Champagner-Chef über Corona: Die Vorstufe zum Jenseits

Champagner-Chef Thomas Schreiner ist an Corona erkrankt – so schwer, dass er fast gestorben wäre und einen Finger verloren hat. Nach vier Monaten Klinik, Reha und Angst darf er jetzt endlich heim.
von  Kimberly Hagen
"Reiß dich zusammen!", das sagt sich Thomas Schreiner immer wieder. Seit zehn Wochen ist er in der Reha in Bad Kissingen und arbeitet an sich. Nächste Woche wird er endlich entlassen.
"Reiß dich zusammen!", das sagt sich Thomas Schreiner immer wieder. Seit zehn Wochen ist er in der Reha in Bad Kissingen und arbeitet an sich. Nächste Woche wird er endlich entlassen. © privat

Wiesbaden - Eigentlich war alles wie immer. Seit 60 Jahren kommt Thomas Schreiner (63), Deutschland-Chef der Champagner-Marke Laurent–Perrier, nach Ischgl zum Skifahren. Zwei Tage war er auch heuer Anfang März da, um neben ein paar Abfahrten den Sterne-Cup der Köche zu veranstalten. Das Event mit Spitzenköchen hatte Schreiner vor 23 Jahren mit Sterne-Koch Hans Haas (Tantris) ins Leben gerufen. Seit dem unbeschwerten Kurz-Trip hat sich in seinem Leben, das er wegen einer Corona-Infektion fast verloren hätte, viel verändert.

In der AZ spricht der sonst so kernige, lebensfrohe und sportliche Menschenfreund aus Wiesbaden über die schlimmste Zeit seines Lebens.

Erster Gedanke nach positivem Corona-Test: "Halb so wild"

AZ: Lieber Herr Schreiner, die wichtigste Frage vorab: Wie geht es Ihnen?
THOMAS SCHREINER: Im Moment geht es mir gut, danke. Als ich vor zehn Wochen hier in der Reha in Bad Kissingen ankam, konnte ich nur mit einem Rollator gehen. Ich hatte 15 Kilo abgenommen, alle Muskeln waren weg, die Sehnen verkürzt. Gerade habe ich mich auf dem Golfplatz versucht. Das ist für mich wie ein kleines Wunder. Ich bin etwas außer Puste, mein Lungenvolumen ist bei etwa 70 Prozent. Meine Stimme ist anders als früher, rauchiger und leiser – aber wenn ich zurückblicke, kann ich wirklich nicht klagen.

In Ischgl: Thomas Schreiner (r.) mit Star-Koch Johann Lafer beim Sterne-Cup der Köche.
In Ischgl: Thomas Schreiner (r.) mit Star-Koch Johann Lafer beim Sterne-Cup der Köche. © imago

Lassen Sie uns bitte gemeinsam zurückblicken: Zwei Tage Ischgl haben Ihr Leben verändert. Bereuen Sie den Ausflug?
Warum passiert mir das alles? Das habe ich mich in den dunkelsten Momenten auf der Intensivstation mal gefragt, aber Ischgl verteufel ich nicht. Ich war einer der ersten Covid-19-Patienten Deutschlands, damals, vor über vier Monaten wusste niemand, was passieren würde. Auch nicht in Ischgl. Ich war einen Abend beim Après-Ski und habe mich da höchstwahrscheinlich angesteckt. Es hätte auch überall anders passieren können.

Wann merkten Sie, dass mit Ihnen etwas nicht stimmt?
Vier, fünf Tage später. Ich war daheim und hatte plötzlich eine unheimliche Antriebsschwäche. Die kannte ich von mir nicht, weil ich seit Jahren Sport mache, meinen Job und das Leben liebe. Diese Lethargie machte mir Sorge, so dass ich zum Arzt ging. Er machte einen Corona-Test, zwei Tage später hatte ich das Ergebnis: positiv.

Ihr erster Gedanke?
Halb so wild. Ich ahnte ja nicht, was auf mich zukam. Ich war lediglich schwach, kam kaum von der Couch hoch und hatte das Gefühl, das Virus legt sich wie ein Film über mich. Zur Beobachtung, so riet mein Arzt, sollte ich ins Krankenhaus.

Corona-Patient: "Unfassbar viele Albträume" im künstlichen Koma

Wie ging es dort weiter?
Ich war durch den Wind, das Virus hatte sich rasant in alle Organe verteilt. Ein Arzt sagte mir, dass sie mich ins künstliche Koma versetzen müssen, weil meine Atmung stark gestört sei. Prima, zwei Wochen Schlaf, versuchte ich noch zu scherzen, das könne ja nicht schaden. Doch von Erholung war dann keine Spur.

