Babak Rafati: "Es wird viel geredet, aber nicht gehandelt"
Vor fast drei Jahren hatte der ehemalige Bundesliga-Schiedsrichter Babak Rafati versucht, sich das Leben zu nehmen. Später hat er darüber ein Buch geschrieben. In "Ich pfeife auf den Tod" gewährt er Einblicke in die brutalen Gesetze des Profisports, berichtet über extremen Leistungsdruck, Mobbing und Erschöpfung. Im Interview mit spot on news erklärt Rafati, wie er heute lebt, was er Menschen rät, die in ähnliche Situationen kommen wie er und was er dem DFB anbietet.
Herr Rafati, der Normalbürger fragt sich oft, warum Menschen, die scheinbar alles haben, dennoch zu einem solchen Schritt fähig sind...
Babak Rafati: Die Gesellschaft glaubt immer, das Wohlbefinden der Menschen anhand von Geld, Macht und Ruhm messen zu können. Aber jeder Mensch hat Gefühle und ist in diesem sensiblen Bereich bezwingbar, manche mehr und manche weniger. Erst wenn wir es schaffen, nicht mehr nur oberflächlich auf das Äußere zu schauen, sondern tief in das Innere und die Werte des Menschen eintauchen, steht der Mensch wieder im Vordergrund.
Wie geht es Ihnen? Was machen Sie jetzt?
Rafati: Mir geht es gut, ich bin wieder zurück im Leben. Ich bin in der freien Wirtschaft tätig, aktuell vor allem bei Lehrgängen als Referent zum Thema Leistungsdruck, Mobbing sowie Prävention von Burn-out und Depression. Es gibt erfreulicherweise ein stark steigendes Interesse zu diesen existenziellen Themen.
Wie groß ist Ihr Abstand zum Fußball-Geschäft inzwischen?
Rafati: Ich schaue noch immer regelmäßig Bundesliga und hatte auch eine Einladung vom Fernsehsender BBC aus London, um als TV-Experte für die WM 2014 zu arbeiten. Leider musste ich wegen einer bereits gebuchten Reise absagen.
Fehlt Ihnen das Schiedsrichter-Dasein?
Rafati: Ich komme auch ohne gut zurecht. Trotzdem würde ich gerne im Ausland als Schiedsrichter oder als Mentor arbeiten, wenn denn die Rahmenbedingungen passen würden.
Haben Sie die WM verfolgt? Wenn ja, wie haben Sie die Leistungen der oft kritisierten Referees gesehen?
Rafati: Ja, ich habe die WM im Urlaub verfolgt und fand die Leistungen insgesamt schwach.
Hat sich seit dem Erscheinen ihres Buches etwas in der Branche beziehungsweise beim DFB geändert?
Rafati: Bisher war der deutsche Fußball für das Thema Depression noch nicht bereit und ist somit sehr weit von einem gesunden Umgang mit der Krankheit Depression entfernt. Dabei ist sie die häufigste Ursache für Suizid und rangiert laut der Weltgesundheitsorganisation auf dem vierten Platz aller Krankheiten überhaupt, für 2020 wird sie auf dem zweiten Platz erwartet. Die Tendenz ist also alarmierend. Aber gerade nach dem deutschen Weltmeistertitel in Brasilien wäre jetzt der ideale Zeitpunkt, die Strahlkraft des DFB als Vorreiter in der Gesellschaft zu nutzen, um die Volkskrankheit Nr.1 zu enttabuisieren beziehungsweise die Leute dafür zu sensibilisieren. Die Gesellschaft sollte dem Thema nicht ignorant gegenüberstehen, sondern vertrauensvollen Umgang zeigen. Denn sie ist nur so stark wie das schwächste Glied ihrer Kette. Also muss sie diese 'Schwachen' abholen, mitnehmen und schützten.
Gewalt gegen Schiedsrichter nimmt zu - zumindest vermitteln die Medien diesen Eindruck. Was können Sie dazu berichten?
Rafati: Das ist für mich kein spezielles Schiedsrichter-Problem, vielmehr ein Gesellschaftsphänomen.
Sehen Sie das Leistungsprinzip bei Schiedsrichtern als falsch an?
Rafati: Am Leistungsprinzip führt in der heutigen Zeit kein Weg vorbei. Fehler müssen deutlich, vor allem aber konstruktiv angesprochen werden. Persönlichen Differenzen darf man nicht mit systematischem Mobbing und menschenverachtenden Mechanismen begegnen. Doch das ist nicht nur ein Problem im Schiedsrichter-Bereich des DFB, sondern ein Gesellschaftsphänomen. Es betrifft Millionen Menschen im Berufsalltag.
Zuletzt hat sich der ehemalige Fußballer Andreas Biermann wegen Depression das Leben genommen - was haben Sie gedacht, als Sie davon erfahren haben?
