Christian Neureuther spricht über seine Tochter: "Ameli wird einmal den großen Wunsch ihrer Mutter Rosi erfüllen"
In der Lehre des Buddhismus gibt es das sogenannte Halblächeln, das einem unter anderem in Trauerphasen über den Schmerz des Verlustes eines nahen Menschen hinweghelfen und einem das Weiterleben erleichtern soll.
Da ist viel Wahres dran. Fröhlich zu sein, positiv auf andere zu wirken, freundlich miteinander umgehen, ohne dabei blauäugig oder naiv durchs Leben zu gehen, das war der Rosi und mir immer ein großes Anliegen. Und wenn du in Schwierigkeiten steckst, schlimme Zeiten durchlebst und Dinge nicht mehr rückgängig machen kannst, dann muss man die Realität akzeptieren. Das ist leicht gesagt und in manchen Momenten schwer umzusetzen, auf jeden Fall aber wird einen ein zuversichtliches und lächelndes Gesicht im Spiegel weiterbringen als ein trauriges.
Christian Neureuther: "Da kann ich mich einbringen und mit Rat und Erfahrung unterstützen"
Außer Rosis Vermächtnis und dem Versprechen, das Sie ihr noch gaben, nicht zu trauern und zu resignieren: Was treibt Sie jetzt mit 75 weiter an, und was treibt Sie um?
Meine Begeisterung für neue Projekte, meine Neugier aufs Leben, meine Lust, noch etwas bewegen zu können. Erst gestern habe ich wieder mit dem Felix diskutiert, wie wir sein Kinderengagement rund um die Bewegungsarmut noch breiter aufstellen können. Wie wir es schaffen, Kinder wieder zu mehr Bewegung zu bringen, weg vom Smartphone, raus in die Natur, rein in den Sport. Bei der Kindergesundheit spielt das Thema Bewegung eine ganz entscheidende Rolle. Ist es nicht super, dass ich den Felix darin noch unterstützen kann? Oder aktuell interessiert mich das Thema „Wasser für die Zukunft“, das in Zeiten des Klimawandels immer wichtiger wird. Felix und ich sind demnächst in der Schweiz und in Italien unterwegs, wir sprechen mit Klimaforschern, Wissenschaftlern, Meteorologen und anderen klugen Köpfen, wie wir künftig mit diesem Thema umgehen müssen, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen und wie wir Wasser für Trockenperioden sammeln können. Und natürlich lebe ich in und mit meiner Familie. Ameli wird den großen Wunsch ihrer Mutter erfüllen und sich mehr der Malerei widmen. Auch da kann ich mich einbringen und mit Rat und Erfahrung unterstützen. Die Bilder, die sie in den letzten Monaten gestaltet hat und in denen auch Rosi weiterlebt, sind wunderbar. Es wird Ausstellungen geben, und darauf freue ich mich riesig.
Sie sind nun vierfacher Großvater. Bei all dem Wahnsinn, der zurzeit rings um uns herum geschieht, die Ukraine, Gaza, Nahost, das Klima, Trump, die AfD, haben Sie nicht manchmal Angst um die Welt, in der Ihre Enkelkinder aufwachsen?
Die globale Situation ist derzeit wirklich extrem. Wenn man die Bilder sieht aus den Kriegsgebieten und Krisenregionen, vergewaltigte Frauen, ermordete Kinder: Es ist eine so entsetzliche Bestialität, die Menschen anderen Menschen zufügen, jenseits jeglicher Vorstellungskraft. Diese Grausamkeiten sind leider nichts Neues, sondern ziehen sich durch tausende Jahre der Menschheitsgeschichte. So extrem wie das Pendel aber jetzt gerade ausschlägt, war es aber schon lange nicht mehr. Die Probleme des globalen Klimawandels sind ein zusätzlicher Brandbeschleuniger. Ich will nicht an die Apokalypse denken, denn ich hoffe und denke, dass der Mensch wie schon öfter in der Geschichte sich auch diesmal besinnen wird und Lösungen finden wird, um einen Worst Case zu verhindern. Letztlich sind wir hier auf der Erde eh nur ein kurzfristiger Gast. Der Planet wird uns Menschen überleben und sich auch wieder von uns erholen. Dann wird es neue und vielleicht bessere Bewohner dieses Planeten geben. Für die aktuelle Situation und für meine Nachkommen habe ich die Hoffnung, dass die Putins dieser Welt mit ihrem Irrsinn nicht durchkommen werden.
Christian Neureuther: "75 Jahre ohne einen großen Krieg, wann gab es das schon"
Sind Sie froh, kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs in den Beginn einer relativ friedlichen Zeit hineingeboren worden zu sein?
