Zum zweiten Mal Regierungschefin: Merkel so stark wie nie

Vor vier Jahren galt sie als unnahbar, heute wird sie „Mutti“ genannt: Angela Merkel, die alte und neue Bundeskanzlerin, ist in der CDU eine starke Chefin - und bei den Deutschen beliebter denn je.
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Sie ist am Ziel: Angela Merkel ist die SPD als Koalitionspartner los und hat Dauerrivalen in den eigenen Reihen ruhig gestellt. Heute wird sie zum zweiten Mal zur Kanzlerin gewählt.
AP Sie ist am Ziel: Angela Merkel ist die SPD als Koalitionspartner los und hat Dauerrivalen in den eigenen Reihen ruhig gestellt. Heute wird sie zum zweiten Mal zur Kanzlerin gewählt.

Vor vier Jahren galt sie als unnahbar, heute wird sie „Mutti“ genannt: Bundeskanzlerin Angela Merkel, die alte und neue Bundeskanzlerin, ist in der CDU eine starke Chefin - und bei den Deutschen beliebter denn je.

Wenn sie am Mittwoch, nachdem sie von Bundespräsident Horst Köhler die Ernennungsurkunde erhalten hat, im Parlament die Eidesformel spricht und „So wahr mir Gott helfe“ hinzufügt, werden sich nicht wenige Abgeordnete die Augen reiben. Und zurückdenken an das Jahr 2005, als Bundeskanzlerin Angela Merkel schon einmal hier stand, damals als Chefin einer großen Koalition. Heute wird sie wiedergewählt.

Die anderen Protagonisten von einst hat sie bundespolitisch überlebt. Edmund Stoiber, Franz Müntefering und all die Becks, Platzecks, Hubers und Becksteins. Von der eigenen Partei ganz zu schweigen: Koch und Wulff halten den Ball flach, Oettinger hat sie soeben nach Brüssel weggelobt. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist derzeit so stark wie nie. Und bei den Deutschen hoch geachtet: 66 Prozent der Deutschen vertrauen ihr – so viele wie keinem anderen Politiker.

Dabei hat sich Merkel durchaus verändert. Als sie vor vier Jahren gewählt wurde, gab es nicht wenige, die herablassend über sie redeten. Sie galt als unnahbar, pampig, seltsam. Nach dem vor Selbstbewusstsein strotzenden Gerhard Schröder und dem nicht minder eitlen Vizekanzler Joschka Fischer zog da eine Frau ins Kanzleramt, die den großen Gala-Auftritt hasst. Die leisere Töne bevorzugt. Und deren Gatte sich den Medien gleich ganz verweigert.

Natürlich: Auch Merkel weiß sich zu inszenieren. Wenn sie am Vorabend von Parteitagen beim Medienempfang mit ausgewählten Chefredakteuren an einer Tafel zu speisen pflegt, achten ihre Leute penibel darauf, dass die Chefin nicht beim Essen oder Trinken fotografiert wird. Merkel ist sich der Macht des Bildes bewusst. Und anders als bei Rot-Grün meiden ihre engsten Berater – Bürochefin Beate Baumann, Medienberaterin Eva Christiansen und Regierungssprecher Ulrich Wilhelm – selbst das Rampenlicht. Sie schuften ausschließlich für ihre Chefin.

2005 wurde Bundeskanzlerin Angela Merkel noch „ostdeutsche Pastorentochter“ genannt. Heute nennen sie viele Berliner Politiker „Mutti“. Und das nicht nur, weil Merkel sichtlich gealtert ist in ihrem Knochenjob. Sondern auch, weil sie durchaus eine gewisse Herzlichkeit ausstrahlen kann.

Zwei der Gesichter der Sphinx Bundeskanzlerin Angela Merkel konnte man am Montag in Berlin beobachten. Zunächst schlüpft sie in die Rolle der CDU-Vorsitzenden. Auf dem kleinen Parteitag, der den Koalitionsvertrag bestätigen soll, lässt sie nicht den Hauch eines Zweifels daran, wer in diesem Laden das Sagen hat. Merkel strahlt Macht aus, und zwar mit Gestik, Mimik und Rhetorik. Predigt, dass die Lage im Lande ernst ist.

Sie braucht keine Ironie um sich herum wie Seehofer, keine schrillen Brüllereien wie Westerwelle. Merkel kommt gnadenlos nüchtern zum Punkt: Sie verteidigt ihre Entscheidung, in der Krise neue Schulden zu machen als gewagt, aber alternativlos. Ende der Debatte.

Es geht distanziert zu, die meisten Delegierten reden Merkel als „Frau Bundeskanzlerin“ oder „Frau Doktor Merkel“ an, offenen Widerspruch oder gar direkte Kritik an der Chefin traut sich keiner, auch wenn es an der Basis wegen der Wahlergebnisse gärt.

Wenige Stunden später, bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags, tritt dann eine ganz andere Merkel in Erscheinung. Die Frau, die an diesem Abend einen eleganten braunen Gehrock trägt, ruht in sich selbst. Mit einem Glas Wein in der Hand schlendert sie durch die Reihen der Gelben und Schwarzen, plaudert hier, charmiert dort.

„Jetzt haben wir so lange auf diese Koalition gewartet“, säuselt sie mit zuckersüßem Lächeln einer FDP-Abgeordneten ins Ohr – und unterhält sich über eine besondere Sorte von Keksen: „Meinen Mann könnten Sie damit eine Freude machen“, strahlt Merkel die Hinterbänklerin an. „Aber Sie haben doch auch eine Schwäche dafür“, antwortet die. Merkel lächelt ertappt, strahlt. Ein linksliberaler FDP-Mann, der sie beobachtet, sagt: „Eigentlich ist die ja ganz süß. Jetzt werde ich noch fast zum Fan.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel zuckle im Schlafwagen an die Macht, hieß es im Wahlkampf. Die Kritiker haben recht behalten. Jedoch anders, als sie sich das dachten: Deutschland wird die nächsten vier Jahre von einer Kanzlerin durch die Krise geführt werden, die sehr ausgeschlafen ist. Das wird auch die FDP noch merken. Die eigenen Leute wissen es längst.

Markus Jox

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