Alice Cooper: "Nachrichten sind schockierender als jede Bondage-Szene"

London - Für das fünfte Jubiläum der "Rock Meets Classic"-Tournee haben die Veranstalter einen echten Welt-Star als Headliner gewinnen können. Niemand Geringeres als Schock-Rock-Pionier Alice Cooper (65) wird bei dem einzigartigen Crossover-Projekt im nächsten Jahr seine größten Hits wie "Poison" oder "School's Out" mit der Unterstützung eines klassischen Orchesters zum Besten geben. Auf welche Showeinlagen sich die Fans freuen können, was ihn selbst überhaupt noch schockieren kann und warum er auch mit 65 Jahren nicht ans Aufhören denkt, erzählt der als Vincent Damon Furnier in Detroit geborene Musiker im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news.
Sie sind Headliner der "Rock Meets Classic"-Tour. Was reizt ein Mitglied der "Rock'n'Roll Hall of Fame" wie Sie daran?
Alice Cooper: Unsere größte Anhängerschaft in Europa befindet sich mit Abstand in Deutschland. Sie war stets unbeschreiblich loyal mir gegenüber - und zwar seit dem Beginn meiner Karriere. Es kommen immer noch Fans zu den heutigen Shows, die bereits in den 1970er Jahren dabei waren. Als ich erfuhr, dass die meisten Termine der Tour in Deutschland stattfinden würden, war das der entscheidende Faktor für meine Zusage.
Sie waren also auf der Stelle von dem Projekt überzeugt?
Cooper: Auf jeden Fall, zumal es auch in einer Zeit stattfindet, für die ich noch absolut keine Pläne hatte. Meine Tournee endet bereits im Dezember und die neue Platte ist auch fertig. Der März war damit der perfekte Zeitpunkt, um wieder zu euch zu kommen.
Haben Sie schon einmal etwas Vergleichbares gemacht?
Cooper: Ich hatte bereits mit Peter Frampton und Roger Daltrey ein ähnliches Projekt, unter dem Titel "British Rock Symphony". Wir hatten zusätzlich zur Band ein Orchester und performten die Songs des jeweils anderen. Es war ein unheimlicher Spaß. Weil wir immer nur vier bis fünf Lieder gesungen haben, konnte man sich wirklich ausleben, ohne schlapp zu machen.
Harmoniert Ihr Stil denn mit klassischer Musik?
Cooper: Bereits auf meinen Studioalben kann man viele orchestrale Einflüsse hören. Neben den Klassikern wie "No More Mr. Nice Guy", "School's Out" und "Poison" denke ich darüber nach, auch "Only Women Bleed" zu spielen, denn schon auf der CD spielte dafür ein Orchester ein. Das "Toronto Symphony Orchestra" war darauf für alle Violin-Abschnitte zuständig. Warum also nicht einfach die Möglichkeit nutzen und ein volles Orchester beteiligen? Die Leute wollen den Song ohnehin hören. Ich überlege sogar, das Stück mit einer Ballett-Nummer zu ergänzen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dabei auf eine gewisse Theatralik zu verzichten.
Ballett? Wirklich? Samt der klassischen Showeinlagen eines Alice-Cooper-Konzerts, also Blut, Tod und Morbidität?
Cooper: Das kommt ganz darauf an, wie viel Humor ich damit kreieren kann. Der größte Teil meines Horrors basiert auf Comedy. Wenn Alice gewisse Schicksale ereilen, dann sind sie meistens so absurd, so übertrieben, dass sie sich in etwas Lustiges verwandeln. Genau diesen Aspekt haben die Menschen zu Beginn nicht verstanden. Sie missinterpretierten es als reine Blutrünstigkeit, Horror und Schock. Ich dagegen strebte immer Humor an - indem ich so Schockierendes zeigte, dass es sich in etwas hysterisch Komisches verkehrte. Wenn ich also diesen Effekt damit erzielen kann, wäre es sicherlich eine interessante Kombination.
Ist das mit dem heutigen Publikum denn überhaupt noch möglich?
