"ArtReview": Ai Weiwei ist am einflussreichsten

Je strenger die chinesischen Behörden gegen Ai Weiwei auftreten, desto größer wird sein Einfluss, zumindest aus westlicher Sicht.
von  dpa

Je strenger die chinesischen Behörden gegen Ai Weiwei auftreten, desto größer wird sein Einfluss, zumindest aus westlicher Sicht.

London - Auf dem weltweit wohl am meisten beachteten Ranking der 100 einflussreichsten Menschen im Kunstbetrieb steht er jetzt auf Platz 1.

Die Liste, die jedes Jahr vom britischen Magazin "ArtReview" erstellt wird, wurde am Donnerstag in London veröffentlicht. Sie ist immer umstritten, viele sagen, da würden Äpfel mit Birnen verglichen und das Ganze sei völlig willkürlich - aber alle in der Kunstwelt schauen nun mal drauf.

Die Nachrichtenagentur dpa bat "ArtReview"-Chefredakteur Mark Rappolt, die Entscheidung für Ai Weiwei in einem Satz zu erläutern - seine Antwort: "Ai Weiwei ist ein Beispiel dafür, wie Kunst die Grenzen der Galeriemauern überwinden und die wirkliche Welt erreichen kann."

Ai Weiwei trägt seine Kunst in die Gesellschaft - er ist ganz wesentlich ein Konzept- und Performance-Künstler. Genau das steht im Westen zurzeit hoch im Kurs. Zusammen mit seinem politischen Engagement ergab das für die Jury eine unschlagbare Mischung.

Kritiker werfen ihm dagegen vor, er habe als Künstler nicht viel zu bieten - seinen Ruhm verdanke er großenteils seinen hervorragenden Kontakten zu westlichen Medien. Für Rappolt ist das kein zündendes Gegenargument: "Alle wichtigen Künstler verdanken ihre Bedeutung bis zu einem gewissen Teil den Medien."

Dass Ai Weiwei die Liste dieses Jahr anführt, ist noch aus einem Grund bemerkenswert - und dieser erscheint zunächst paradox: Ai ist ein Künstler - und diese stehen auf der Liste fast nie oben. Vor ihm hat das überhaupt nur ein anderer Künstler jemals geschafft: der Britart-Star Damien Hirst (2005 und 2008). Unter den Top Ten 2011 rangiert nur noch eine weitere Künstlerin - die US-Fotografin Cindy Sherman auf Platz sieben. Die meisten Persönlichkeiten auf der Liste sind dagegen Sammler, Galeristen, Kuratoren und vor allem Manager des Kulturbetriebs.

So steht auf Platz neun der in New York ansässige deutsche Kunsthändler David Zwirner, der dieses Jahr zusammen mit dem Schauspieler Ben Stiller ("Nachts im Museum") eine Kunstauktion zugunsten der Erdbebenopfer in Haiti organisierte. Das stattliche Ergebnis: 13,7 Millionen Dollar. Direkt hinter Zwirner folgt die Deutsche Beatrix Ruf, die als Direktorin der Kunsthalle Zürich nicht nur viel beachtete Ausstellungen organisiert, sondern auch sehr erfolgreich private Finanzquellen anzubohren versteht. In Zeiten knapper öffentlicher Mittel ist Geld ein noch wichtigeres Thema als sonst. Zwirner und Ruf kommen auf der Liste noch vor Gerhard Richter, dem "Picasso des 21. Jahrhunderts" (Platz 11).

In ihre Kategorie fällt auch ein weiterer Deutscher, Klaus Biesenbach (Platz 16). Der 45-Jährige ist einer von denen, die heute darüber entscheiden, was als bedeutsame Kunst zu gelten hat und was nicht. Er begann mit einer Ausstellung in einer alten Margarinefabrik in Berlin-Mitte und leitet heute eine eigens für ihn gegründete Abteilung im Museum of Modern Art (MoMA) in New York. Sein Aufstieg lässt sich auf zwei Fähigkeiten zurückführen: Zum einen erkannte er früher als andere die kommenden Trends in der Kunstszene - sein Fachgebiet ist Medienkunst, also zum Beispiel Videos, Projektionen.

Zum zweiten ist er ein begnadeter "Networker", jemand, der in einem fort neue Vertreter der Kunstszene kennenlernt und sie wiederum miteinander bekanntmacht. Als Großmeister des Vernetzens gilt der Schweizer Hans Ulrich Obrist, Direktor der sehr überschaubaren, aber gleichzeitig sehr relevanten Serpentine Gallery im Hyde Park in London (Platz 2).

"Die Kunstwelt setzt sich zusammen aus einer großen Zahl von Netzwerken und sozialen Kontakten", erläutert Rappolt. "Es geht nicht einfach darum, wer der beste Künstler ist. Die Liste spiegelt eine komplexe Wechselwirkung von sozialen, finanziellen und gelegentlich auch politischen Interessen. Sie ist ein Versuch, das transparenter zu machen." Die romantische Vorstellung vom verschrobenen, menschenscheuen Künstler, der sich in sein Atelier zurückzieht, hat mit der heutigen Wirklichkeit meist wenig zu tun.

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