Charlotte Roche "Der Film war einfacher zu ertragen als das Buch"

Nach ihrem Mega-Erfolg mit ihrem Debütroman "Feuchtgebiete" legte Charlotte Roche 2011 mit "Schoßgebete" nach. Darin verarbeitete die 36-Jährige unter anderem die größte Katastrophe ihres Lebens. Bei einem schweren Autounfall kamen drei Brüder der Autorin ums Leben, ihre Mutter überlebte schwer verletzt. Dieses Ereignis hat "mein Leben so zum Negativen verändert hat, dass ich darüber schreiben musste", erklärt Roche. Am 18. September kommt die Verfilmung des Romans in die Kinos. Warum der Film für sie leichter zu ertragen war als das Buch und warum ihre Gedanken beim Sex immer wieder zu Alice Schwarzer abschweifen, verrät die Skandalautorin im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news.
Sehen Sie hier den Trailer zu "Schoßgebete"
Sind Sie zufrieden, wie Sönke Wortmann und Oliver Berben Ihren Roman auf die Leinwand gebracht haben?
Charlotte: Ich bin wirklich richtig glücklich über den Film. Natürlich ist er anders als das Buch, aber ich gehöre nicht zu den Autoren, die darüber jammern, was aus meinen Charakteren geworden ist.
Hatten Sie keine Bedenken, Ihre persönliche Lebensgeschichte in fremde Hände zu geben?
Roche: Nein. Man hat es als Autor ja selbst in der Hand, ob man die Filmrechte an seinem Buch verkaufen will. Und in dem Moment, wo ich mich entschließe, die Rechte abzutreten, mische ich mich auch nicht mehr ein. Ich wollte nicht wie viele andere Autoren am Drehbuch mitschreiben. Ich lasse mich lieber vom Ergebnis überraschen. Und was gibt es Geileres, als wenn aus dem eigenen Buch ein Film entsteht. Das würde ich niemals verhindern wollen, auch auf die Gefahr hin, dass man mit dem Ergebnis nicht zufrieden ist. Es ist ein Risiko, aber bisher ist es bei beiden Filmen richtig gut gegangen.
Das Drehbuch hat schließlich Produzent Oliver Berben selbst geschrieben und Ihnen regelmäßig Versionen zugeschickt...
Roche: Ja, ich wurde sehr oft von ihm belästigt. Es war ihm wirklich wichtig zu wissen, was ich davon halte, auch wenn ich ihm immer wieder gesagt habe: "Mach einfach, du musst mir nichts schicken." Es gab viele Produzenten, die die Filmrechte an "Schoßgebete" haben wollten. Aber mit Oliver habe ich das beste Gespräch geführt. Er hat die Hosen runtergelassen und mir sehr persönliche Gründe genannt, warum ihn das Buch so sehr berührt hat. Noch bevor wir irgendetwas Finanzielles besprochen hatten, war mir klar, dass er die Filmrechte bekommt.
War es schwer für Sie, den Film zu sehen - kommen da nicht alle Erinnerungen an den Unfall und die daraus resultierenden Folgen wieder hoch?
Roche: Der Unfall war eine große Katastrophe in meinem Leben und bestimmt es bis heute. Es hat mein Leben so zum Negativen verändert, dass ich schließlich darüber schreiben musste. Natürlich hatte ich total Angst davor, den Film zu sehen, und dass ich damit nicht klar komme. Aber ich war beim Unfall selbst ja nicht dabei, weshalb er im Film auch nicht zu sehen ist. Außerdem sind die Erinnerungen an den Tag, als ich die Nachricht erhalten habe, die Informationen über den Unfall und die Folgen im echten Leben viel schlimmer als im Film. Mein Buch herauszubringen und immer wieder zu erklären, was wirklich passiert ist und was nicht, war wahnsinnig anstrengend für mich. Aber der Film ist zwei Schritte von mir entfernt. Oliver Berben hat daraus ein Drehbuch gemacht und Sönke Wortmann schließlich den Film. Der Film war wirklich viel einfacher für mich zu ertragen.
Im Buch wie im Film spielt Ihre Wut auf die "Bild"-Zeitung eine große Rolle, die nur kurz nach der Nachricht über den Unfall ein Statement von Ihnen wollte. Ist die Wut mittlerweile erloschen?
