Zeigt Obama der Welt das Bild des Grauens?
Die Ehefrau soll ihn identifiziert haben. Es gebe einen DNS-Beweis. Und es gibt Fotos vom toten Osama bin Laden. In der Mannschaft von US-Präsident Barack Obama wird aber noch gerungen, das Bild zu veröffentlichen: „Das Bild ist schauerlich”, sagt Regierungssprecher Jim Carney. Es könne „wie Zündstoff wirken”.
Die Einschätzung ist umstritten, CIA-Chef Leon Panetta sagte, er sei „sicher, dass schließlich doch noch ein Foto veröffentlicht wird”. Fragwürdig ist die Beweiskraft und die Zumutbarkeit des Fotos. Angeblich ist der Kopf des Terror-Chef förmlich explodiert: Gut möglich, dass die Navy Seals Spezialmunition benutzt haben, die beim Aufprall schwerste Verwundungen bewirkt.
Andererseits sagen die Amerikaner, sie hätten unmittelbar nach der Aktion ein Foto der Leiche gemacht und mit einem Gesichtserkennungsprogramm verglichen. Also muss das Gesicht noch erkennbar gewesen sein. Dieses Programm habe die Identität zusammen mit dem DNS-Test (s. Kasten) eindeutig festgestellt.
Teile der arabischen Welt sind empört (es gab Demos in Gaza und in Pakistan), Teile sind zufrieden (in Somalia bejubelten hunderte den Tod Osamas). Und wieder andere wollen Beweise sehen. So sagen die Taliban in Afghanistan, sie hätten Zweifel, „solange die Berichte nur aus einer Quelle kommen, oder bis wir Beweise sehen”.
Die Beweiskraft des Fotos ist aber fraglich, da Verschwörungstheoretiker sich ungern von ihrer Überzeugung abbringen lassen. Schon gar nicht von Fotos. Unmittelbar nach Ende der Aktion war bereits ein gefälschtes Bild in Umlauf gekommen – es war eine Fotomontage.
Eine der bekanntesten deutschen Islamwissenschaftlerinnen, Gudrun Krämer, hat die US-Regierung vor der Veröffentlichung von Bildern des toten Osama bin Laden gewarnt. „Ich würde ganz entschieden abraten, Bilder des Leichnams zu veröffentlichen, weil es sich nur um einen Akt der Pietätlosigkeit handeln kann”, sagt die Berliner Professorin. Zweifler würden damit nicht überzeugt, „und die Taliban brauchen keine Bilder, die haben andere Informationsquellen”.
Mit der Veröffentlichung solcher Bilder könnten sich die USA eigentlich nur schaden, sagte sie. Auf viele Muslime würden sie abstoßend wirken und als weiterer Beweis dafür gewertet, dass der Westen den Islam missachte.
Genugtuung auch in der islamischen Welt
„Viele in der islamischen Welt sind froh, dass Osama bin Laden tot ist. Im Stillen ist auch in der islamischen Welt viel Genugtuung.” All diese Menschen bräuchten keine Fotos. Was den Umgang mit Toten betreffe, gebe es im übrigen keine großen Unterschiede zwischen islamisch und christlich geprägten Kulturen.
„Im Mittelpunkt steht der respektvolle Umgang mit einem Leichnam, gleichgültig, um wen es sich dabei handelt.”
Den Kampf um die Bilder und um die Stimmung bei bin Ladens Anhängern haben die USA offenbar schon verloren. Ulrich Kienzle, langjähriger Nahost-Experte der ARD, verweist auf die ungewöhnliche Seebestattung, was als pietätlos angesehen werde. Das Argument, man wolle keinen Wallfahrtsort, lässt Kienzle nicht gelten: Der El-Kaida-Chef sei ein Wahhabit. „Das ist die extremste Form des sunnitischen Glaubens. Die kennen keine Gräberinschriften. Da wird anonym beerdigt. Man hätte ihn also in seinem Heimatland beerdigen können, ohne dass ein Grab mit einem Märtyrerstatus entstanden wäre”, erläuterte Kienzle. „Das gehört alles zu den vielen Missverständnissen zwischen dem Westen und dem Nahen Osten, die durch Unkenntnis und auch durch Arroganz auf Seiten des Westens verursacht werden.”
Verärgert hat die US-Regierung auch die amerikanischen Ureinwohner. Loretta Tuell, Senatsberaterin für indianische Angelegenheiten, stört sich am Codenamen „Geronimo” für die Aktion: „Einen der größten Helden der amerikanischen Ureinwohner mit dem meistgehassten Feind der USA in Zusammenhang zu bringen, ist absolut unangemessen.”
Trotzdem hat die Militäroperation Barack Obamas gewaltiges Ansehen verschafft. 93 Prozent der befragten Amerikaner billigen die Aktion, für 58 Prozent ist der Präsident eine „entschlossene und starke Führungspersönlichkeit”.