Caro Matzko spricht über Magersucht und Depression: "Ein Wunder, dass ich überlebt habe"

Kaum eine versteht es, so spontan Kalauer rauszuhauen wie sie. Die auch gerne mal gegen sie selbst gehen. Uneitel, unprätentiös, schlagfertig, klug, sexy und cool: Seit 2016 trägt Caro Matzko maßgeblich zum Erfolg der Personality-Show "Ringlstetter" (BR-Fernsehen) mit großem VIP-Aufkommen bei.
Caro Matzko: Starke Frau mit zerbrechlichem Kern
Inzwischen seit 210 Folgen lang mit Kabarettist, Schauspieler und Moderator Hannes Ringlstetter, mit dem sie auch privat befreundet ist. Darüber hinaus moderiert die Münchner TV-Gastgeberin, Journalistin und Autorin (2020 mit Tanja Marfo: "Size egal – Dein Selbstbewusstsein kann nicht groß genug sein", Lübbelife Verlag) seit 2016 zusammen mit Rainer Maria Jilg auf ARD alpha die Sendung "Planet Wissen".
Caro Matzko: "Ich habe kein Gefühl dafür, wie ich wirklich aussehe"
AZ: Frau Matzko, am 1. Mai sieht man Sie in den "Lebenslinien" im BR-Fernsehen um 22 Uhr. Der Titel heißt: "Trauriges Mädchen - witzige Frau". Das Format ist eine Art Ritterschlag, eine aufwendige, filmische Autobiografie. Was waren Ihre persönlichen Highlights beim Dreh?
CARO MATZKO: Ein besonders schöner Drehtag war auf jeden Fall bei der niederbayerischen Madame Tussaud, meiner Freundin Marille Rüb, die zusammen mit ihrer Tochter, meiner geliebten Marie-Elise, einen Gipsabdruck von mir gemacht hat. Vom ganzen Körper – um mir dabei zu helfen, meinen Umfang, also meine Physis besser zu begreifen. Quasi eine Gegenüberstellung mit mir selbst. Denn bis heute habe ich keine klare Wahrnehmung und kein Gefühl dafür, wie ich wirklich aussehe. Das hat sich seit den Magersuchtsjahren leider nicht geändert.

Aber es gab noch mehr Höhepunkte, ganz traurige, ganz wütende, ganz lustige und ganz verrückte Momente. Insgesamt eine emotionale Achterbahnfahrt, die mich im Verhältnis zu mir selbst ein ganzes Stück hat weiterkommen lassen. Der Dreh hat mein Leben wirklich nochmal verändert.
Caro Matzko: "Ich wollte niemanden enttäuschen"
Sie waren ein trauriges Mädel, wollten es allen recht machen - und sind damit gescheitert?
Ich war nicht nur traurig, sondern schwer depressiv und magersüchtig. Das hatte viele Gründe: innerfamiliäre, aber auch schulische, die Pubertät, eine dysfunktionale Struktur zu Hause, ein hoher Leistungsdruck und eine große Verlorenheit bei der Frage "Wer will ich sein?" und "Was erlaube ich mir?", beziehungsweise "Was erlauben meine Eltern und was sind ihre Erwartungen?" Ich wollte niemanden enttäuschen und habe mich doch nur als Enttäuschung begriffen.
Wie haben Sie es letztendlich geschafft, sich in eine fröhliche, spaßige, selbstbewusste, lustige Frau zu verwandeln?
Das bin ich ja auch nicht jeden Tag in Wahrheit! Aber rückblickend ist es ein Wunder, dass ich die Jahre der Magersucht überlebt habe, denn es ist eine langsame Form des Suizids, und ich war mit 39 Kilogramm auf 174 Zentimetern Körpergröße schon beinahe nicht mehr vorhanden. Also: Ich bin sehr happy, dass ich mich für das Leben entschieden habe, dass ich so ein Wunder der Resilienz bin und dass ich so viele Therapeutinnen hatte, die mir bei meinem Weg zurück ins Leben, in mein Leben geholfen haben.
"Jugendliche waren während der Pandemie mit zu vielen Themen allein"
Social Media, falsche Vorbilder – welchen Rat geben Sie jungen Frauen mit Essstörungen mit auf den Weg?
Essstörungen haben etwas mit Kontrollzwang zu tun und entstehen oft, weil die Betroffenen das Gefühl haben, ihr Umfeld und ihre Lebensumstände nicht oder zu wenig im Griff zu haben. Das einzige, was kontrollierbar ist, ist das Körpergewicht - und zwar über das Essverhalten. Gewichtsabnahme ist in unserer Gesellschaft immer positiv konnotiert – und für Suchtstörungsanfällige eine Bewältigungsstrategie. Während der Corona-Pandemie hat sich diese Situation noch verschärft. Viele Jugendliche waren zurückgeworfen auf ihr eventuell dysfunktionales Elternhaus, hatten zu wenig Kontakt zu Gleichaltrigen, zur Schule, zu Lehrern und damit kein Korrektiv von außen. Sie waren mit den vielen Fragen wie "Was passiert hier?", "Wann hört das auf?", "Was bedeutet das für meine Zukunft?" und so weiter ziemlich allein. Daher ist es kein Wunder, dass die Fallzahlen von Essstörungen gestiegen sind.

