Zehntausende rufen nach Machtwechsel in Russland

Bei der größten Anti-Regierungskundgebung in Russland seit dem Machtantritt von Wladimir Putin haben Zehntausende Menschen trotz Eiseskälte und Schnee landesweit faire Neuwahlen gefordert.
dpa |
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Rekordteilnahme an Protesten und erstmals Rufe nach einem Machtwechsel in Russland: Bei der größten Anti-Regierungskundgebung in Russland seit dem Machtantritt von Wladimir Putin vor mehr als zehn Jahren haben Zehntausende Menschen trotz Eiseskälte und Schnee landesweit faire Neuwahlen gefordert.

Moskau -  In Moskau sprachen die Veranstalter am Samstag von mehr als 120 000 Demonstranten, die Polizei gab die Zahl der Teilnehmer mit 29 000 Menschen an. Überraschend forderte erstmals auch der prominente Ex-Finanzminister Alexej Kudrin von der Bühne aus Neuwahlen.

Wegen Vertrauensverlusts müsse zudem der umstrittenen Wahlleiter Wladimir Tschurow zurücktreten, sagte Kudrin. Kommentatoren werteten seinen Auftritt als Sensation. Auch der von Präsidenten Dmitri Medwedew eingesetzte Menschenrechtsrat legte Tschurow drei Wochen nach der von Fälschungsvorwürfen überschatteten Dumawahl den Rücktritt nahe.

Bei Minusgraden und viel Schnee gingen landesweit Menschen bei friedlichen Kundgebungen auf die Straße. Bei einzelnen nicht genehmigten Protesten kam es zu Festnahmen, wie die Agentur Interfax meldete. Insgesamt waren nach Angaben der Behörden und unabhängigen Beobachter deutlich mehr Menschen auf der Straße als bei der Großkundgebung am 10. Dezember.

Der Kreml kündigte an, die von Präsident Dmitri Medwedew angekündigten politischen Reformen rasch umzusetzen. Die Duma solle die von Medwedew angekündigten Gesetze zur Belebung des politischen Wettbewerbs möglichst bald zustimmen, sagte Kremlsprecherin Natalia Timakowa angesichts der Proteste.

Die Opposition nannte die Vorschläge unzureichend. Im Moskauer Stadtzentrum gab es erstmals laute Rufe nach einem Führungswechsel. "Russland ohne Putin", rief der Kremlgegner und Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow. Die Demonstranten wiederholten im Chor die Forderung nach einem Rücktritt von Regierungschef Wladimir Putin.

Bisher ging es fast ausschließlich um Neuwahlen. Kasparow kündigte einen politischen Neustart an. "Russland wird frei sein", sagte er. Bei der Präsidentenwahl am 4. März will Putin sich wieder in den Kreml wählen lassen, wo er schon von 2000 bis 2008 regierte. Medwedew soll in einer umstrittenen "Rochade" Regierungschef werden.

Der prominente Anwalt und Internet-Blogger Alexej Nawalny, der als möglicher Präsidentenkandidat gilt, rief in einer mitreißenden Rede zu weiteren friedlichen Protesten gegen den Kreml auf. "Wir nehmen uns, was uns gehört, und holen uns unsere Stimmen zurück", sagte Nawalny, der erst vor kurzem aus der Haft entlassen worden war. Bei den Auftritten auf einer Bühne mit großen Videowänden forderten die meisten Redner vor allem Neuwahlen im kommenden Jahr.

Ex-Finanzminister Kudrin, der weiter zum Machtlager um Putin gezählt wird, bot sich bei seinem unerwarteten Auftritt als Vermittler zwischen Demonstranten und dem Kreml an. Er war unlängst von Medwedew entlassen worden. Der Menschenrechtsrat des Kreml forderte eine rasche Umsetzung von Reformen und danach Neuwahlen.

Am Rande der Kundgebung sagte der Multimilliardär und Präsidentenkandidat Michail Prochorow dem Radiosender Echo Moskwy, dass er im Fall seiner Wahl am 4. März das Parlament auflösen und Neuwahlen ansetzen werde. Die Demonstration stand unter dem Motto "Für ehrliche Wahlen". Für die Menschen in Russland ist der 24. Dezember ein gewöhnlicher Tag. Weihnachten feiern die orthodoxen Christen im Riesenreich erst im Januar.

Die Dumawahl am 4. Dezember, bei der Putins Partei Geeintes Russland mit knapp 50 Prozent der Stimmen den Sieg zugesprochen bekommen hatte, löste auch international Kritik aus. "Trotz eisiger Temperaturen ist keine politische Abkühlung in Sicht. Die Demonstranten wollen Demokratie jetzt", sagte der Europa-Abgeordnete Werner Schulz von den Grünen einer Mitteilung zufolge. "Russland 2011 könnte sich zur Fortsetzung der Freiheitsbewegungen von Budapest, Prag, Danzig und Leipzig entwickeln", sagte der frühere DDR-Bürgerrechtler.

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