Anthony Hopkins: Einmal Monster, immer Monster
Dieses Lächeln. Gewiss, auf den ersten Blick wirkt es durchaus freundlich, doch niemand kann den Abgrund dahinter verkennen. Den Irrsinn, das abgrundtief Böse. Ein kleines Lächeln entlarvt den Teufel in Menschengestalt.
Vermutlich kann nur ein Mensch auf der Welt so lächeln: Anthony Hopkins in der Rolle des brillanten Psychiaters und hochkultivierten Kannibalen Dr. Hannibal Lecter, der mit diesem kleinen Lächeln das furchterregende Dunkel seines Charakters offenbart. Der Schauspieler Hopkins hat sich damit in die Herzen seiner Fans gefressen.
Wer "Das Schweigen der Lämmer" noch nicht gesehen hat, kann das hier nachholen
Dabei ist der stille Engländer ein liebenswürdiger, in die Jahre gekommener Gentleman. Doch wie das so ist mit einer Filmrolle, die Hollywood-Geschichte geschrieben hat: Einmal Monster, immer Monster.
Am Silvestertag (31.12.) wird Anthony Hopkins 80 Jahre alt.
Lecter machte ihn zur Legende
Die geniale Darstellung der Horror-Kultfigur Hannibal Lecter in "Das Schweigen der Lämmer" (1991) hat ihn endgültig zu einem Weltstar gemacht. "Anthony Hopkins dominiert jede Szene mit seiner Präsenz und der verkörperten Abgründigkeit, die der Schauspieler mit messerscharfem Verstand verbindet", schrieb ein Kritiker. "Hopkins gibt den Kannibalen, der seine Neigung betrachtet wie andere ihren Büro-Job. Ein Mann, der mit Worten tötet", urteilte ein anderer.
Jodie Foster (55), die als FBI-Agentin Clarice Starling Hannibals starken Gegenpart spielte, schilderte einmal ihr Verhältnis zu ihrem Kollegen: "Am letzten Drehtag aß ich ein Thunfisch-Sandwich und sagte ,Ich hatte ein bisschen Angst vor dir', und er sagte ,Ich hatte Angst vor dir', dann gaben wir uns eine enge Umarmung."
Die Kinoverfilmung des Romans von Thomas Harris wurde in den Kategorien Bester Film, Beste Regie, Bestes Drehbuch, Bester Hauptdarsteller und Beste Hauptdarstellerin (Jodie Foster) mit Oscars ausgezeichnet. Anthony Hopkins erhielt den Hauptdarsteller-Preis, obwohl er im gesamten Film nur etwas mehr als 16 Minuten zu sehen war. Der große Erfolg des Films etablierte ihn als einen der weltweit führenden Charakterdarsteller.
Im Vorfeld der Hollywoodproduktion hatten Stars wie Gene Hackman, Robert Duvall und Jeremy Irons die Lecter-Rolle abgelehnt, Ihre Begründung: zu viel Gewalt. In die engere Wahl kamen dann Robert De Niro, Al Pacino und Dustin Hoffman.
Alle waren dem Regisseur Jonathan Demme (1944 - 2017, "Philadelphia") nicht überzeugend genug, er wollte Anthony Hopkins, auch wegen seiner britischen Herkunft. Lecter sei "ein Manipulator, der eine besondere Form des Sprachgebrauchs hat", um Menschen für sich ausnutzen zu können. Man brauchte für ihn schlichtweg ein "shakespearisches Monster", und deshalb konnte es nur Hopkins werden, der Hannibal Lecter zu einer ewigen Leinwand-Ikone machte.
Großes Vorbild des jungen Hopkins: Richard Burton
Der gebürtige Waliser wuchs in Margam/Neath Port Talbot auf. Die Eltern hatten eine Bäckerei und wohnten über ihrem Betrieb. Ihr Sohn Philip Anthony Hopkins war als Legastheniker und ein schlechter Schüler. Er sei alles andere als zielstrebig gewesen, verriet er dem Magazin "Empire: "Ich war eine richtige Dumpfbacke, ein Doofi". Er habe auf der weiterführenden Schule nicht gewusst, was er eigentlich tun wolle. Er habe nur gewusst, dass er berühmt werden wolle. Und daran war ein walisischer Landsmann schuld: Richard Burton (1925 - 1984), der überragende Weltstar der 60er-Jahre. Der hatte nur einige Straßen weiter gewohnt.
