Ziel erreicht: Obama setzt Gesundheitsreform durch
WASHINGTON - Barack Obama hat sein Ziel erreicht: Der US-Präsident sprach von einer "historischen Entscheidung", als die Gesundheitsreform Sonntagnacht gebilligt wurde. Den Konservativen musste er allerdings ein Versprechen geben.
Sieg für US-Präsident Barack Obama, aber nur mit Ach und Krach: Nach über einjährigem Ringen und fast zwölfstündiger, emotionaler Debatte hat das Abgeordnetenhaus seine Gesundheitsreform in der Nacht zum Montag nur äußerst knapp gebilligt. Obama sprach von einem „Sieg für das amerikanische Volk“, die Demokraten von einer „historischen Entscheidung“, die 32 Millionen bisher unversicherten Amerikanern nun eine Krankenversicherung verschafft. Es ist die umfassendste Sozialreform seit Jahrzehnten und Obamas wichtigstes innenpolitisches Projekt.
Um sich die Zustimmung im Repräsentantenhaus zu sichern, musste Obama allerdings einer Gruppe konservativer Abgeordneter ausdrücklich zusagen, Abtreibungen keinesfalls mit Bundesmitteln zu finanzieren. Die Billigung im Abgeordnetenhaus habe „bewiesen, dass die Amerikaner in der Lage sind, große Dinge zu tun“, sagte Obama am späten Sonntagabend. Die nun beschlossene Reform sei nicht radikal, aber doch umfassend. „So sieht Wandel aus“. Sie sei „ein weiterer Baustein im Fundament des amerikanischen Traums“.
Für einen Gesundheitsreform-Entwurf des Senats, der im Mittelpunkt der Abstimmung stand, votierten 219 Abgeordnete – nur drei mehr als nötig. 34 Demokraten hatten mit „Nein“ gestimmt. Für ein Begleitpaket mit Änderungen stimmen 220 Mitglieder des Repräsentantenhauses. Darüber muss nun noch der Senat abschließend befinden, voraussichtlich bereits in den nächsten Tagen.
Dem Votum war eine tagelange Zitterpartie vorangegangen, denn eine Mehrheit galt keineswegs als ausgemachte Sache. Das ganze Wochenende über hatten Obama und die Parteispitze den Demokratern daran gearbeitet, skeptische Parlamentarier in den eigenen Reihen zu einem Ja zu bewegen und damit die nötige Stimmenzahl zu sichern.
Die Wende kam, als eine Gruppe konservativer Demokraten um den Abgeordneten Bart Stupak ihre Ablehnung des Reformwerks aufgab. Im Gegenzug musste Obama eine Anordnung zusagen, die finanzielle Hilfen des Bundes für Abtreibungen ausdrücklich untersagt. Das ist zwar bereits geltendes Gesetz. Nun sollen aber „zusätzliche Sicherheiten“ verankert werden, dass das auch tatsächlich geschehe und künftig auch nicht geändert werde, hieß es vom Weißen Haus. „Wir haben eine Einigung gefunden, durch die die Unantastbarkeit des Lebens in der Gesundheitsreform respektiert wird“, sagte Stupak.
Die emotional aufgeheizte Debatte im Repräsentantenhaus war teils von tumultartigen Szenen begleitet. Vor dem Kapitol demonstrierten lautstark Gegner der Reform. Einige drangen in das Parlamentsgebäude ein und wurden von Sicherheitskräften festgenommen.
Demokraten betonten die historische Tragweite des Gesetzes: „Jeder Präsident des vergangenen Jahrhunderts sagte, dass dies für eine große Nation eine Notwendigkeit ist“, sagte der demokratische Mehrheitsführer im Abgeordnetenhaus, Steny Hoyer. Die konservative Opposition hingegen kritisierte abermals die Kosten der Reform und warnten vor zu großen Eingriffen des Staates. „Werden wir den Pfad der Freiheit wählen oder den Pfad der Regierungs-Tyrannei?“, fragte der republikanische Abgeordnete Ted Poe. Sein Parteikollege Paul Ryan nannte das Gesetz einen „haushaltspolitischen Frankenstein“.
Mit der Reform soll erreicht werden, dass am Ende 95 Prozent der US-Bürger versichert sind. Derzeit sind es 83 Prozent. Die Kosten für den Staat: 940 Milliarden Dollar (696 Milliarden Euro) über zehn Jahre. Eine Grundversicherung wird für die allermeisten Amerikaner zur Pflicht. Versicherungen dürfen Amerikaner mit existierenden Erkrankungen künftig nicht mehr abweisen. Die Konzerne dürfen auch keine Aufschläge mehr wegen des Geschlechts oder des Gesundheitszustandes von Versicherten verlangen.
Ab 2014 sollen Bundesstaaten sogenannte Gesundheitsbörsen einrichten, an der Amerikaner Policen vergleichen und kaufen können. Geringverdiener erhalten als Unterstützung Steuererleichterungen. Eine staatliche Krankenversicherung, wie sie sich vor allem das linke Spektrum der Demokraten gewünscht hatte, wird es jedoch nicht geben.
Im Werben um Stimmen war der Präsident am Vorabend der Abstimmung selbst ins Kapitol gekommen, um demokratische Wackelkandidaten auf seine Linie zu bringen. „Es liegt in Ihren Händen“, beschwor er seine Parteifreunde bei dem Treffen am Samstag. „Es ist an der Zeit, die Gesundheitsreform zu verabschieden. Ich bin überzeugt davon, dass wir sie am Sonntag verabschieden. Lasst uns die Sache zu Ende bringen.“
dpa