Das Leben des Ronnie Biggs
London - Am Mittwoch ist mit 84 Jahren die britische Ganoven-Legende Ronald Arthur "Ronnie" Biggs verstorben. Ein Mann der als Krimineller begann und zur Pop-Ikone wurde. Tatsächlich schlug Biggs schon früh eine Verbrecherlaufbahn ein. 1949 wurde der 20-Jährige nach dem Einbruch in einer Apotheke unehrenhaft aus der Royal Air Force entlassen. In den folgenden Jahren landete er immer wieder wegen Diebstählen und Überfällen im Gefängnis, wo er auch Bruce Reynolds kennenlernte, den späteren Mastermind seines Zugüberfalls. Am 8. August 1963 gelang Reynolds mit seiner 15-köpfigen Bande der große Coup: Durch manipulierte Signale stoppten sie bei Cheddington einen Postzug der Royal Mail.
Der sorgfältig geplante Raub wurde ohne Schusswaffen durchgeführt, lief jedoch nicht gewaltfrei ab. Der Lokführer, Jack Mills, wurde mit einer Eisenstange niedergeschlagen und musste später den Zug zum Standort der Fluchtautos fahren. Der Lokführer erholte sich nie von dem Trauma das Überfalls und blieb bis zu seinem Krebstod im Jahr 1970 arbeitsunfähig. Die Räuber entkamen mit dem auf dem Zug geladenen Geld: 2.631.648 Britische Pfund. Ein für damalige Verhältnisse irrsinnig hoher Betrag, nach heutigem Wert etwa 40 Millionen Pfund (ungefähr 47 Millionen Euro). Der größte Teil der Beute wurde nie wiedergefunden.
Die Polizei konnte in den folgenden Monaten die meisten Mitglieder der Bande festnehmen, drei blieben jedoch ungefasst, ihre Identität bis heute unbekannt. Zwei davon sollen inzwischen gestorben sein. Die verhafteten Räuber wurden 1964 verurteilt, Biggs bekam 30 Jahre. Doch damit war seine Geschichte noch lange nicht zu Ende. Am 8. Juli 1965 gelang ihm die spektakuläre Flucht aus dem Wandsworth-Gefängnis. Zusammen mit drei anderen Häftlingen kletterte Biggs mittels einer Strickleiter über die Mauer der Haftanstalt und entkam mit einem bereitstehenden Möbelwagen.
Biggs floh, zunächst mit seiner Familie, zuerst nach Frankreich, dann nach Australien. Dort ließ er 1970 seine Frau und die drei gemeinsamen Söhne zurück und setzte sich nach Brasilien ab, das kein Auslieferungsabkommen mit Großbritannien hatte. Scotland Yard bemühte sich erfolglos um die Ausweisung des Gesuchten, auch, weil Biggs mit einer Brasilianerin ein Kind bekam. 1981 wurde er sogar von ehemaligen britischen Soldaten entführt, die Auslieferung an die britische Polizei scheiterte jedoch. In der Heimat wurde Biggs wegen der Schnippchen, die er der weithin verhassten Polizei schlug, zum Volkshelden.
Er versuchte auch selbst eifrig, aus seiner Popularität Kapital zu schlagen und vermarktete sich als Touristenattraktion, gegen Bezahlung durften Besucher mit ihm essen und seinen Erzählungen von dem Raub lauschen. Etwas anderes blieb ihm auch kaum übrig: Als Krimineller durfte er in Brasilien keiner regulären Arbeit nachgehen, seinen Anteil an der Beute (147.000 Pfund) hatte er innerhalb von drei Jahren verprasst, wie er später im Interview mit BBC Radio 1 gestand.
Der charmante Räuber wurde zum regelrechten Popstar. Unter anderem nahmen die Sex Pistols mit ihm zwei Songs für den Film "The Great Rock'n'Roll Swindle" auf, die Single "No One Is Innocent" schaffte es 1978 auf Platz sieben der britischen Charts. 1991 war er auf dem Album "Learning English, Lesson One" der Toten Hosen zu hören, Sänger Campino zählte ihn danach zu seinen Freunden. Für den Film "Prisoner of Rio" (1991) schrieb Biggs selbst das Drehbuch, 2011 veröffentlichte er seine Autobiographie.
2001 kehrte Biggs aufgrund seiner schlechten Gesundheit nach Großbritannien zurück. Schon das Exklusivinterview mit der "Sun", die die Reise im Privatjet bezahlte, konnte er in Folge zweier Schlaganfälle nur schriftlich beantworten. Dennoch sollte Biggs die verbleibenden 28 Jahre seiner Gefängnisstrafe absitzen, bei der Landung wurde er von einem Großaufgebot von 60 Polizisten verhaftet. Seine Gesundheit verschlechterte sich im Gefängnis immer weiter, was schließlich 2009, kurz vor seinem 80. Geburtstag, zur vorzeitigen Entlassung führte.
Als er im März 2013 Bruce Reynolds' Beerdigung besuchte, saß Biggs im Rollstuhl, seine Würdigung des Verstorbenen musste er vorlesen lassen. Doch den Raub nannte er darin immer noch "ein Abenteuer, das mein Leben veränderte", den Kameras streckte der Greis trotzig in einer obszönen Geste Zeige- und Mittelfinger entgegen. Nun folgte Biggs seinem früheren Bandenchef in den Tod - fast genau 50 Jahre nach dem längst zur Legende gewordenen Postraub.