Eines Tages besuchte der schon erfolgreiche Burton Margam, der 15-jährige Hopkins bat um ein Autogramm. Als er dann mit seinem Vater die Straße entlangging, "da fuhr Burton in seinem dunkelgrünen Jaguar vorbei, die Fenster runtergekurbelt, seine Frau neben ihm, eine Zigarette rauchend. Da dachte ich: Das möchte ich auch erreichen. Ich muss aus meiner eigenen Unproduktivität raus."
Zwei Jahre später bekam Anthony Hopkins ein Stipendium für ein Musik- und Schauspielstudium an einem College in Cardiff, von 1961 bis 1963 folgte ein Studium an der Royal Academy of Dramatic Arts in London.
1965 wurde Anthony Hopkins von der britischen Schauspiel-Legende Laurence Olivier (1907 - 1989) am Royal National Theatre engagiert. Und als Olivier 1967 krankheitsbedingt während der Spielzeit von "Dance Of Death" ausfiel, übernahm der junge Hopkins seine Rolle. Ein Jahr später spielte er im Film "Der Löwe im Winter" den jungen Richard Löwenherz, der Film wurde mit drei Oscars ausgezeichnet: Bestes Drehbuch, Beste Musik und Beste Hauptdarstellerin (Katherine Hephurn). Anthony Hopkins wurde für den Britischen Filmpreis nominiert.
Anfang der 70er-Jahre begann eine fruchtbare Zusammenarbeit mit dem bedeutenden Schauspieler und Regisseur Richard Attenborough. Der mehrfache Oscar-Preisträger hatte den jungen Hopkins als "besten Schauspieler seiner Generation" bezeichnet. Die Filmkarriere des hochbegabten Walisers ging steil nach oben. Hopkins spielte mit Liz Taylor, Goldie Hawn und Isabella Rossellini, für seine Rolle in "Die Entführung des Lindbergh-Baby" erhielt er seinen ersten Emmy.
Er stellte Adolf Hitler in "Der Bunker" (Emmy) dar, spielt den US-Präsidenten Richard Nixon in "Nixon" (Oscar-Nominierung), den Maler Picasso in "Mein Mann Pablo", den Cornflakes-Erfinder William Kellogg in "Willkommen in Wellville" sowie den Regisseur Alfred Hitchcock in "Hitchcock". Er wagte sich an klassische Stoffe wie "Der Prozess" nach Franz Kafka, "Der Glöckner von Notre Dame", "Otello" oder "Bram Stoker's Dracula". Für Steven Spielbergs "Amistad - Das Sklavenschiff" und "Was vom Tage übrig blieb" erhielt er weitere Oscar-Nominierungen.
Insgesamt wirkte er bei über 80 mehr oder weniger bemerkenswerten Filmen mit. Der Höhepunkt dieses grandiosen Schaffens ist und bleibt die Rolle des Dr. Hannibal Lecter, den er außer in "Das Schweigen der Lämmer" noch in "Hannibal" (2001) und "Roter Drache" (2002) spielte.
Der hohe Preis des Ruhms
Weil Großbritannien seine Film- und Theaterstars auch die gesellschaftliche Anerkennung nicht verweigert, wurde Sir Anthony Hopkins im Februar 1993 von der Queen im Buckingham Palace zum Ritter geadelt. Außerdem ist er Commander des britischen Verdienstordens Order of the Empire.
Für dieses Leben im Rampenlicht zahlte der Einzelgänger Anthony Hopkins einen hohen Preis. Ab 1967 litt er - wie viele Schauspieler und vor allem vor Vorbild Richard Burton - an massiven Alkoholproblemen. Darüber hielt 2002 auf einer Tagung der Anonymen Alkoholiker in Malibu (US-Bundesstaat Kalifornien) einen aufschlussreichen Vortrag, der mit dem irritierenden Satz begann: "Ich bin froh, Alkoholiker zu sein." Dann fuhr er fort: "Ich möchte das um nichts in der Welt missen. Es tut mir natürlich Leid wegen des Schmerzes, den ich anderen Menschen zugefügt habe. Aber ein Alkoholiker zu sein, das ist eine erstaunliche und starke Erfahrung."
Der "Spiegel" berichtet, wie verstört die 300 Tagungsteilnehmer aufschauten, als Hopkins sagte: "Ich habe Tequila geliebt. Das verschaffte mir seltsame Halluzinationen. Ich versuche nicht, cool zu sein und Sie zu beeindrucken. Es mag sich gelegentlich nicht so anfühlen, aber wir Alkoholiker sind reiche Menschen. Das Narbengewebe, das ich über die Jahre hinweg entwickelt habe, ist jetzt meine Stärke und meine Kraft. Das Trinken war das größte Geschenk, das ich je bekam."