Sie haben Erinnerungen an die Zeit im Koma?
Ja, sehr schlimme. Ich hatte unfassbar viele Albträume – aber alle waren so echt, dass ich Angst bekommen habe. Ich war in einer anderen Welt, aus der ich unbedingt rauswollte, es aber nicht schaffte. Psychoterror im eigenen Kopf. Grauenhaft. Ich habe mich abwechselnd wie im Gefängnis gefühlt, eingesperrt in einer Kiste, unter Wasser gedrückt, all so was. Für mich hat es sich angefühlt wie die Vorstufe zum Jenseits.

In Wirklichkeit kämpften die Ärzte um Ihr Leben.
Ja, mein Blut musste aus meinem Bein Tag und Nacht entnommen, angereichert und wieder in den Körper gepumpt werden. Damit ich am Leben blieb. Medizinisch ist das kompliziert und riskant. Mein Herz war nicht in der Lage, alle Körperteile mit Blut zu versorgen. Mein linker Zeigefinger war irgendwann tiefschwarz und musste mir abgenommen werden, er hat es leider nicht geschafft. Aber: Ich bin Linkshänder, meine Schrift konnte auch davor niemand lesen.

Ihren Humor haben Sie glücklicherweise nicht veloren.
Als ich aus dem Koma geholt wurde und mir langsam klar wurde, was passiert war, war ich heilfroh, dass die Albträume weg waren. Meine Frau, meine Freunde – niemand durfte mich besuchen, das war natürlich hart. Die Ärzte sagten, ich hätte großes Glück gehabt. Andere hätten nicht nur einen Finger, sondern einen ganzen Arm oder ein Bein verloren. Hätte das Virus es ins Gehirn geschafft, wäre ich zum Pflegefall geworden. Ich kann also nur äußerst dankbar und demütig sein.

"Ich habe nie geraucht, habe keine Vorerkrankung, war fit"

Warum hatten Sie bei Ihrer Corona-Erkrankung so einen schweren Verlauf?
Tja, diese Frage habe ich mir und den Ärzten auch gestellt. Ich habe nie geraucht, habe keine Vorerkrankung, war fit. Mein Immunsystem hat auf das Virus überreagiert. Und: Die Intensität der Aerosole war beim Après-Ski wahrscheinlich stärker als bei einem kurzen Besuch im Supermarkt.

Was war nach dem Koma härter: keinen Besuch oder keine Kraft zu haben?
Beides. Schon das Sitzen war anstrengend. Wenn ich versuchte aufzustehen, bin ich sofort umgefallen. Als ich meine Frau endlich zum ersten Mal anrufen wollte, hat mein Handy mit der Gesichtserkennung nicht mehr funktioniert. Es hat mich nicht erkannt, weil ich so abgemagert war.

Was waren in den vier Monaten die schönsten Momente?
Die aufopfernden, großartigen Ärzte und Pflegekräfte, die alle einen Orden und vor allem mehr Geld verdient haben. Wunderschön war, als mich meine Frau nach neun Wochen besuchen durfte. Und: Als ich in die Reha gebracht wurde, saß ich kurz im Rollstuhl draußen, habe zum ersten Mal frische Luft eingeatmet und mich wie im Paradies gefühlt.

Feiern trotz Corona: "Schade, dass der Egoismus bei vielen überwiegt"

Was halten Sie von Corona-Leugnern?
Denen kann ich nur sagen, dass Corona kein Gerücht ist, kein Witz – sondern eine ernstzunehmende Krankheit.

Unter Beobachtung: Menschen-Ansammlungen wie hier an der Isar oder auch am Gärtnerplatz.
Unter Beobachtung: Menschen-Ansammlungen wie hier an der Isar oder auch am Gärtnerplatz. © Petra Schramek

Was raten Sie Menschen, die jetzt dicht beieinander feiern?
Abstand halten und Maske tragen sind die besten Möglichkeiten, sich selbst und andere zu schützen. Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Es ist schade, dass der Egoismus bei vielen schon wieder überwiegt. Viele haben einfach keinen Bock, sich einzuschränken. Wir können von Glück reden, dass es Deutschland nicht schlimmer erwischt hat.

Nächste Woche dürfen Sie endlich nach Hause. Worauf Freude Sie sich besonders?
Es wird noch dauern, bis ich in alter Form bin. Après-Ski werde ich im nächsten Jahr auf jeden Fall ausfallen lassen. Auch an eine Urlaubsreise im Flugzeug ist nicht zu denken, da hätte ich kein gutes Gefühl, auch wenn ich wahrscheinlich für ein paar Monate immun bin. Ich Freude mich darauf, im Wohnzimmer zu sitzen. Einfach da zu sitzen – und vor allem: wieder da zu sein.

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