Der Krabbenkönig und der Fußballkaiser
MÜNCHEN - Jünne Gosch, der Sylter Krabbenkönig, macht gerade Station in München - dabei trifft er Franz Beckenbauer und plant jetzt schon, bald in Schwabing ein Restaurant zu eröffnen.
Der Kaiser aus München traf auf den König von Sylt. Der eine, die Lichtgestalt des Sports, im gewohnten dunkelblauen Maß-Zwirn und handgebügelten Hemd, der andere , ein Supermann der Wirtschaft im Outfit a la Colombo. Ball-Professor Franz Beckenbauer war zufällig zum Naschen in den Münchner Hauptbahnhof gekommen, wo derzeit der Sylter Krustentier-Zirkus "Gosch" gastiert. Die ganze Halle riecht entsprechend nach, sagen wir mal, Meer. Franz konnte nicht in Ruhe die köstlichen Krabben und das Krebsfleisch genießen, schon war er umringt von Autogrammjägern. Eiligen Schrittes suchte der weißblaue Weltmann das Weite.
Abseits vom Kaiser saß auf der anderen Seite der Fischoase, die sich inmitten der Bahnhofshalle in einer gestrechten Ford-Limousine breit gemacht hat, unbeachtet ein silberhaariger Mann in orangefarbenem Pullover mit Steppjacke. Auffälligkeitsgrad: grauer Pflasterstein in der Fußgängerzone. Der Mann, den ich beinahe übersehen hätte, verputzte bereits den dritten Teller Matjes. Er ist der Fischkönig von Sylt Jürgen (Jünne) Gosch, der von einer einwöchigen Diätkur in Oberstauffen kam. Er hat einen, auch für die seine Mitarbeiter, überraschenden ("Kontroll"-)Umweg über München gemacht, bevor er für Fernsehaufnahmen in den ICE nach Düsseldorf steigt.
Gosch, Herr über 1000 Mitarbeiter, hatte sechs Tage lang gehungert, vier Kilo abgenommen und die bekannte Hormon-Erfahrung gemacht, dass Oberstauffen ein Biotop für herbstliche Erotik ist. Männer sind meist in der Unterzahl und die reife Damenwelt stürzt sich auf jeden Adam, der nicht bis zwei auf dem Baum ist. "Mann, ist der Matjes gut", schwärmte Jünne von seiner eigenen Ware, "er zergeht wie eine Schneeflocke auf der Zunge." Der Meeresfrüchte-Millionär lächelt, streicht sich mit seinen zupackenden Händen durch die weißen Haare. Mit jedem Wort gewinnt er. Wenn man ihn so dasitzen sieht, traut man ihm sein Fisch-Imperium nicht zu. Er zählt zu den neuen Multimillionären, die so aussehen, als müßte man ihnen was leihen.
Der gelernte Maurer kam vor 40 Jahren aus dem schleswig-holsteinischen Kaff Tönnig nach Sylt und erkannte sofort, dass er auf dem falschen Dampfer saß und sattelte sofort um. Er verkaufte Aal im Korb, eröffnete bald die erste Fischbude und breitete sich im Hafen von List immer mehr aus. Seine grell bemalten Verkaufsfassaden sahen aus wie ein kleines Oktoberfest und die Leute kamen in Scharen, von Gunter Sachs bis Fritz Wepper, sowie Graf Frederic Chandon oder Roman Polanski, wenn sie in der letzten Juli-Woche von Paris aus kurz nach Sylt jetteten. Von Jahr zu Jahr wurde Gosch größer und er verkauft heute unzählige Tonnen Nordseekrabben und Krebsfleisch. Genaue Zahlen über seine Rekord-Umsätze gibt er nicht preis. Wie in München und auf Sylt zählen auch in den zehn Dependancen "auf dem Festland" (Jünne) prominente Feinschmecker zur Gosch-Family,. In Travemünde wurde Russlands Ex-Staatschef Michail Gorbatschow Matjes-süchtig und ließ sich eine Extra-Portion Nordseekrabben einpacken.
"Meine Lebenspille", sagt Gosch, "ist Fisch. Mit mir befreundete Ärzte ärgern sich seit Jahren, dass sie mit mir kein Geschäft machen können. Wir fehlt nichts, weil ich nur das esse, was aus dem Meer kommt". Jünne ist verheiratet. Seine 27jährige Tochter geht inzwischen seiner Frau Anna zur Hand, sein Junior ist indirekt mit seinem Fischgeschäft verbunden. Er arbeitet als Meeresbiologe und "sorgt dafür, dass nur gute Ware aus der Nordsee kommt", so Gosch.. Obwohl der Großunternehmer aussieht, als könne er kein Wässerchen trüben, lebt er nach der Devise: "Gönn Dir Gutes, gönn Dir Gosch." Auf der Lustinsel Sylt war der Mann mit lebhafter Fischerschütze bekannt, natürlich vor seiner Ehe. Im Lister Hafen unterhält der Fisch-König versteckt zwischen zwei anderen gleich aussehenden Türen ein Geheim-Büro. Den Schlüssel besitzt nur er.
Pro Tag belagern rund 3000 Gäste im Münchner Hauptbahnhof die "Gosch"-Oase, allein 1000 Fischbrötchen gehen täglich über den Thresen der weißen Ford-Lincoln-Stretch-Limousine. Wegen des großen Appetits und Anklang in München plant der Krabben-Primus ein Fisch-Restaurant in Schwabing oder in der Innenstadt. Die Konkurrenz scheint von diesem Vorhaben nicht besonders angetan zu sein. Abgesandte der "Nordsee"-Kette erschienen bereits mit Block und Bleistift vor Ort und stellten Preisvergleiche an. Gosch ist übrigens Weltmeister im Krabben-Pulen. In vorgeschriebenen 20 Minuten legte er 420 Gramm Krabben-Fleisch frei. "Das sind 1,2 Kilo mit Schale",erklärte er.
Seine bunte Budenzeile im Hafen von List auf Sylt musste er übrigens abbauen, nachdem der Amtsschimmel drohte, wg Baufälligkeit und Hygiene, die Pacht zu kündigen. Nun ist die Gosch-Front nicht mehr so urig, aber Jürgen hat bereits neue Pläne eingegeben und will das Hafenrestaurant mit einem Leuchtturm aufpeppen. Den Original-Gosch-Hummer gibt es wegen behördlicher Auflage in München nicht. Im Hauptbahnhof muss man sich mit einer feuerroten Plüschausgabe zufrieden geben. "Zum Kuscheln", sagte Gosch-Frontman Klaus Behrens.
Michael Graeter