Und das deutlich, oder?
Die Zahlen der Krankenkassen sind unterschiedlich, aber im Schnitt haben sie allein für 2020 einen Anstieg bei den Krankenhausbehandlungen von zehn Prozent verzeichnet. Das sind nur die, die bereits stationär behandelt werden müssen. Und besonders schlimm: Die Patientinnen werden immer jünger. Der Magerwahnsinn geht jetzt schon bei Achtjährigen los. Mir ist es sehr wichtig zu betonen: Je früher man sich professionelle Hilfe sucht, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Krankheit nicht chronifiziert. Umgekehrt gilt aber: Je länger man/frau/divers sich damit einlebt, umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass man das nie wieder loswird, weil es ein Teil der Persönlichkeit wird, oder dass man das nicht überlebt. Die Sterblichkeitsrate bei Magersucht ist die höchste aller psychischen Erkrankungen und liegt zwischen zehn und 15 Prozent.
"Mein Alltag ist der einer mittelalten Frau und Mutter"
Beruflich erfolgreich, privat happy: Mit Ihrem Ehemann, dem Musiker Rainer Schaller, Ihrer zehnjährigen Tochter Fanny und Hundemischling Biagio leben Sie im Süden von München. Wie sieht Ihr Alltag aus?
Wie der einer mittelalten Frau und Mutter, die versucht, Arbeit, Kind und Hund zu moderieren (lacht). Das bedeutet: Ich stehe um sechs Uhr auf, moderiere die Morgenmuffeligkeit meiner Tochter weg, schmiere Pausenbrote, gehe eine Stunde mit dem Hund in den Wald und schnaufe durch, sitze dann viel am Schreibtisch im Büro und schreibe Moderationen für Fernsehen, Event und Hörfunk, bekomme dann einen Anruf meiner Tochter, wieso das Essen noch nicht fertig ist, donnere nach Hause, moderiere Spaghetti Bolognese an und jongliere danach den Wahnsinn der Hausaufgaben und Proben rund um die vierte Klasse und den Übertritt zur nächsten Schule. Dass die Lehrpläne da nicht noch mehr entschlackt und Lehrer und Kinder entlastet wurden, ist fatal. Und ein Ticket zu noch mehr Kindern mit Angst- und/oder Essstörungen.
Caro Matzko: "Das Schulsystem gehört reformiert"
Ein Teufelskreis. Wie geht Ihre Tochter damit um, beziehungsweise sprechen Sie offen mit ihr darüber?
Sie ist sehr offen und sagt, dass ihr der Druck zu groß ist. Weil sie ehrgeizig ist, steckt sie einen Vierer in der Matheklausur nicht so leicht weg und hat dann bei der nächsten Probe solche Versagensangst, dass das schöne Köpfchen schon mal "Error 404" meldet: too many tabs open and where does the music come from? Dieses Schulsystem gehört reformiert, es gibt noch immer eine Hierarchie, was die Schularten angeht, und ein subtiles Framing, was den gesellschaftlichen Status angeht.
Als knackige Langhaar-Blondine in der Medien- und TV-Branche, die ja nach wie vor eine Männerdomäne ist, werden Sie bestimmt auch häufig unterschätzt, oder?
Nicht unbedingt unterschätzt, aber ich sprenge nach wie vor die Genre-Grenzen. Die einen sagen, ich sei zu journalistisch, um eine Unterhalterin zu sein, während die anderen sagen, ich sei zu klamaukig, um eine seriöse Journalistin zu sein. Das nervt mich, weil ich glaube, dass heute alles unterhaltsam und emotional präsentiert werden muss, damit es in dieser Gesellschaft des Spektakels und der knallharten Aufmerksamkeitsökonomie die Zuschauerinnen und Zuschauer erreicht. Manchmal frage ich mich, warum das bei mir als Problem gesehen wird und bei einigen männlichen Kollegen als Stärke wahrgenommen wird. Ich empfinde mich als vielseitig, weil ich mich für vieles interessiere. Und ich lache gern. Wer tut das bitte nicht?
"Ich möchten allen respektvoll und mit einem Lächeln begegnen"
Leben Sie nach einem Motto?
Nein, das ist mir zu Wand-Tattoo mäßig. Aber ich bemühe mich, allen Lebewesen auf diesem Planeten respektvoll und mit einem Lächeln zu begegnen. Auch mir selber. Ich finde, wir sollten alle dringend liebevoller und zärtlicher miteinander umgehen. Der Ton ist mir zu rau geworden. Und die Geschwindigkeit, in der wir schnelle Urteile über unser Gegenüber fällen, viel zu drastisch.
Gibt es einen Ort, an dem Sie durchschnaufen und loslassen können?
In den Bergen! Von dort hat man einen guten Überblick und einen direkteren Draht nach ganz oben. Das gibt Kraft und Freiheit.
Mit "ganz oben" meinen Sie Gott?
Wenn es "sie" gibt, auf jeden Fall.