Zweite russische Offensive in der Ukraine läuft – wie schlimm wird es?

Russland verstärkt seine Angriffe im Osten der Ukraine. Die USA gehen davon aus, dass diese Kämpfe nur die Vorzeichen einer noch größeren Offensive sind. Der UN-Generalsekretär fordert eine Waffenruhe.
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Russische Militärfahrzeuge fahren eine Straße in der Nähe von Mariupol entlang.
Russische Militärfahrzeuge fahren eine Straße in der Nähe von Mariupol entlang. © Alexei Alexandrov/AP/dpa

Kiew/Moskau - Russische Truppen haben mit verstärkten Angriffen im Osten der Ukraine eine neue Phase des Krieges eingeleitet. Das Verteidigungsministerium in Moskau berichtete am Dienstag von Luftangriffen auf mindestens 60 Ziele. Schwere Kämpfe wurden auch im südukrainischen Gebiet Saporischja gemeldet. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verurteilte das russische Vorgehen und sagte der Ukraine die Finanzierung direkter Rüstungslieferungen der deutschen Industrie zu. Die USA gehen davon aus, dass die Angriffe erst der Auftakt von größeren Offensivaktionen Russlands sind. UN-Generalsekretär António Guterres forderte rund um das orthodoxe Osterfest am kommenden Wochenende eine Waffenruhe.

Selenskyi: "Schlacht um Donbass hat begonnen"

Nach ukrainischen Angaben läuft die seit mehreren Tagen erwartete Offensive der Russen seit Montag. Präsident Wolodymr Selenskyj sagte in einer Videobotschaft: "Wir können jetzt feststellen, dass die russischen Truppen die Schlacht um den Donbass begonnen haben, auf die sie sich seit langem vorbereitet haben." Russland vermied den Begriff Offensive. Außenminister Sergej Lawrow bestätigte aber, dass die nächste Phase der "Spezial-Operation" begonnen habe.

Besonders dramatisch ist die Lage weiterhin in der schwer zerstörten Hafenstadt Mariupol. Russland forderte Hunderte Kämpfer in einem Stahlwerk noch einmal zur Kapitulation auf. Diese weigerten sich jedoch. Widersprüchliche Angaben gab es in russischen Medien über die Nutzung eines Fluchtkorridors von dem Gelände. "Niemand hat den rund um Asovstal gebildeten neuen humanitären Korridor für Zivilisten genutzt", sagte Alexej Nikonorow, ein Sprecher der prorussischen Separatisten, der staatlichen Nachrichtenagentur RIA Nowosti. Das russische Fernsehen hingegen berichtete, dass 120 Zivilisten das Werk verlassen hätten. Nach russischen Angaben sollen sich rund 2500 Kämpfer in dem Werk verschanzt haben. Zudem sollen dort viele Zivilisten Zuflucht gesucht haben.

Eine Anwohnerin geht mit Gepäck an einem völlig zerstörten Wohnhaus in Mariupol vorbei.
Eine Anwohnerin geht mit Gepäck an einem völlig zerstörten Wohnhaus in Mariupol vorbei. © Victor/Xinhua/dpa

Pentagon: Russland holt weitere Truppen von außerhalb dazu

Die Ukraine hatte bereits am Wochenende ein Ultimatum verstreichen lassen. Russland drohte daraufhin mit "Vernichtung". Seit dem vor knapp zwei Monaten begonnenen Angriff Russlands auf die Ukraine ist Mariupol ein Zentrum der Kämpfe. Russland will die strategisch wichtige Stadt komplett unter Kontrolle bringen.

Dem US-Verteidigungsministerium zufolge ist Russland noch dabei, seine logistischen Kapazitäten auszubauen und auch Einheiten von außerhalb der Ukraine ins Land zu holen. Die Kampfkraft des russischen Militärs – mit Blick auf Truppen und Ausrüstung – liege inzwischen bei etwa 75 Prozent dessen, was Moskau zu Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine zur Verfügung hatte, sagte ein hochrangiger Beamter des Pentagons.

Schoigu beschuldigt Westen, den Krieg zu verlängern

Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu warf dem Westen vor, mit seinen Waffenlieferungen an die Ukraine den Krieg in die Länge zu ziehen. "Die USA und die von ihnen kontrollierten westlichen Länder tun alles, um die militärische Spezial-Operation zu verzögern", sagte Schoigu der Agentur Interfax zufolge in Moskau. Russlands Streitkräfte würden "ihren Plan zur Befreiung der Volksrepubliken Donezk und Luhansk konsequent erfüllen".