Dann flossen doch noch Tränen, auch beim Hauptredner, der von seinem Alkoholiker-Vater erzählte und seinen Gefühlen, als er sämtliche Selbstachtung verloren hatte: "Es gab Tage, an denen ich eine Flasche Tequila trinken konnte und es mich nicht kümmerte, ob ich sterbe. Ich wusste, dass ich zum Penner würde, wenn ich noch weitermachte. Ich habe zu viele Jahre damit verschwendet, wütend, nachtragend und feindselig zu sein."
Die entscheidende Wende sei gekommen, als sich seine Frau an Weihnachten geweigert habe, mit ihm, der drei Tage lang nur getrunken hatte, am Telefon zu sprechen: "Das hat mir das Leben gerettet. Ich wusste, dass ich am Ende war. Denn sie half mir nicht mehr." Damals habe er beschlossen, vom Alkohol loszukommen. Seit 1975 ist Hopkins abstinent.
Gepflegtes Eigenbrötler-Image
Seine erste Ehe mit Petronella Parker (eine Tochter) ist an der Sucht zerbrochen. Die Scheidung war 1972. Seit 2003 führt er mit Stella Arroyave seine dritte Ehe. Mit der zweiten Ehefrau Jennifer Lynton (1973-2002) pflegte er eine Verbindung auf Distanz. Er lebte in Kalifornien, sie in England. Er sagt, er genieße das Gefühl "einer wundervollen Leere. Ich fühle mich dann innerlich frei." Sie schildert ihn als einen Mann mit sprunghaftem Verhalten, der sich damit Freunde auf Distanz halte: Viele Leute irritiere es zunächst, dass er "so viel Wärme ausstrahlt und Verständnis zeigt. Begegnen sie ihm dann ein paar Tage später, hat er sich wieder zurückgezogen:" Er selbst beschreibt als "guten Ernährer", aber unbedingt guten Ehemann.
Anthony Hopkins pflegt und genießt ganz offensichtlich sein Image als undurchschaubarer, schwer zu kontrollierender Einzelgänger. Diesen Ruf hatte er sich mit einem wohl kalkulierten Paukenschlag verschafft: 1973 verließ er mitten in einer "Macbeth"-Aufführung des Londoner National Theatre die Bühne - und verschwand nach Hollywood.
Er hält nicht viel von seiner Zunft und der "extrem sonderbaren" britischen Schauspielergemeinde nicht besonders viel. London sei "saulangweilig" und das "Schätzchen-Getue" in der Theaterszene nicht sein Fall. "Darum bin ich in die USA gezogen und habe gemacht, was ich immer wollte: Filme". Seit 2000 hat Hopkins auch die amerikanische Staatsbürgerschaft.
"Ich war ein Außenseiter, ich hatte nie Freunde, die Schauspieler waren", sagte Hopkins im "Empire"-Interview. Er habe mit einigen großartigen Menschen zusammengearbeitet, beispielsweise mit Judy Dench (83), wollte aber trotzdem mit seinen Kollegen nichts zu tun haben. "Ich bin mit keinem einzigen Schauspieler befreundet! Ich habe sowieso nur sehr, sehr wenige Freunde. Die kann ich an einer Hand abzählen." Im vergangenen Sommer eröffnete Hopkins der "Daily Mail", dass bei ihm das Asperger-Syndrom diagnostiziert worden sei. Er gehe deshalb kaum auf Partys, "aber ich mag Menschen. Ich mag es, in ihre Köpfe reinzugehen."
Er lebt zurückgezogen in Los Angeles, wandert gern, fährt gern Auto und liest Gedichte - wie man sich eben das Leben des betagten Gentlemans vorstellt. "Ich bin ein Mensch, der gern in einem stillen Zimmer sitzt und die Ruhe auf sich einwirken lässt. Das ist mir wichtig, in diesen Momenten finde ich Stärke", sagte er der "Bild".
Am liebsten hört er klassische Musik. Und er komponiert selbst. Zu seinem Film "August" (1996), bei dem er auch Regie führte, komponierte Hopkins den klassischen Soundtrack. Sein ältestes Musikstück, der Walzer "And the Waltz goes on", den Hopkins vor 50 Jahren geschrieben hatte, wurde am 2. Juli 2011 von André Rieu und seinem Johann Strauss Orchester im Wiener Schloss Belvedere uraufgeführt. Der Meister war mit seiner Frau anwesend.
Wenn ihn der Teufel reitet und die paar wenigen Freunde da sind, muss Anthony Hopkins für sie den Hannibal Lecter geben. Da lächelt er - und das Grauen macht sich breit im Raum.
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