Zwölf Mal anpacken! Die größten Baustellen der nächsten Bundesregierung

Offen ist, welche Parteien nach der Bundestagswahl am Sonntag die Bundesregierung bilden. Sicher ist, dass das künftige Bündnis eine Reihe unerledigter Aufgaben von der Großen Koalition erben wird. Jenseits der Corona-Pandemie sind dies die wichtigsten Problemfelder:
Klima I
Die Klimaschutzpolitik ist eines der dicksten Bretter, die zu bohren sind - während die Zeit davonrennt, weil sich die Erde weiter erhitzt. Zentral ist der Ausbau Erneuerbarer Energien. Von mehr Wind- und Sonnenenergie hängt ab, ob Deutschland seine ambitionierteren Klimaziele erreicht. Der Bundesverband der Energie und Wasserwirtschaft schätzt, dass bis 2030 pro Jahr rund 1500 neue Windräder an Land nötig wären - eine Herkulesaufgabe, zumal Genehmigungsverfahren nach wie vor zu lange dauern und es mehr ausgewiesene Flächen bräuchte.
Klima II
Das zweite dicke Brett heißt sozialer Ausgleich: Wie können steigende Preise auf fossile Energie so abgefangen werden, dass sie nicht zu sozialen Verwerfungen führen? Die EU-Kommission schlägt einen Klima-Sozialfonds vor, um Bürger zu entlasten. Die nächste Regierung muss den Ausgleich auf Bundesebene regeln. Dass dies nicht leicht wird, zeigt der Koalitionsstreit um die CO2-Kosten bei Mietverhältnissen. Eine Regelung, die Mieter entlastet hätte, war auf den letzten Metern gescheitert.
Klima III
Angesichts der verheerenden Fluten in Teilen Deutschlands wird sich die kommende Regierung intensiv mit der Anpassung an die bereits sichtbaren Folgen des Klimawandels beschäftigen müssen. Der Status quo dürfte nicht reichen, um Menschen vor Dürre, Starkregen und anderen Extremwetter-Ereignissen zu schützen.
Verkehrswende
Um die Klimaziele zu erreichen, sind auch große Veränderungen beim Verkehr notwendig: Für deutlich mehr Elektroautos bleibt der Ausbau eines kundenfreundlichen und flächendeckenden Ladenetzes eine Daueraufgabe. Auf der Agenda stehen ebenso mehr Geld für den Öffentlichen Personenverkehr sowie gesetzliche Erleichterungen beim Bau von Radwegen. Ein großes Thema könnte werden, ob der CO2-Preis und damit der Benzinpreis schneller als bisher geplant steigen muss. Dazu kommt die umstrittene Frage eines generellen Tempolimits.
Schuldenquote
Im Koalitionsvertrag hatten Union und SPD vereinbart, dass Staatsschulden unter 60 Prozent der Wirtschaftsleistung gedrückt werden. Zwischendurch hatte das geklappt - doch Corona riss mit teuren Hilfsprogrammen ein neues Riesenloch in den Haushalt. Ende 2021 wird die Schuldenquote nach Erwartung des Finanzministeriums wieder bei rund 75 Prozent liegen. Sie zu drücken, ohne an dringend nötigen Investitionen zu sparen, wird eine Mammutaufgabe.
Pflege
Der Fachkräftemangel bleibt ein Kernproblem. Auf 12 300 offene Stellen für Fachkräfte in der Altenpflege kommen derzeit laut Bundesagentur für Arbeit nur rund 3400 arbeitslose Pflegekräfte. Die schwarz-rote Regierung hat zwar in diesem Jahr noch eine Reform auf den Weg gebracht, die neben einer Entlastung bei Zuzahlungen im Pflegeheim auch höhere Löhne für Pflegekräfte bringen soll - doch ob das Lohnniveau auf die Weise so schnell nach oben geht wie nötig, um einen Beschäftigungseffekt zu erzielen, ist aus Expertensicht fraglich.
Mobilfunk
Trotz einiger Fortschritte hakt der Ausbau der digitalen Infrastruktur. Noch immer ist der Handyempfang auf dem Land oftmals schlecht. Um "weiße Flecken" zu schließen, werden laut Verkehrsministerium bis zu 5000 Standorte für neue Mobilfunkmasten benötigt. Entlang der Bahnstrecken gibt es ebenfalls Nachholbedarf.
Steuern
Der Soli ist für die meisten abgeschafft - doch mit anderen Steuervorhaben ist Finanzminister Olaf Scholz (SPD) gescheitert. Mit seiner Idee einer Steuer auf Aktienkäufe ließen ihn die Kollegen der anderen EU-Staaten auflaufen. Auch die Abgeltungssteuer auf Zinserträge ist - anders als geplant - nicht abgeschafft. Ebenfalls offen: die vom Finanzamt vorausgefüllte Steuererklärung.
Zuwanderung
Deutschland gehört in Europa zu den Hauptzielländern für irreguläre Migration. Deshalb wollte die Bundesregierung in Brüssel eine Vereinbarung vorantreiben, die eine erste Prüfung an den EU-Außengrenzen und eine gerechtere Verteilung innerhalb der Europäischen Union vorsieht. Das hat nicht geklappt. Die Zahl der Schutzsuchenden nimmt in Deutschland zwar seit 2017 kontinuierlich ab. Im Bundesinnenministerium wird aber befürchtet, dass sich dieser Trend demnächst ändern könnte.
Innere Sicherheit
Das Risiko islamistischer Attentate ist hoch. Rechtsterroristische Anschläge haben die Republik in den vergangenen Jahren erschüttert, und auch unter Linksextremisten steigt die Gewaltbereitschaft. Mit Unterstützung von Wissenschaftlern sollen bald Analyse-Instrumente vorliegen, um das Risiko, das von Extremisten ausgeht, besser abschätzen zu können. Ein Gesetz, das der Bundespolizei neue Befugnisse verschaffen sollte, ist im Bundesrat gescheitert.
Agrar
"Jetzt haben wir einen schönen Packen für alle, die potenziell regierungsfähig sein werden", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), als sie das Ergebnis der von ihr ins Leben gerufenen "Zukunftskommission Landwirtschaft" vorstellte.
Ein "Packen", der im Kern folgenden Auftrag an die kommende Regierung enthält: Die Landwirtschaft der Zukunft soll umwelt- und tierfreundlicher werden. Dazu müsste die kommende Regierung nach Berechnungen der Experten mehr öffentliche Mittel bereitstellen.
Kinderrechte
Nach jahrelanger Debatte wollte die GroKo Kinderrechte ins Grundgesetz schreiben - vor allem auf Drängen der SPD. Mit einer solchen Grundgesetzänderung würden die Belange von Kindern beim staatlichen Handeln stärker berücksichtigt. Die notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat wurden aber verfehlt. Grünen und Linken gingen die vorgesehenen Formulierungen nicht weit genug, die Union wollte die Position der Familie nicht zugunsten des Staates schwächen. Der Streit dürfte spätestens nach der Wahl wieder aufflammen.