Blues-Burg für die Blauen

Die Burg Pilgersheim in Untergiesing ist wie sein Viertel: Kräftig verräuchert, liebenswert verschrammelt und voller schräger Vögel.
In München steht ein Hofbräuhaus, doch die feste Burg der Biertrinker ist woanders. In Untergiesing, wo der Charme der Stadt noch lange nicht ins Gelackte umgeschlagen ist, wo zwischen Mittlerem Ring auf der einen und Eisenbahndamm auf der anderen Seite die Menschen den Sound der Großstadt frei Haus geliefert bekommen, der Getränketandler seine Tragerl auf dem Gehsteig sortiert und am Monatsende der Umsatz nachlässt, dort ist München noch ganz bei sich.
Das Erstaunliche an der Burg Pilgersheim, einem Wirtshaus an der Ecke Pilgersheimer/Jamnitzerstraße, ist aber, dass sie bei aller Bodenständigkeit weder bierdimpfelig noch spießig ist, sondern ein Nest der schrägen Vögel. Hier nisten Design-Studenten, Arbeiter, Fußballfans, Lebenskünstler friedlich nebeneinander. Auch Musiker sind häufig zu sehen, darunter einer aus dem Örtchen Haindling, dessen Name nicht genannt werden soll, weil man in Untergiesing nicht auf Namedropping abfährt. Das Bier-Bollwerk mit kleinem Biergarten zwischen Haus und Straße gibt’s seit 20 Jahren, seit 2001 unter der Leitung von Geschäftsführerin Sabine Paul und Pächter Helmut Skant. Beide sind in die Kneipe buchstäblich hineingewachsen, sie als Stammgast, er am Tresen. „Zu eam sangs Heli, zu mir sangs Chefin“, sagt die Chefin.
Das Geheimnis der Burg: Man isst günstig (kein Gericht über 8,90 Euro), trinkt Kellerbier aus der Flasche und darf alles. Zum Beispiel Rauchen, denn die Burg ist ein Raucherclub, und zwar ein besonders entspannter.
Die Zahl 60 ist hier nicht nur die Hausnummer und die Endziffer der Handynummer der Chefin, sondern hat besondere, geradezu lebensphilosophische Bedeutung, wie auch an den vielen blauen Aufklebern auf der Toilette und dem melancholischen Blick der zwei gemalten blauen Löwen an der Wand erkennbar ist: Die Burg ist (auch) fußballmäßig tiefblau, alle wichtigen Spiele werden live auf Leinwand übertragen (und die unwichtigen der Roten manchmal auch, was die Chefin mit „Mia san ja ned so“ kommentiert). Und wer’s immer noch nicht kapiert hat, der möge sechs Helle trinken und dafür 18,60 Euro zahlen, auch ein Preis kann eine Botschaft sein.
Etwas Besonderes ist außerdem das Burgstüberl: Eine Art eigenständige Stehkneipe in der liebenswert verschrammelten Sitzkneipe, ein mittels Tresen-Wall abgetrenntes Geviert mitten im Burg-Raum. Dieses exterritoriale Gelände ist „eigentlich öffentlich“, heißt es, was aber nicht bedeutet, das jeder hineingehen sollte: ein Dauerstammtisch für den ganz harten Kern, ein unerschütterlicher Bergfried des Bieres. Wer in Untergiesing da hinein darf, hat es zu was gebracht im Leben.
Zu alledem poltert der Blues aus den Lautsprechern, gerne auch Punk und Indie, inspiriert vom Studentenradio M94,5. Wer lange bleibt, geht selten nach Hause, ohne zuvor mit den Doors ein Lichtlein angezündet zu haben.
Doch so fest die Burg auch an der Pilgersheimer steht, irgendwann biegt immer ein Raubritter ums Eck: Das Haus wird luxussaniert, die oberen Stockwerke sind schon geschliffen. Unten stehen sie noch, die dicken alten Mauern von Untergiesings wildester Kneipe, aber ob die blau-bunte Besatzung den Angriff abwehren kann, ist zur Zeit die Frage, die das Stadtviertel heftig umtreibt.
Michael Grill