Das Twitter-Märchen: Jetzt zwitschern die Milliarden
San Francisco - Es ist ein modernes Märchen. Die Geschichte von vier mehr oder minder verrückten Jungs, allesamt Studienabbrecher, die in San Francisco eine Mitteilungsplattform gründen, ursprünglich um sich selbst zu informieren, wer gerade an was arbeitet. Daraus entsteht ein weltumspannendes Unternehmen, das diese Woche an die Börse geht. Sein Name: Twitter.
Es ist der aufsehenerregendste Hype in der Finanzwelt seit dem Börsengang von Facebook. Experten schätzen, dass Twitter, das bis heute rote Zahlen schreibt, über zwei Milliarden Dollar an Aktienkapital erlösen wird. Drei seiner vier Gründer werden steinreich, der vierte wird bei der wundersamen Geldvermehrung in die Röhre schauen müssen.
Alles beginnt Ende 2005 in San Francisco. Dort kommen mehr oder weniger zufällig die vier Männer zusammen, die Twitter auf den Weg bringen. Es sind Computerfreaks, wie sie zu Hunderten die Cafés der Stadt bevölkern.
Evan Williams, Jahrgang 1972, stammt von einer Farm in Nebraska. Er studiert einige Semester, schmeißt dann das Studium und gründet 1999 "Blogger.com", das er 2003 für etliche Millionen an Google verkauft. Er ist schon eine lokale Berühmtheit, als er die Podcasting-Firma "Odeo" gründet. Bei einem Besuch im "Cafe Centro" im Szeneviertel South Park, erkennt ihn einen anderer junger Mann, der sich sofort bei ihm per E-mail bewirbt.
Jack Dorsey, Jahrgang 1976, wollte eigentlich in einem Schuhladen arbeiten. Die haben ihn aber wegen seines ungewöhnlichen Aussehens - Nasenring, Tattoos - abgelehnt. Nun schickt er die gleiche Bewerbung an Williams. Dorsey kommt aus St. Louis und hat einen schweren Sprachfehler, bei dem er fast alle Silben verschluckt, abgelegt. Er studiert zunächst Ingenieurwissenschaften in Missouri, bricht ab, arbeitet als Programmierer, will dann botanischer Zeichner werden, beginnt einen Modestudium, bricht erneut ab, wird Masseur und landet schließlich bei "Odeo" und Evan Williams. Er ist ein genialer Programmierer.
Biz Stone, Jahrgang 1974, hat in Berkeley nicht sonderlich erfolgreich studiert und mit Evan Williams "Odeo" aufgebaut. Auch er gilt als ein außergewöhnlich begabter Programmierer. Noah Glass, Jahrgang 1974, ist der Kreative des Quartetts. Der US-Reporter Nick Bilton, der den Lebensweg von Jack Dorsey dokumentierte, schreibt über Glass: "Jack besaß eine geradezu unheimliche Fähigkeit, Verknüpfungen zwischen Momenten und Dingen herstellen zu können."
Diese Vier freundeten sich an. Sie zogen, wie Bilton schreibt, durch die Clubs und Shisha-Bars oder erkundeten Weinlokale, Sakebars und Kunstgalerien der Stadt. "Nahezu jeden Morgen hatten sie einen Kater." Und sie entwickelten Twitter. Jack und Bizz schrieben die Programme, Even finanzierte das Unternehmen, der kreative Noah hatte den Einfall, das Ganze "Vogelgezwitscher" zu nennen. Twitter oder "twttr", so die Urform. Am 21. März 2006 zwitscherte Jack Dorsay die erste Nachricht ins Netz: "Just setting up my twttr."
Die Erfolgsgeschichte des Kurznachrichtendienstes, der maximal nur 140 Zeichen pro Nachricht erlaubt, ist überwältigend. Die ganze Welt twittert. Twitter-Königin ist Katy Perry (29, "Prism") mit 46 Millionen "Followern", die ihrer Nachrichtenflut folgen. Justin Bieber (19, "Believe") liegt mit 44 Millionen Followern auf Platz 2, Rang 3 hält Lady Gaga (27). In Deutschland steht Boris Becker (45) an der Spitze, der nahezu täglich in alle Welt hinauszwitschert, was ihn gerade bewegt oder wo er sich mit wem befindet.
Und was ist aus dem Gründungs-Quartett geworden? Intrigen und Machtkämpfe haben die Vier getrennt. Jack Dorsey war der erste Twitter-Boss, 2008 wurde er abgesägt. Er soll noch knapp fünf Prozent der Anteile halten, sich aber aus dem operativen Geschäft heraushalten. Er hat 2009 den mobilen Bezahldienst "Square" gegründet und sitzt seit 2011 wieder als Verwaltungsratschef in der obersten Ebene bei Twitter.
Evan Williams folgte Jack Dorsay bis 2010 als Twitter-Chef. Angeblich besitzt er 12 Prozent der Anteile. Er gilt als der reichste der Twitter-Gründer. Biz Stone ist immer noch als Creative Director bei Twitter aktiv. Sein Vermögen wird auf mehrere Hundert Millionen Dollar taxiert. Noah Glass verließ bereits 2006 das Unternehmen im Streit. Er bekam nur eine relativ geringe Abfindung und wird von dem aktuellen Milliardensegen nicht mehr profitieren.