Wenn ich jetzt dann doch noch einmal zurückblicken darf auf mein Leben, dann hatte diese Generation das größte Privileg, nämlich die friedlichste Zeit in der europäischen Geschichte durchleben zu dürfen. 75 Jahre ohne einen großen Krieg, wann gab es das schon. Das gäbe es zu erhalten. In der Hilflosigkeit dieser Situation tut der Blick aufs Kleine und aufs Selbstbestimmbare vielleicht ganz gut. Rosi hätte mich da an der Hand genommen und mir die Gänseblümchen im Garten gezeigt: „Schau mal, wie schön die sind!“ Damit ich dann um sie herum mähe und sie stehen lasse.
Geranien mochte sie auch gern. Die waren ihr ja ganz wichtig.
Richtig. Das war immer eine große Freude für sie, wenn sie es geschafft hat, die Geranien heil abgedeckt und unversehrt über den Winter zu bringen.
Glauben Sie eigentlich an ein Leben nach dem Tod?
Da fällt mir immer der großartige Physiker Stephen Hawking ein, der auf diese Frage erwiderte: „Nein, ich glaube an kein Leben nach dem Tod, aber ich lass mich überraschen.“ Also lassen wir uns überraschen. Ich glaube nur an die Unsterblichkeit der Liebe, sie ist Grundlage für alles, was ein Zusammenleben der Menschen und den Erhalt unserer Werte möglich macht. Sie ist das Einzige, was wir weitergeben können, was in unseren Kindern, Enkeln und Generationen weiterlebt und was somit unsterblich ist. Ich wünsche allen, dass sie Menschen um sich haben, die ihnen so viel Liebe schenken wie die Rosi uns.
Christian Neureuther: "Am meisten Kraft gibt uns Rosis Umgang mit der Vergänglichkeit"
Als ich mit Rosi kurz vor ihrem 70. Geburtstag sprach, meinte sie auf meine Frage, ob sie nochmal jung sein möchte: Um Himmels willen, auf gar keinen Fall, das sei genau so recht, so wie’s ist. Möchten Sie die Zeit noch einmal zurückdrehen?
Nein. Ich bin sehr dankbar, dass ich hier so stehen kann, dass ich geistig und körperlich noch gut beieinander bin. Dass ich eine großartige Familie habe, mit Kindern und Enkeln, die ich jederzeit besuchen kann, ohne dass ich ihnen auf die Nerven gehe und sie sagen: Oje, kommt der Opa schon wieder. Dass ich ein tolles Umfeld und spannende Freunde habe. Natürlich weiß ich jetzt mit 75, dass das Ende näherkommt. Das wusste ich aber auch schon mit 20, dass es jeden Tag weniger wird, was einem an Zeit bleibt. Deswegen verzweifle ich auch nicht, im Gegenteil. Am meisten Kraft gibt uns auch hier das mit Rosi erlebte und ihr Umgang mit der Vergänglichkeit.
Sie sind viel herumgekommen in Ihrem Leben und haben vor vielen Jahren einmal gesagt, um glücklich zu sein, müssten Sie nicht groß um die Welt reisen. Keine Welle in Hawaii gebe Ihnen mehr als die heimatlichen Berge im Werdenfelser Land. Trotzdem, gibt es ein ultimatives Ziel, einen Ort auf unserer Erde, den Sie noch nicht kennen und den Sie immer schon besuchen wollten?
Da gibt es viele Orte, zum Beispiel Patagonien, aber ich freue mich jeden Tag genauso an den Werdenfelser Bergen meiner Heimat beziehungsweise noch viel mehr, denn hier bin ich zu Hause und kenne jede Abkürzung. Ohne Rosi in Patagonien, nein, vergiss es. Ein Ziel habe ich aber noch, ich möchte den nächsten Generationen das Durcheinander der Geschichte unserer Familien so ordnen und hinterlassen, dass es wirken kann und das Wichtige nicht verloren geht. Unter den Vorfahren gab es Künstler und Architekten, Geologen und Bergsteiger, unterschiedlichste Lebensformationen und spannende Außenseiter. Es gibt einen tollen Fundus, der strukturiert werden muss. Ich bin Sammler aus Leidenschaft, das Erbe wird nicht leicht für die Kinder.
Und wenn Sie einen Wunsch frei hätten zum 75.?
Ach, dann würde ich vielleicht doch die Zeit zurückdrehen. Dann würde ich gerne mit der Rosi noch einmal bei Sonnenschein auf einem Berg stehen, unter uns ein unverspurter Hang mit herrlich frischem Pulverschnee. Und dann mit ihr zusammen in den Hang eintauchen, unten abschwingen und im Rückblick auf die Spuren sagen: „Schön war’s!“
Lesen Sie hier Teil 1 des großen AZ-Interviews mit Christian Neureuther