Cooper: Das ist der Punkt! Es ist fast unmöglich geworden, die Zuschauer wirklich zu schockieren. Ich denke nicht, dass wir durch Lady Gaga oder Miley Cyrus wirkliche Entrüstung verspüren. Was haben sie getan, was Madonna nicht schon vor 20 Jahren gemacht hat? Das darf nicht falsch verstanden werden, ich finde Lady Gaga großartig, denn sie ist der Figur Alice Cooper sehr ähnlich. Sie hat den Charakter kreiert und verkörpert ihn seitdem, schreibt Lieder über ihn. In vielerlei Hinsicht ist Lady Gaga also mehr wie Alice Cooper, als so mache Rock-Band.
In dieser Hinsicht war es zu Beginn Ihrer Karriere also deutlich einfacher, zu polarisieren?
Cooper: Auf jeden Fall. Man muss bedenken, dass zu der Zeit, als ich mit der Musik anfing, nichts Vergleichbares zu Alice Cooper existierte. Das Provokanteste bis dahin waren vielleicht die Rolling Stones oder Jim Morrison. Die Kunstfigur Alice brachte dagegen Blut, Schlangen und sogar die Guillotine auf die Bühne - Hardrock unterstützt von immenser Theatralik. Schockierend daran war einfach, dass die Zuschauer es nicht erwarteten.
Was kann Sie schockieren?
Cooper: Nachrichten sind schockierender als jede Bondage-Szene. Ich schaue Fernsehen und sehe täglich neue Berichte von Anschlägen, sehe wie Menschen erschossen werden. Das ist echt, nicht wie bei James Bond oder in anderen Filmen, in denen alles choreografiert ist. Echte Menschen getötet von echten Menschen - wenn das nicht schockierend ist, was dann? Wie schlimm können Rock-Bands wie Marilyn Manson, Rob Zombie oder eben Alice Cooper schon sein, wenn die Realität hundertmal schrecklicher ist.
Marilyn Manson ist ein gutes Stichwort. Sie sind ein sehr religiöser Mensch, sind aber mit Manson schon auf Tour gewesen, der auch gerne mal eine Bibel auf der Bühne zerreißt. Wie passt das zusammen?
Cooper: Ich arbeite daran (lacht). Ein Christ zu sein bedeutet nicht, nur mit anderen Christen zu reden, es bedeutet das genaue Gegenteil: Freundschaft mit jedem zu schließen. Ich verurteile ihn nicht für die Dinge, die er tut, auch wenn sie nicht mit meinen Überzeugungen übereinstimmen. Der christliche Glaube ist mein persönlicher Lifestyle, ich bin nicht hier, um irgendjemanden abzulehnen. Wenn Sie mich also auf seine Bibel-Nummer ansprechen: Ich habe ihm tatsächlich schon einmal eine Bibel zukommen lassen, mit den Worten: "Nicht aufessen!" (lacht).
Würden Sie eigentlich noch einmal eine Karriere als Musiker anstreben, wenn Sie die Möglichkeit hätten, von vorne zu beginnen?
Cooper: Ich kann mir nicht vorstellen, etwas anderes zu machen. Ich hätte mich vielleicht als Schauspieler oder Schriftsteller versuchen können, aber dabei wohl nie die Freiheiten gehabt wie als Musiker. Ich habe mit Alice einen Charakter erschaffen, über dessen Schicksal ich absolute Gewalt besitze, sowohl musikalisch, theatralisch als auch visuell. Ich kontrolliere jeden Aspekt über ihn. Ich hoffe, dass er fortleben und auch in 50 Jahren noch gespielt wird.
Auch über seinen Tod können Sie bestimmen. Wann verlässt Alice Cooper die Bühne und kommt nicht mehr zurück?
Cooper: Ich hatte in der Hinsicht immer eine recht logische Denkweise. Warum sollte ich Konzerte als Alice Cooper geben, wenn keiner mehr kommt? Wenn das je passieren sollte, dann ist es vorbei mit ihm, so einfach ist das. Oder wenn ich 100 Kilo zulege und kahlköpfig werde - dann müsste ich mir zumindest überlegen, eine andere Figur zu spielen (lacht). Aber aktuell wiege ich 80 Kilo, hab all meine Haare und bin mit 65 in einer besseren Form, als ich es mit 35 war. An den Ruhestand denke ich daher keine Sekunde.