Rafati: Das ist wie im Fall Robert Enke eine schreckliche Tragödie und macht mich tief traurig. Der Fall zeigt: Es wird zwar viel geredet, gehandelt wird jedoch nicht. Biermann hatte ein Buch ("Rote Karte Depression") geschrieben. Er war vom DFB enttäuscht und meinte, dass niemand beim DFB wirklich wissen wolle, wie es Depressiven im Fußballgeschäft gehe. Doch das Thema muss an die Öffentlichkeit, grundlegende Änderungen sind nötig, es muss präventiv und praxisorientiert gehandelt werden. Die Gewerkschaft der Fußballer mahnt in einer Studie an, dass bereits ein Drittel der Profifußballer gefährdet seien. Auch viele, die ich persönlich kenne bestätigen mir diese Entwicklung. Ich könnte mir vorstellen, mit Hilfe des DFB bei den Lizenzvereinen mit der Aufklärung anzufangen.
Mit zeitlichem Abstand gesehen: Würden Sie Ihr Buch noch einmal genauso schreiben? Insbesondere die Vorwürfe gegen bestimmte Personen? Kritiker sprachen von einer Abrechnung, Sie schreiben jedoch, dass ihr Buch eines über die Rettung ist...
Rafati: Absolut. Denn ich bin davon überzeugt, dass, nachdem die Öffentlichkeit die Wahrheit erfahren hat, auch die beteiligten Personen zu der Erkenntnis gekommen sind, dass dieses Buch ein Paradebeispiel dafür ist, wie im Berufsleben Fehler gemacht werden können und dadurch bedrohliche Situation entstehen. Zum Vorwurf der Abrechnung: Abgerechnet habe ich in erster Linie mit mir selbst, indem ich in meinem Buch tiefen Einblick in mein Gefühlsleben gewähre und auch meine Fehler schonungslos offenlege. Alle Beteiligten wissen, dass eine Abrechnung ganz anders aussehen könnte, aber so etwas nicht meine Art ist. Einem Gespräch mit DFB-Präsident Wolfgang Niersbach steh ich offen gegenüber, das wäre sicher hilfreich. Darin sollte es nicht um die Fehler der Vergangenheit gehen, sondern darum, wie wir es in Zukunft besser machen können. So ein Gespräch wäre sicher ein Zeichen für einen vertrauensvollen sowie menschlichen Umgang mit dem Tabuthema Depression in der Gesellschaft.
Was raten Sie Menschen, die sich womöglich in einer ähnlichen Situation befinden?
Rafati: Prävention kommt an erster Stelle. Man sollte sich frühzeitig informieren, damit man selbst und auch die Angehörigen Bescheid wissen. Denn Betroffene sollten nicht aus ihrem intakten Umfeld herausgerissen werden. Ich weiß, wovon ich spreche. Es geht also darum, eine gesunde Reaktion auf ungesunde Umstände zu entwickeln, Altes mit anderen Augen zu betrachten. Das ist schon die halbe Miete. Wir sprechen zwar oft von einer Art 'Managerkrankheit', aber es kann jeden treffen. Ich bin gestärkt aus der Krise gekommen - dank meiner Therapie. Wenn Symptome wie Rückzug in sich selbst, Antriebslosigkeit, negativen Gedanken, Schlaflosigkeit und Minderwertigkeitsgefühle auftreten, würde ich folgendes empfehlen: Bereit für Veränderungen sein. Vertrauensperson wie Familie und Freunde kontaktieren und offen über die Gefühle sprechen. Und ja: Männer dürfen weinen! Zur Ruhe kommen und akzeptieren, dass etwas nicht stimmt. Frühzeitig professionelle Hilfe beim Therapeuten suchen. Gefühle zeigen - sensibel sein ist keine Schwäche, sondern eine Stärke!
Was sind Ihre weiteren Pläne?
Rafati: Momentan halte ich Vorträge, demnächst auch auf Führungskongressen für Unternehmer und Führungskräfte. Zudem habe ich ein Konzept für die Lizenzvereine in Form von Vorträgen ausgearbeitet. Ich ersetze dabei nicht den Therapeuten, sondern helfe, in sich hinein zu hören und zeige eventuelle Parallelitäten zu meinem Fall auf, um so rechtzeitig reagieren zu können. Außerdem ist ein Dokumentarfilm zu meinem Fall in Planung, er soll voraussichtlich 2015 ausgestrahlt werden. Auch im Ausland besteht Interesse an meiner Geschichte, ein Job dort als Schiedsrichter oder Mentor wäre reizvoll. Wohingegen ich in Deutschland nur als TV-Experte arbeiten würde.
Hilfe bei Depressionen bietet die Telefonseelsorge unter der kostenlosen Rufnummer: 0800/111 0 111