Roche: Nein, die geht nicht mehr weg bis ich sterbe. Das ist so konserviert, ich komme einfach nicht darüber hinweg, wie die "Bild" an ihre Geschichten kommt. Ich habe es ja vorher schon geahnt, aber dann habe ich es am eigenen Leib erfahren. Aber statt in den Medien immer als Vorzeige-Presseopfer zu dem Thema Stellung zu beziehen, fand ich es viel besser, darüber in meinem Buch zu schreiben. So kann der Leser meine Gefühle viel besser verstehen. Wie können diese Leute nur in den Spiegel schauen, Kinder zeugen oder Sex haben? Wenn meine Geschichte dazu führt, dass irgendjemand zu einem "Bild"-Redakteur sagt: "Nein, mit dir schlafe ich nicht", dann habe ich mein Ziel erreicht. Und dass daraus im Film diese Wahnsinns-Rachefantasie entstanden ist, fand ich super. Wobei sicherlich viele mit offener Hose im Kino auf die Blase-Szene am Anfang warten.
Die werden dafür ja später entschädigt, schließlich gibt es einige Sex-Szenen zu sehen, wie etwa den Dreier im Bordell. Wie gehen Sie mit dem Vorwurf um, dass Sie Frauen dazu animieren, sich dem Mann zu unterwerfen?
Roche: Offensichtlich wird von mir verlangt, perfekt agierende Romanfiguren zu kreieren. Frauen, die alles feministisch perfekt auf die Reihe bekommen. Aber das ist doch unfassbar langweilig. Ich will doch über niemanden lesen, der sein Leben im Griff hat. Was ist das denn für ein Scheiß? Außerdem bin ich viel feministischer als die Protagonistin Elizabeth. Mein Buch darf auch nicht falsch verstanden werden. Ich sage nicht, dass wir Frauen den Männern alle sexuellen Wünsche erfüllen sollen - bloß nicht, das tut doch weh! Der Puff-Besuch ist nur ein Beispiel für eine sexuelle Idee, die Paare umsetzen können. Ich fände es total schlimm, wenn Paare alles nachspielen würden, was ich in meinen Büchern schreibe. Ich habe für mich mit dem Älterwerden gemerkt, dass es doch cool ist, zu vielen Sachen auch mal Nein zu sagen. Ich glaube, dass junge Frauen viel mehr Sachen machen, die sie eigentlich gar nicht wollen.
Statt selbst Ihre Wünsche zu äußern, wie etwa einen Dreier mit einem zweiten Mann...
Roche: Genau, das würde die meisten Männer zwar sicherlich nicht Freude. Aber wenn die Frau diesen Wunsch immer wieder wiederholt, vielleicht gibt er dann ja doch nach. Nach dem Motto: "Na gut, dann hol doch noch einen Mann dazu, aber ich will den nicht anfassen." Oder er sagt: "Ich habe Verständnis, dass du das machen willst, aber mach das doch bitte mit zwei anderen Männern und nicht mit mir." In einer Beziehung gibt es keine Moral. Es ist immer besser zu sagen, worauf man steht.
Für viele Lacher dürfte vor allem dieser Satz sorgen: "Es ist für mich sehr schwer, Sex zu haben, ohne an Alice Schwarzer zu denken!"
Roche: Auf den bin ich auch wirklich ein bisschen stolz. Ich bin mit Alice Schwarzer erzogen worden, meine Mutter ist ihre Generation. Für mich ist das aber ein sehr Lust und Männer verneinender Feminismus. Wenn ich heterosexuell bin und mit Männern klarkommen und von ihnen auch attraktiv gefunden werden will, hilft mir der alte Feminismus oft nicht. Mir kommt er manchmal sehr lesbisch vor. Es ist schließlich einfach, auf Männer zu verzichten, wenn man nicht mit ihnen leben will.
Sie schreiben gerade an Ihrem dritten Buch. Können Sie uns dazu schon etwas verraten?
Roche: Ich rede nicht gerne über unfertige Bücher, weil ich nicht zu viel verraten will und es wie ein Heiligtum schütze. Mein Problem ist, dass ich keine Deadline habe und deswegen ein bisschen rumeiere. Aber ich strenge mich an und hoffe, dass es nächstes Jahr herauskommt.