Zivildienst in vielen Bereichen vor dem Aus

Es ist der Anfang vom Ende für den Zivildienst: Nachdem Union und FDP bei ihren Koalitions- verhandlungen beschlossen haben, den Wehrdienst von neun auf sechs Monate zu verkürzen, dauert ab 2011 auch der Zivildienst nur noch ein halbes Jahr.
BERLIN Schon haben die ersten Wohlfahrtsverbände angekündigt, künftig auf Zivis verzichten zu wollen. Die AZ klärt wichtige Fragen.
Macht ein halbjähriger Zivildienst noch Sinn? Der Paritätische Wohlfahrtsverband, unter dessen Dach 15000 Zivis arbeiten, argumentiert, dass er bei einem sechsmonatigen Zivildienst nicht mehr in der Lage sei, die jungen Männer vernünftig einzusetzen. Bei der Pflege älterer Menschen, in Kindergärten oder bei der Arbeit mit Behinderten könne man es den Menschen nicht zumuten, alle halbe Jahre die Bezugsperson zu wechseln, sagt der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider. Im Rettungsdienst dauere bereits die Ausbildung auf den Fahrzeugen drei Monate: „Da bringen sechs Monate dann gar nichts mehr.“
Wie reagieren die sozialen Dienste? „Begeistert sind wir natürlich nicht“, sagt Thomas Nagel von der Diakonie Bayern, bei der heuer schon 1000 Zivis ihren Dienst angetreten haben. Eine Option sei nun, die jungen Männer „aus den besonders betreuungsintensiven Tätigkeiten herauszunehmen“. Harald Keiser, der für den Zivildienst zuständige Referent der Diakonie, vergleicht den Beschluss sogar mit dem alten Folterinstrument Garotte: „Da wurde man auch nicht schnell erwürgt, sondern langsam erdrosselt.“ Da Zivis in der Pflege als „angelernte Hilfskräfte“ gelten würden, steige der Druck auf die Einrichtungen, sich im Niedriglohnsektor zu tummeln. Zudem werde die Prägung junger Menschen „hin zum Sozialen“ aufgegeben, sagt Keiser.
Welche Alternativen gibt’s für Zivis? Wenn die Politik mehr Geld bereitstelle, könnte der Einsatz von Freiwilligen ausgeweitet werden, sagt Wohlfahrtsverbands-Chef Schneider. Derzeit absolvieren 35000 junge Frauen und Männer ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr, die Zahl der Bewerber ist doppelt so hoch. Die Stellen werden von Bund und Ländern finanziert. Um das Zivi-Loch zu stopfen, müsste er laut Wohlfahrtsverband 60 Millionen zuschießen. Familienstaatssekretär Hermann Kues (CDU) bringt derweil eine „freiwillige Verlängerung“ des Zivildienstes ins Gespräch. Das Deutsche Rote Kreuz kündigte an, dass beim Wegfall der Zivis neue Stellen für hauptamtliche Rettungsdienstler geschaffen werden müssten – auf Kosten der Beitragszahler.
Wie viele Zivis sind derzeit im Einsatz? Laut Bundesamt für Zivildienst arbeiten in Deutschland 76000 Zivis, 10000 in Bayern. Grundwehrdienst bei der Bundeswehr leisten 38000 Männer.jox