Amy Winehouse: Soul und Seele ohne Sicherung
Amy Winehouse stirbt mit 27 – das Ende einer Sängerin, die zwischen dem Image eines absturzgefährteten Pop-Stars und ihrem Privatleben keine Schutzmauer aufbauen konnte
Am Samstag fand die Polizei ihren Körper in ihrer Wohnung im Norden Londons. Amy Winehouse ist tot, gestorben mit 27. Die Gerüchte um eine Überdosis wurden bis jetzt noch nicht bestätigt. Eine Obduktion soll die Todesursache klären. Ihr Vater Mitch, der ehemalige Taxifahrer, der im Schatten der Tochter im letzten Jahr selber ein ganz ordentliches Jazz-Crooner-Album veröffentlichte, hat sein Konzert in New York abgesagt, um in die Heimat zurückzukehren.
DIE ANFÄNGE
2004 versuchte ich, ein Telefoninterview für eine Frauenzeitschrift mit Amy Winehouse zu führen, die sich zu diesem Zeitpunkt mit ihrem Debüt-Album „Frank” in das Bewusstsein der Deutschen arbeitete. Der Vater habe sie zum Jazz gebracht, erzählte sie: „Dann musste mein Bruder zur Universität, und ich konnte mir seine CDs schnappen.” Jazz und Soul als Ursuppe der Selbstfindung.
Amy Winehouse war gerade auf einer Party ihrer Plattenfirma in London. Sie habe sich eine Wohnung in der Nähe ihrer Mutter gesucht, vermisse Mama aber schon jetzt, erzählte sie. Ihre Hobbys? Pool spielen und Gras rauchen. Dem Timbre ihrer Stimme war zu entnehmen, wie wenig Lust sie auf diesen Promotiontermin hatte. Der Lärm im Hintergrund überschritt die Grenze zur Unprofessionalität und Winehouse, hörbar in einem Leck-mich-Modus, tat ihr Übriges, dieses Interview nahezu unbrauchbar zu machen. Die erste Fassung des Artikels wurde abgelehnt: Winehouse komme da rüber wie eine Drogensüchtige! Zwei Jahre später war klar, dass das kein Problem des Textes gewesen war.
Bilderstrecke: Das war Amy Winehouse
Ihr zweites Album „Back To Black” überwand die Jazz-Momente zu Gunsten eines massentauglicheren Neo-Motown-Soul. Am Ende stehen Nominierungen für die Brit Awards und den Mercury Music Price, die Dekoration mit fünf Grammys und 2007 die Auszeichnung als „Best Female Solo Artist”. Flankiert wurde der Aufstieg durch die Berichterstattung über ein mustergültiges Rock-Leben, das unablässig drogenabhängige Skandale produziert.
EIN LEBEN IM DAUERCHAOS
Amy nahm ihre Probleme mit auf die Bühne. Ihr Auftritt auf dem Jazz Festival in St. Lucia, den sie 2009 mit der Bemerkung abbrach, sie sei gelangweilt, um von der Bühne zu torkeln, steht für eine harte Reihe ähnlicher Episoden.
Natürlich sprang die Yellow Press auf das wilde Mädchen aus Southgate an – ungeachtet der Tatsache, dass sie nicht in das Schema von Aufstieg und Scheitern passte, das Musikerbiografien als klassische Tragödie erzählen wollen. Dass sie schon 2008 einen Entzug machte, war nur offensichtlicher Ausdruck einer von Beginn ihrer Karriere an auffälligen Neigung zu Drogen. Zu diesem Zeitpunkt erweiterte schon Crack die chemische Palette, und ihr Vater ließ verlauten, sie leide an einem Lungenemphysem.
Im norwegischen Bergen wurde sie 2007 zusammen mit ihrem Ehemann wegen ein paar Gramm Marihuana verhaftet. Eine in der Gesamtschau unschuldige Episode, die ein Licht auf die Ehe mit Blake Fielder-Civil wirft, die im Mai 2007 geschlossen wurde. Schon im August des Jahres wurde das Paar in London fotografiert, mit Verletzungen, die erhebliche Beziehungsprobleme vermuten ließen. Glaubt man englischen Boulevardzeitungen, hat Blake Amy an Kokain, Crack und Heroin herangeführt. 2009 wurde die Ehe nach Gefängnisaufenthalten von Blake geschieden.
Nicht, dass sich die Geschichte der Rockmusik ohne chemische Substanzen erzählen ließe. Aber wer beispielsweise vor einem Jahr das Paparazzofoto sah, das Amy im Licht der Morgensonne komatös zusammengesunken auf einer Bank vor einer Kneipe in Camden zeigte, wusste, dass Drogen nicht Image, sondern zentrales Problem waren. Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison, Brian Jones und Kurt Cobain sind die bekanntesten Namen des Club 27: Pop-Musiker, die mit 27 Jahren starben. Es ist das Alter, in dem viele Pop-Stars die erste Karrierewelle hinter sich haben. Emotionale Erschöpfung, künstlerische Orientierungslosigkeit und Drogen sind die Mischung, aus der man den Goldenen Schuss aufkochen kann.
Das traurige Ende eines Stars: Der Tod, die Kerzen, die Tränen
Winehouse ruinierte sich auf so konsequente Weise, dass man froh war, sich den Abstieg nur im Spiegel des Sensationsjournalismus’ ansehen zu müssen, der das Grauen zwischen den einzelnen Ausbrüchen gnädig filtert. Am 18. Juni trat sie in Belgrad auf – eine Katastrophe. Auftritte in Istanbul und Athen sagte sie ab. Dass in Hotels die Minibars vor ihrem Einzug vom Personal entleert wurden, wirkt da nur wie ein hilfloser Versuch, Regeln im Leben einer schwer Abhängigen zu etablieren.
EINFLUSS
Ob Lagerfeld sich von ihr inspirieren ließ, Anna Vintour begeistert war, sie eine Modelinie für Fred Perry entwarf oder das „People Magazine” sie als eine der schlechtest angezogenen Frauen wählte: Winehouse hatte Stil. Von Ende-50er-Girl-Groups wie den Roonettes lieh sie sich die Bienenkorbfrisur. Kombinierte die mit einer tätowierten Mod-Punk-Attitüde der englischen Arbeiterklasse und comic-haftem Make-up. Amy hat den Soul wieder als expressiv-rebellischem Raum Musikerinnen geöffnet, die hier Unangepasstheit bis Exzentrik ausleben. Auf der einen Seite ist die verletzliche Adele, die gegen die Schönheitsideale ihr Liebesleid in die Waagschale wirft, auf der anderen Seite produziert sich Lady Gaga mit kühl kalkulierten Tabubrüchen, die in ihrer ausgeformten Erregung keine Absturzgefahr in sich tragen.
„Wenn ich Dinge niederschreibe, bin ich ehrlicher, als ich zu meiner Freundin oder meiner Mutter wäre”, erzählte Amy mir 2004 im Interview. Es waren die schutzlos romantischen Worte einer damals 21-Jährigen, die die Kunst als Therapiecouch für das eigene Leben begriff. Die Erkenntnis, dass man diesen Schutzraum mit Millionen Neugieriger teilt, die einen bluten sehen wollen, war in der verständlichen Hybris des ungeheuerlichen Karrierestarts nicht angelegt.
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