de la Fressange war die Erste, die einen Exklusivvertrag für Chanel bekam. Lagerfeld erfand für sie das klassische Kostüm neu: Grelle Farben zu Schwarz, strenge Blazer zur Jeans – ein Tauziehen zwischen Tradition und Moderne.
„Du bist nur noch ein Monster, dass eine 5000-Dollar-Handtasche trägt.“
1989 muss de la Fressange, eine Freundin von Prinzessin Caroline, gehen. Lagerfeld baut die 13-jährige Kimora Lee Perkins auf, schickt sie im Brautkleid auf den Laufsteg. Nach ein paar Monaten hat er genug: „Du bist nur noch ein Monster, dass eine 5000-Dollar-Handtasche trägt.“
Nicht Kind, nicht Dame: Diese Mischung findet Lagerfeld in Claudia Schiffer, die 1988 erstmals für ihn gemodelt hat. Sie wird die neue Brigitte Bardot in cremefarbenen Roben oder dekolletierten Korsagen. Mit ihr lernt Lagerfeld zu provozieren und zieht in der Zeit der großen Couturiers nicht über seinen Namen, sondern über sein Model die Aufmerksamkeit auf seine Kollektion. Keine verkörpert für ihn besser die Mischung aus Sex und Unschuld.
Die Ikone Lagerfeld
Jahrelang kommt keine an Schiffer vorbei, dann trifft Lagerfeld Amanda Harlech. 1996 wechselt sie von John Galliano zu ihm. „Allein ihre Anwesenheit im Studio gibt der französischen Mode einen kosmopolitischen Hauch“, so Lagerfeld. Der Pariser-Chic wird weltoffener, gleichzeitig werden die Linien klarer, androgyner – wie Harlechs herber Charme.
Doch dann entdeckt Lagerfeld sich selbst: 2000 nimmt er 42 Kilo ab, legt den Fächer weg. Übrig bleibt ein Mann, der sich selbst zur Ikone stilisiert und als neue Begleiterin Diät-Cola findet, „mit einem Schuss Espresso, dann schmeckt es wie Zartbitterschokolade“. Fotografie, Bücher, CD’s, Architektur – Lagerfeld, der sich nach eigener Aussage mit 40 Jahren vom Sex verabschiedet hat, wird omnipräsent, ziert T-Shirts, Taschen, kreiert seinen eigenen Steiff-Bären. Seine Mimik, die ein Journalist mal wie ein Roboter auf Standby beschrieb, wird legendär.
„Heidi, wer?"
Genau wie seine Sprüche. Auf Export-Schlager Heidi Klum angesprochen, fragt er „Heidi, wer?". Zum Mager-Wahn sagt er: „Ich habe noch nie ein magersüchtiges Mannequin gesehen. Die Frauen heute sind eben schlanker als die alte Garde“. Oder: „Im Grunde bin ich der oberflächlichste Mensch auf der Welt.“
Lagerfeld ist auf dem Zenit, doch sein Geheimnis lautet: „Nie stolz auf Vergangenes sein.“ Er überlebt sich selbst – die Halbwertszeit seiner Musen wird immer kürzer. Nach Marlene Landauer 2005 folgt Kate Moss mit „ihrem elfenhaften Zauber und ihrer persönlichen Kraft“. Als ihre Karriere wegen Drogen zu Ende scheint, hält er zu ihr: „Ihre Modernität weist über die Mode hinaus.“ Lagerfeld beginnt zu polarisieren.
Warten auf neue Musen
Mit Lindsay Lohan tauchen Punk-Accessoires bei Chanel auf, Boots zum Kleid. 2006 entdeckt er die unkonventionelle Schönheit Irina Lazareanu – sie wird im Nu zum gefragten Model. Wenig später macht er Amy Winehouse zu seiner Stil-Ikone – lässt die Models als Doubles der Soul-Diva defilieren. Wieder einmal ist er der Zeit voraus: Die Konkurrenz imitiert den Amy-Look.
Schon warten die nächsten Musen: Kurt Cobains Tochter Francis Bean ist angefragt. Auch Charlotte Casiraghi, Prinzessin Carolines Zweitjüngste, zeigt sich oft mit Lagerfeld – dem Modelmacher schlechthin.
Anne Kathrin Koophamel