Ein Wohngebäude steht nach einem russischen Angriff zerstört im Nordosten Charkiws.
Ein Wohngebäude steht nach einem russischen Angriff zerstört im Nordosten Charkiws. © Alex Chan Tsz Yuk/SOPA Images via ZUMA Press Wire/dpa

Als Antwort auf die Ausweisung Dutzender russischer Diplomaten hat Russland mehr als 30 Diplomaten aus den Benelux-Ländern und Österreich zu "unerwünschten Personen" erklärt. Eine Reaktion auf die Ausweisung von 40 russischen Diplomaten aus Deutschland Anfang April steht indes noch aus.

Schwere Waffen für die Ukraine - Ampel-Koalition weiter gespalten

In Deutschland ging die Debatte um die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine weiter. Unionspolitiker, aber auch Vertreter der Ampel-Parteien Grüne und FDP werfen dem Bundeskanzler Zaudern vor. Scholz erklärte am Abend, Rüstungslieferungen der deutschen Industrie an die Ukraine zu finanzieren. Die Ukraine habe eine Auswahl getroffen, Deutschland werde das notwendige Geld für den Kauf geben. Es gehe um Waffen "mit erheblicher Auswirkung" und "Bestandteile von Artillerie". Von einer direkten Lieferung schwerer Waffen aus Deutschland sprach Scholz nicht. Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki forderte bei einem Besuch in der Ukraine schnellere Finanzhilfen der EU für das Nachbarland.

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Eine knappe Mehrheit von 51 Prozent der Bundesbürger ist laut "Trendbarometer" von RTL und n-tv für die Lieferung von Offensivwaffen und schwerem Gerät. Deutschland hat bisher unter anderem Panzerfäuste, Luftabwehrraketen und Maschinengewehre geliefert, außerdem Fahrzeuge, Nachtsichtgeräte und Schutzausrüstung. Die Ukraine fordert aber auch schwere Waffen wie Kampfpanzer, Artilleriegeschütze und Kampfhubschrauber.

Was sind "schwere Waffen"?

Im allgemeinen Sprachgebrauch gibt es keine trennscharfe Unterscheidung zwischen leichten und schweren Waffen. Als eine Kategorie kann die Größe der Munition ("Kaliber") gelten, die Rückschluss auf die Wirkmächtigkeit der Waffe erlaubt - außerdem die Frage, ob die Waffe noch am Körper getragen werden kann ("Panzerfaust") oder auf einem Fahrgestell ("Artilleriegeschütz") montiert werden muss.

Angesichts der schweren Angriffe wird die Lage für die Menschen in der Ukraine nach Angaben des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) immer schlimmer. Die UN-Organisation rechnet in dem Land inzwischen mit sechs Millionen Bedürftigen. Fast fünf Millionen Menschen sind inzwischen ins Ausland geflohen, davon mindestens 360 000 Menschen nach Deutschland.

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6 Kommentare
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  • BBk am 20.04.2022 06:04 Uhr / Bewertung:

    Es wird schlimmer als vorstellbar und unmenschlichlicher

  • strizzi am 19.04.2022 17:05 Uhr / Bewertung:

    Statt seine Truppen in Mariupol abzuziehen, gibt Herr Selenkski diese lieber der Vernichtung frei. Nur, um sich als unnachgiebigen Herrscher zu profilieren. Und will möglichst andere in den Krieg hineinzuziehen. Und sein deutscher Statthalter bläst ins selbe Horn. Auf dessen Niveau sollten sich ernsthafte Politiker und Medienschaffende nicht herab begeben.
    Statt eine neutrale Ukraine anzubieten setzt die ukrainische Führung auf Konfrontation und opfert dafür ihre eignen Leute.
    Schade ....
    Lassen wir uns nicht weiter in diese Konfrontation hinein ziehen.

  • BBk am 20.04.2022 06:02 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von strizzi

    Wer ist der Angreifer wer der Kriegsverbrecher? Das ist ein sehr trolliger Kommentar. Die Ukraine kämpft auch für ihren A…

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